Steigende Bedeutung: Wiens Stiegen sind international renommiert
Von Agnes Preusser
Es gibt zwei Gründe, warum einem das Wort „Verachtung“ in den Sinn kommen kann, wenn man an die Stiegen in Wien denkt. Der erste liegt auf der Hand: Es gibt einfach sehr viele davon in dieser Stadt und manch einem mag das Erklimmen sehr mühselig (und somit verachtenswert) erscheinen.
Der zweite Grund ist wohl eher etwas für Filmfans: Die Treppe, die beim Urban-Loritz-Platz auf das Dach der Hauptbibliothek führt, hat einen Zwilling. Sie ist einer Stiege auf Capri nachempfunden, auf der in Jean Luc Godards Kultfilm „Die Verachtung“ aus dem Jahr 1963 Brigitte Bardot in einem gelben Badeanzug hinunterspaziert.
Das Beispiel zeigt: Stiegen sind in Wien selten einfach nur Stiegen. Sie haben oft eine historische Relevanz – oder für Anrainer eine hohe ideelle Bedeutung.
Wie wichtig Stiegen sind, sieht man dieser Tage im Bezirksparlament Mariahilf, das am Donnerstag zusammenkommt. Die Bezirks-ÖVP legt dabei einen Schwerpunkt auf die Treppenanlagen im Bezirk, die laut Klubchef Gerhard Hammerer „ein Wahrzeichen Mariahilfs“ sind.
Europas Platz 4
Die Anträge der Türkisen beschäftigen sich dabei unter anderem mit der Fillgraderstiege. Diese wurde im Jahr 2004 von 80 Kunstprofessoren zur viertschönsten Stiege in ganz Europa gekürt. Wie groß diese Ehre ist, wird klar, wenn man einen Blick auf die ersten drei Plätze wirft: die Spanische Treppe (Rom), gefolgt von den Stufen zur Basilika Sacre Coeur (Paris) und jene beim „Thempel der Athena“ (Rhodos).
Damit die Optik der Fillgraderstiege auch in Zukunft die Menschen begeistert, wollen die Türkisen, dass die beschmierten und besprayten Mauern gereinigt werden.
Ein anderer Antrag beschäftigt sich mit dem Punkt Sicherheit. Am Beginn und am Ende der Stiegen finden sich gelbe Markierungen – wichtig vor allem für ältere und sehbehinderte Personen, um nicht zu stürzen. Die Markierungen sind aber an vielen Stellen abgetragen und kaum mehr sichtbar. Hier wird der Magistrat aufgefordert, die Streifen zu erneuern.
Auch der dritte Antrag beschäftigt sich mit Barrierefreiheit: Der Aufzug bei der Amonstiege in der Stiegengasse war in der Vergangenheit immer wieder außer Betrieb. Hammerer will, dass nun geklärt wird, ob eine Generalsanierung notwendig ist.
Am Alsergrund rückt ein Jubiläum eine weitere Stiege wieder in den Fokus: Vor 70 Jahren erschien der Roman „Die Strudlhofstiege“ von Heimito von Doderer. Das Buch machte den Schriftsteller mit einem Schlag weltberühmt.
Heute gilt Doderer als umstritten. Die Historikerkommission hat darum veranlasst, bei der Floridsdorfer Doderergasse eine Zusatztafel anzubringen, die unter anderem über seine NSDAP-Mitgliedschaft informiert.
Etwas Magie liegt hingegen in der Hauptuni in der Luft: Viele Studenten nennen den Innenraum „ihr Hogwarts“, weil die Stiegen an die verzauberten Treppenanlagen in der gleichnamigen Zauberschule von Harry Potter erinnern.
Auch hier gibt es eine historische Begebenheit: 1936 wurde der Philosophie-Professor Moritz Schlick auf dem Weg zu einer seiner Vorlesungen von einem ehemaligen Studenten auf den Stufen erschossen.
Auf Rockys Spuren
Sportlich fit kann man hingegen auf der Markwardstiege neben der Mauer des Lainzer Tiergartens werden. Hier trainieren regelmäßig Läufer auf 438 Stufen und
65 Höhenmetern. Zum Vergleich: Die Stiege in Philadelphia, auf der Sylvester Stallone als Rocky im legendären Boxer-Film trainiert, hat nur läppische 72 Stufen.
Keine Sorge: Wer dem anstrengenden Treppenlauf nur die eingangs erwähnte Verachtung entgegenbringt, dem bleibt immer noch ein Filmabend auf der Couch. Zum Beispiel mit Brigitte Bardot im gelben Badeanzug.