Leben/Gesellschaft

Hebamme bis Richterin: In diesen Jobs ist viel Gefühl gefragt

"Man wird süchtig danach, Frauen Beistand zu leisten"

In Petra Welskops Berufsleben als Hebamme liegen Glück, Tränen und Schmerz nahe beieinander.

Es ist schon über 35 Jahre her, doch Petra Welskop erinnert sich noch genau an jene Nacht, die ihren beruflichen Werdegang maßgeblich beeinflusst hat. In dieser träumte sie, dass ihre Mutter ein weiteres Kind zur Welt brachte und sie ihr dabei Beistandleistete. Von ihrer Mutter wiederum erfuhr Welskop am nächsten Morgen, dass sie in der Nacht genau denselben Traum gehabt hatte.

Nach dieser Erfahrung stand für Welskop fest, Hebamme werden zu wollen. Für sie kein Beruf, sondern eine Berufung. "Wenn mich eine Frau spät am Abend anruft, dann bin natürlich für sie da", sagt die heute 55-Jährige.

Faszination

Seit siebeneinhalb Jahren ist die gebürtige Deutsche, die es vor über 25 Jahren nach Tirol verschlagen hat, zudem Präsidentin des Österreichischen Hebammengremiums.

Im Oktober dieses Jahres blickt sie auf 36 Jahre Berufserfahrung zurück. Selbst nach dieser langen Zeit ist für sie die Geburt eines Kindes nicht zur Routine geworden. Jedes ist für sie einzigartig und fasziniert sie aufs Neue. "Man wird fast süchtig danach, Frauen bei der Geburt Beistand zu leisten", erzählt sie. Besonders stark bemerkt habe sie das, als sie nach der Schwangerschaft mit ihren eigenen drei Kindern ein intensives Bedürfnis verspürte, wieder bei Geburten anderer Frauen dabei zu sein.

Glückszustand

Eine Geburt beschreibt Welskop als einen Zustand voller Glück und Gänsehaut. Geschuldet ist das auch hormonellen Vorgängen: "Heute weiß man, dass Oxytocin bei der Geburt eine wichtige Rolle spielt", erklärt die Hebamme. Das Liebes- und Bindungshormon löst Wehen aus und wird unter anderem nach einer Geburt vermehrt ausgeschüttet, um die Bindung zwischen Mutter und Kind zu stärken.

Viele Eltern bezeichnen die Geburt ihres Kindes als das emotionalste Erlebnis in ihrem Leben. Dieses geht jedoch auch mit Schmerzen für die Frau einher. "Es ist der intensivste Schmerz, den es gibt, darum dauern Wehenschmerzen auch immer nur eine Minute, damit die Frau die ganze Geburt durchhalten kann", erklärt Welskop.

Die Wehenschmerzen, die kommen und gehen, seien in der Natur einzigartig und „nicht annähernd mit irgendeinem anderen Gefühl auf dieser Welt vergleichbar". Obwohl die Planbarkeit immer mehr Einzug in den Kreißsaal zu halten scheint, gebe es laut Welskop nichts, was so wenig planbar sei wie eine normale Geburt: "Die Natur weiß, wann ein Kind reif ist. Man sollte so wenig wie möglich dazwischen pfuschen", so ihr Ansatz. Sie plädiert dafür, die Wahrnehmung von Frauen wieder stärker miteinzubeziehen und sie in dieser zu bestärken.

Außerdem soll angesichts der hohen Kaiserschnittrate hierzulande besser hingesehen werden, welche Frauen diesen operativen Eingriff brauchen und welche nicht. "Während meiner Ausbildung waren noch unter 20 Prozent aller Geburten Kaiserschnitte, heute sind es in Österreich im Schnitt 30", sagt Welskop. Außer Frage steht für sie, dass bei Gefahr für Mutter oder Kind ein Kaiserschnitt vorgenommen werden sollte.

Männer im Kreißsaal

Besonders berührend sind für Welskop häufig die Begegnungen mit werdenden Vätern. "Viele Männer wollen zunächst cool und unnahbar wirken und sind dann doch zu Tränen gerührt", erzählt sie. Den entscheidenden Moment, wenn das Kind auf die Welt kommt, empfinden viele Frauen als erleichternd, für die Hebamme bedeutet er das Abschließen der stundenlangen Begleitung. "Man schaut nach, ob alles in Ordnung ist und ob es dem Kind gut geht. Die Spannung, unter der man während der Geburt gestanden hat, löst sich", sagt Welskop. Ein Gefühl, das für die Hebamme in all den Jahren gleich geblieben ist.

Ihre Sichtweise auf das Leben hat sich durch die Arbeit aber verändert: "Zu sehen, was für Kinder alles getan wird, hat mir den Glauben an die Menschheit zurückgegeben. Ich kann seither in allem etwas Positives sehen." (Elisabeth Mittendorfer)

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"Manchmal muss man auch Psychologe sein"

Hochzeitsfotograf Michele Agostinis beruhigt, hört zu und wird für einen Tag Teil einer fremden Familie.

Die Gefühle anderer Menschen sind sein Geschäft. Michele Agostinis fotografiert Menschen, wenn sie am glücklichsten sind: am Tag ihrer Hochzeit. "Es ist ein Privileg“, erzählt der gebürtige Venezianer, "dass mich die Menschen für einen Tag so tief in ihr Leben lassen. Als Hochzeitsfotograf kommt man dahin, wo die Menschen wirklich leben – in ihre Familien. Es ist wie eine offene Tür in das Leben der Menschen."

Seit zwölf Jahren lichtet Agostinis, der für seine Liebe nach Wien zog, Bräute und Bräutigame ab. Vorher arbeitete er als Pressefotograf für eine italienische Zeitung. Da er vier Sprachen spricht, wird er auf der ganzen Welt gebucht. "Es ist spannend, wie unterschiedlich die Brautpaare in den verschiedenen Kulturen während des Shootings miteinander umgehen. Japaner zum Beispiel haben fast keinen Körperkontakt, amerikanische Paare wiederum sind sehr offen."

Genießen

Einfühlungsvermögen wird dem Hochzeitsfotografen vor allem beim sogenannten "Getting Ready" abverlangt, wenn er die Braut beim Anziehen, Schminken und Frisieren begleitet. "Kurz vor der Trauung ist die Braut meist sehr emotional. Für meine Arbeit ist es aber wichtig, dass sie das Shooting genießt. Ich sorge dafür, dass sie sich beruhigt und vergisst, dass sie in einer halben Stunde heiratet. In meinem Job muss man manchmal auch Psychologe sein."

Hinsehen, zuhören – das hat der Venezianer in seiner jahrelangen Arbeit als Pressefotograf gelernt. "Da kommt man an einen Ort und muss sofort Kontakt aufnehmen mit den Menschen und deren Geschichte hören, Informationen bekommen. Ich habe Erfahrung mit vielen verschiedenen Menschen gemacht, zum Beispiel habe ich über zehn Monate hinweg an einem Projekt über Kinderarbeit in Lateinamerika gearbeitet. Es hilft beim Fotografieren, wenn man in die Lebensgeschichte der Person einsteigt."

Überall Liebe

Die schönste Belohnung sei die Freude der Frischvermählten über die individuellen Bilder. "Und wenn ich merke, dass sich die Leute nicht nur über meine Arbeit freuen, sondern auch über meine Anwesenheit. Dass ich da bin, dass sie mich für einen Tag Teil ihrer Familie sein lassen."

Warum er am liebsten Hochzeiten fotografiert? Der Wahl-Wiener überlegt nicht lange. "An diesen Tagen spürt man einfach überall Liebe. Und als Fotograf bekommt man davon auch ein bisschen was ab." (Julia Pfligl)

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"Falsche Trauer gibt es nicht"

Trauerbegleiterin Elke Kohl begleitet Sterbende und ihre Angehörigen.

Wenn es ernst wird, reden die Menschen lieber mit Außenstehenden wie Elke Kohl. Ihr Beruf und ihre Berufung: Menschen zu begleiten, deren Angehörige im Sterben liegen oder bereits gestorben sind. "Viele Trauernde schreiben mir in solchen Situationen, dass sie mit ihrer Familie nicht offen über ihre Gefühle reden können, weil sie den Sterbenden und den Rest der Familie nicht belasten wollen."

Reden, reden, reden

Doch Reden ist wichtig – für den Sterbenden und die Angehörigen. Die Menschen, die Elke Kohl betreut, sind meist noch jung, viele von ihnen stehen mitten im Leben. "Auch wenn sie wissen, dass sie bald sterben werden, kämpfen sie doch bis zum Schluss und verdrängen das Unausweichliche", ist ihre Erfahrung. "Es sind meist nur kurze Momente, in denen sie bewusst über das Sterben sprechen. Mit dem Partner reden sie über Dinge offen, die noch zu regeln sind, etwa finanzielle Angelegenheiten. Dann steht das Leben wieder im Vordergrund."

Weil viele kämpfen bis zum Schluss, verabschieden sie nicht immer bewusst. "Sie fragen sich eher, was sie in der verbleibenden Zeit noch tun können." Phasen der Traurigkeit gebe es zwar. "Oft sind es aber nur Stunden, wo dann die Wut über die Ungerechtigkeit ausbricht."

Und die Angehörigen? "Am schlimmsten trifft es die, die sich nicht vorbereiten können – wenn etwa der Sohn oder die Partnerin bei einem Unfall stirbt." Aber auch wenn jemand mitansehen muss, wie ein geliebter Mensch leiden muss, ist das oft schwer auszuhalten. "Dann ist man meist wütend und verzweifelt", weiß Elke Kohl.

Die Traurigkeit kommt erst später. "Manche können tagelang nicht aufhören zu weinen, andere empfinden eine Leere oder Aggression." Den Trauernden hilft es dann zu wissen, "dass diese Phase vorbeigeht". Ihnen hilft es, mit anderen über den Verstorbenen zu sprechen, dazwischen auch einmal zu blödeln oder zynisch zu sein.

Wie man letzten Endes trauert, sei höchst unterschiedlich, stellt Elke Kohl fest und beruhigt: "Falsche Trauer gibt es nicht." Allerdings: "Trauer bedeutet immer, dass man sich mit sich selbst intensiv auseinandersetzt. Dadurch verändert man auch sich selbst", weiß sie aus Erfahrung. (Ute Brühl)

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"Das nimmt man mit nach Hause"

Familienrichterin Doris Täubel-Weinreich über aufwühlende Fälle.

Als "höchst emotional" beschreibt Doris Täubel-Weinreich, Vorsitzende der Familienrichter in Österreich, ihren Job. "Wenn Paare am Beziehungsende 'abrechnen', sind Emotionen programmiert, da werden Familiengeheimnisse ausgeplaudert und es wird versucht, den einst geliebten Partner möglichst schlecht darzustellen. Schließlich geht es ja im Scheidungsverfahren immer noch darum, die 'Schuld' des anderen am Scheitern der Ehe unter Beweis zu stellen."

Das alles sei jedoch Alltag einer Familienrichterin. "Wenn Menschen bei einvernehmlichen Scheidungen Tränen in den Augen haben, kann ich damit ganz gut umgehen. Schwieriger wird es, wenn man merkt, wie kleine Kinder unter dem Streit der Eltern leiden."

Nicht abgebrüht

Einmal, erinnert sich die 46-Jährige, habe sich ein Mädchen selbst die Haare ausgerissen, weil sie innerlich zerrissen war – die Eltern gaben jedoch weiter dem jeweils anderen die Schuld für das auffällige Verhalten ihrer Tochter. "Hier die richtige Maßnahme zu ergreifen, ist schwierig", sagt die Richtern, "diese Fälle nimmt man mit nach Hause. Man lernt mit der Zeit, dass das Gericht nicht die Konflikte lösen, sondern nur Entscheidungen treffen kann."

Auch das Bestellen von Erwachsenenvertretern fällt in die Zuständigkeit der Familienrichterin – Schicksale, die sie nach 20 Jahren Berufserfahrung immer noch emotional mitnehmen. "Hier kommt man oft in völlig verwahrloste Wohnungen zu psychisch kranken Personen und fragt sich, ob man nicht manche Entwicklung hätte früher stoppen können. Das Problem ist, dass man mit solchen Fällen nicht täglich konfrontiert ist, daher ist man da nicht so abgebrüht." Beim Abschalten helfe ein harmonisches Familienleben und intensive Hobbys. Bereut habe Täubel-Weinreich ihre Berufswahl nie: "Man hat stets das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, und manchmal gelingen nachhaltige Lösungen. Daraus schöpft man Energie für die nächsten Fälle." (Julia Pfligl)