Leben/Gesellschaft

Glücksrezept aus dem Norden

Endlich Weihnachten. Zeit um sich zurückzuziehen, ein paar Kerzen anzuzünden, sich in die Wolldecke einzukuscheln und einfach nichts zu tun. Der eisige Wind, Stress, trübe Gedanken, Regen, Schnee und Kälte müssen draußen bleiben. Willkommen sind nur Freunde, Familie, Hund und Katze. Ohne blindes Vertrauen kann man nicht loslassen.

Wir machen es uns hyggelig wie die Dänen oder koselig wie die Norweger und üben uns vielleicht auch bald in Lagom wie die Schweden (siehe Seite 38). Aber bitte kein Stress, die österreichische Gemütlichkeit tut es natürlich auch, ebenso die buddhistische Gelassenheit oder die yogische Achtsamkeit. Das Wohlfühl-Buffet ist reichhaltig und bietet für jeden etwas.

Dennoch lohnt sich der Blick nach Norden. Immerhin sind die Dänen seit Jahren Top beim Ranking des World Happiness Reports der Vereinten Nationen. Schon erstaunlich, in Dänemark regnet es immerhin 179 Tage im Jahr und von Oktober bis März überwiegt die Dunkelheit. In Norwegen, Schweden, Island und Finnland ist es bestimmt nicht viel heller, und trotzdem sind alle diese Nationen regelmäßig unter den Top 10 des Glücksberichts.

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Kleine Begriffskunde in Sachen skandinavischer Zufriedenheit: Was HYGGE (sprich hügge) für die Dänen, ist KOS (sprich kus) für die Norweger. Koselig (kusele) sagt man in Norwegen, wenn etwas gemütlich ist. Die Schweden haben für ihr Glück LAGOM (sprich lahgom), dabei geht es darum, das genau richtige Maß zu finden, Extreme zu vermeiden. Also entspannt essen, wohnen, das Dasein genießen. Eine Lebenseinstellung, die zu Skandinavien gehört, wie Knäckebrot und Köttbullar.

Einfach alles will hyggelig sein

Doch bleiben wir zunächst im kleinen Königreich Dänemark, dem Land von Lego, Kommissarin Lund, der Prinzessin auf der Erbse, Zimtschnecken und Smørrebrød. Denn es existiert derzeit große Nachfrage nach dem Glücksrezept der Dänen. Was können die Menschen in Kopenhagen, Aarhus und Bornholm also besser als alle anderen? Sie haben Hygge (sprich hügge). Klingt zwar wie ein neues Sofa aus Schwedens berühmtestem Möbelhaus, ist und bleibt aber dänisch und beschreibt ein Lebensgefühl, das übrigens seit diesem Sommer im Duden steht und dort so erklärt wird: „Gemütlichkeit, Heimeligkeit als Lebensprinzip (in Dänemark)“. Ein Lebensprinzip, das bereits vor drei Jahren flügge wurde. Das international hoch angesehene Magazin „The New Yorker“ machte 2016 zum „Year of Hygge“. Aber angestoßen wurde der Trend schon 2014 in England, um dann auch Amerika, Kanada, Deutschland und Österreich zu erreichen.

Die Hygge-Zutaten Von Hygge-Ratgebern über hyggelige Möbel, Geschäfte, Cafés, Mode, Rezepten, Basteltipps und Frisuren gibt es mittlerweile nichts, was nicht hyggelig sein kann. Alle wollen am Wohlfühlkuchen mitnaschen. Es war übrigens der Glücksforscher Mike Wiking, Leiter des dänischen „Happiness Research Institute“, der den Bestseller zum Thema geschrieben hat („Hygge – ein Lebensgefühl, das glücklich macht“, Bastei Lübbe, 20 Euro). Darin enthalten ist die genaue Aufschlüsselung der dänischen Art herrlich zufrieden zu leben. Folgende Zutaten gehören demnach zum Glücksrezept: – sich durch gedimmtes Licht oder Kerzen eine schöne Atmosphäre zu schaffen, Handy, Computer und Fernsehen dabei auszuschalten; – Kekse, Kaffee und Kuchen zu genießen; – In (kleiner) gemütlicher Runde zusammenzusitzen, wo keiner dem anderen etwas beweisen muss, jeder zu Wort kommt, sich keiner in den Vordergrund drängt, man sich geschätzt und geborgen fühlt.

Volksopern-Star Morten Frank Larsen über Hygge:

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Hipp, hipper, Hygge Das ist längst nicht alles, sagt der Psychologe Stefan Höfer: „Natürlich spielt auch eine Rolle, dass die sozialen Rahmenbedingungen in Dänemark wie auch in Norwegen oder Schweden sehr gut sind. Geringe Arbeitslosigkeit, hohe Löhne, ein funktionierendes Gesundheitssystem. Im Wohlfahrtsstaat zu leben, sorgt für Wohlgefühl. Denn es beeinflusst, wie hoch die gefühlte Sicherheit ist – und das ist ein wichtiger Parameter für die Fähigkeit, Glück zu empfinden.“ Hipp, hipper, Hygge – dennoch stellt sich die Frage, ob hier einfach nur ein Lifestyle als Trend verkauft wird, der den Dänen selbst vielleicht gar nicht so viel bedeutet. Wer weiß. In TV-Kommissarin Lunds düsterer Welt jedenfalls ist nichts Heimeliges zu finden. Außer ihr Schlabber-Pullover vielleicht, ein gestricktes Stück Geborgenheit. Die freizeit hakte nach und fragte Dänen, die in Wien leben und arbeiten, ob Hygge in Dänemark wirklich so eine große Rolle im Alltag spielt. Ein klares Ja von Liselotte Plesner, der dänischen Botschafterin in Wien (siehe unten): „Ich würde sagen, dass Hygge unsere Wahrnehmung und unsere Art und Weise beisammen zu sein sehr stark prägt. Wir Dänen bringen Hygge mit Dingen wie Geborgenheit, Wohlempfinden, Gemütlichkeit, Gemeinschaft und Freude in Verbindung.“ Auch Bariton Morten Frank Larsen (siehe oben), seit mehr als 17 Jahren festes Ensemblemitglied an der Volksoper Wien, bestätigt: „Hygge ist in Dänemark ein gesellschaftlicher Grundwert und hat im Alltag der ganzen Bevölkerung Priorität, alle betrachten es als wertvoll und wichtig.“

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Ein Mal Wollsocken, bitte Super, denkt da der gelernte Österreicher, Däne muss man also sein, um glücklich zu sein. Oder ist das gelungene Lebenskonzept eines Landes auch für Menschen in anderen Ländern anwendbar? Nicht unbedingt, sagt Psychologe Höfer. Denn gelebte Kultur erfährt der Mensch von Kindesbeinen an und wird ganz selbstverständlich ins Erwachsenenalter mitgenommen. „Hygge wie ein Däne zu leben, geht nur, indem man seinen Lifestyle ändert.“ Sich Wollsocken anzuziehen, dänische Rezepte nachzukochen oder die Wohnung mit dänischem Design auszustatten kann Spaß machen, ist aber kein Hygge. So wie eine Yogamatte und Om-Gesänge auf CD zu besitzen noch nichts mit Yoga zu tun hat.

Natürlich könne man sich bei anderen ein Beispiel nehmen. Geht es doch für die innere Zufriedenheit sehr darum, im Alltag immer wieder auch Distanz zwischen sich und seine Probleme zu bringen. Dabei kann Hygge durchaus die richtigen Zutaten liefern. Bloß kein Stress und sich mit einfachen Mitteln ein Stück Geborgenheit zaubern. Die Welt bleibt draußen, zuhause im Kreise von Menschen, denen wir vertrauen können, kann man leichter locker lassen, also loslassen. „Das ist eigentlich das Wichtigste, die Fähigkeit sich zu entspannen“, sagt Höfer. Und zwar ohne Fernsehen, Computer, und sogar ohne zu lesen. Denn es gelte die Aktivität der Nervenzellen im Gehirn runterzufahren, „was am besten mit Meditieren, Fantasiereisen oder Spazieren in der Natur geht“, so der Psychologe. Bleibt die Frage: Wie glücklich kann ein Mensch eigentlich werden? Wann geht es einem gut? Wann nicht gut genug?

Glück kann man nicht endlos steigern „Um zur persönlichen Zufriedenheit zu gelangen, gibt es viele Wege, und jeder muss selbst schauen, was für ihn passt. Was auf jeden Fall unmöglich ist, ist das Glücklichsein ins Endlose zu steigern. Glück ist kein Bruttosozialprodukt“, sagt Psychologe Höfer. Und ist Unzufriedenheit nur schlecht für den Menschen? Nein, natürlich nicht. Schließlich möchte sich der Mensch weiterentwickeln. Und erst die Unzufriedenheit führt oft dazu, dass wir entscheidende Schritte unternehmen, damit es uns besser geht. Entscheidend ist: „Unsere Konstante ist die Veränderung“, sagt Höfer, „und kein Leben kann immer nur zur persönlichen Zufriedenheit laufen.“ Dazu passt auch, dass es selbst im Hyggeland Schattenseiten gibt. Glücksforscher Mike Wiking bestätigt: Für Zugezogene in Dänemark ist es gar nicht so leicht, Anschluss zu finden. Wie denn auch, wenn es für 60 Prozent der Dänen am hyggeligsten mit drei bis vier Personen ist – und das am liebsten in den eigenen vier Wänden. Dazu kommt, dass einen das Glück der anderen auch unerträglich scheinen kann, wenn man selbst im Dunkeln tappt. Glück und Unglück liegen ja oft sehr nah beinander.

Und in Österreich? Ja, und wie fühlen sich die Österreicherinnen und Österreicher in Sachen Zufriedenheit? Immerhin gehören wir ja laut World Happiness Report ebenfalls stets zu den Top 15 der glücklichsten Nationen – das ist zwar hinter den Skandinaviern, aber dennoch kein Grund zu jammern, findet auch Psychologe Höfer: „Der Report zeigt, die Menschen in Österreich sind zufrieden.“ Die Top-15-Platzierungen seien sogar sensationell gut. „Kein Wunder, wir haben ja auch sehr hohen sozialen Zusammenhalt, ein sehr gutes soziales Gefüge, eine hohe Lebenserwartung, genug Ressourcen und können in unserem Leben sehr viele Entscheidungen selbst treffen. Alles Zutaten für das Wohlbefinden einer Gesellschaft. Wer sich gerade jetzt zu Weihnachten dennoch nicht sicher ist, ob er sich ein bisschen Hygge oder eine andere Art von Wärme über die Feiertage zaubern kann, dem rät der Psychologe: „Innehalten, wahrnehmen, was alles da ist, was man hat, auch wenn es einem subjektiv schlecht geht.“ Vielleicht kommt man drauf, dass das Leben hyggeliger ist, als man glaubt – das wäre dann schon der erste Schritt zum Glück. In Dänemark ist übrigens zu Weihnachten Hygge-Hochsaison. Gemütliches Fest!