Leben/Gesellschaft

Erziehung: Wenn Buben in Kleidern tanzen und mit Puppen spielen

„Bei uns gibt es keine klassischen Familiensonntage oder Wochenenden zu dritt. Wenn meine Familie Zeit mit mir verbringen möchte, dann müssen wir das gut im Voraus planen.“ Sabine rührt in ihrem Kaffee um. „Sind Sie jetzt schockiert?“, hängt sie an und lächelt schelmisch.

Die 37-Jährige verwirklicht gerade ihre Start-up-Idee und sprüht vor Energie. Die Vorfreude auf die Umsetzung ihrer beruflichen Träume ist groß. So auch der Zeitaufwand, der in das kleine Unternehmen fließt. Die Familie muss das verstehen. „Meine Tochter freut sich allerdings sehr auf gemeinsame Sonntage.“ Auch wenn das in manchen Ohren ganz furchtbar klinge, „ist es überhaupt nicht. Sie ist wahnsinnig stolz auf mich. Ich bin ihr großes Vorbild, sagt sie immer.“

Ilvi ist acht Jahre alt, trägt einen Kurzhaarschnitt und spielt Eishockey. Sie erzählt, dass sie es zwar schade findet, dass ihre Mutter nicht gut kochen kann, „aber dafür ist ja der Papa da, der Hausmann ist.“

Womit Ilvi spielt, haben ihre Eltern nie vorgegeben. Vergeblich sucht man in ihrem Zimmer nach klischeehaftem Spielzeug. „Meine Tochter ist sicher nicht das typische Mädchen, wir lassen sie sein, wie sie ist. Sie soll sich so frei wie nur möglich entwickeln können. Sie wollte einen burschikosen Kurzharschnitt, also hab ich den Friseurtermin ausgemacht.“ 

Es sind Familien wie diese, die unsere Gesellschaft verändern. Von den einen belächelt, von anderen gefeiert. Ein bedeutsamer Teil von genderneutraler Erziehung ist das Vorleben von modernen Geschlechterrollen. Hört man sich ein bisschen um, so scheiden sich die Geister jedoch daran, wo diese Art der Erziehung beginnt und auch daran, wo sie aufhört.

Tribut an die Freiheit

Storm, Searyl und Zoomer. Drei Namen, drei Babys. Kein Geschlecht. Für viele Menschen ist hier wohl die Grenze überschritten.

"Wir haben uns dafür entschieden, das Geschlecht nicht bekannt zu geben. Es ist ein Tribut an die Freiheit und an die Wahl", diese Zeilen haben die Eltern vom kanadischen Baby Storm im Jahr 2011 kurz nach der Geburt an Freunde und Familie verschickt.

Über das biologische Geschlecht wussten nur die engste Familie und jene Personen, die bei der Geburt dabei waren, Bescheid. Die Eltern erklärten in vielen Interviews, denn das mediale Interesse war sehr groß, dass das Benennen des Geschlechts den Rest des Lebens maßgeblich beeinflusst. Storm sieht die ersten Jahre äußerlich weder wie Bub noch wie Mädchen aus. Es wird vermieden, das Kind mit „er“ oder „sie“ anzusprechen.

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Wenn jemand nach dem Geschlecht fragt, wird nichts gesagt. Das hat teilweise zu heftigen Reaktionen geführt. Die Eltern mussten viel Kritik einstecken. Dass die ganze Welt wissen müsse, was sein Kind zwischen den Beinen trägt, sei ungesund und voyeuristisch, verteidigt der Vater den Erziehungsstil in einem späteren Interview.

Baby Searyl, ebenfalls aus Kanada, ist wohl das erste Kind, das in seinem Gesundheitspass kein Geschlecht eingetragen hat. Anstatt „weiblich“ oder „männlich“ steht in der E-Card des Babys ein „U“. Unknown. Es sei nicht die Aufgabe des Staates zu bestimmen und zu dokumentieren, welche Geschlechteridentität jemand annehme, ließen die Eltern im Jahr 2017 die Welt durch die Medien wissen.

Sie werden ihrem Kind ihre ganze Liebe und Unterstützung schenken, damit es zu der Person heranwächst, die es sein kann – ohne Einschränkungen, die mit der Buben- und der Mädchen-Schublade zu tun haben. Das Kind solle, wenn die Zeit gekommen ist,  selbst entscheiden, wer und wie es sein möchte.

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Baby Zoomer hat einen eigenen Hashtag auf Instagram, die Eltern betreiben den Account seit der Geburt. Sie dokumentieren die Erziehungserfahrungen zudem auf einem begleitenden Blog. Alles unter #RaisingZoomer. Die Familie stammt aus Utah und zählt bereits abertausende Fans und Follower auf ihren Web-Kanälen.

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Gender Creative Parenting nennt sich die Erziehung von Storm, Searyl und Zoomer. Das Geschlecht wird geheim gehalten. Oder anders gesagt: Es bleibt offen.

Von Freunden und "hen"

Auch in Europa wird das „offene Geschlecht“ bereits gelebt. Egalia heißt die umstrittenste und bekannteste Vorschule Schwedens, die im Jahr 2010 eröffnet wurde. Die Pädagogen sagen statt "Bub" und "Mädchen" ohne Ausnahme "Freunde". Die Pronomen "er" und "sie" gibt es nicht, stattdessen wird der in Schweden mögliche geschlechtsneutrale Begriff „hen“ benutzt.

Nach Märchenbüchern sucht man in den Regalen vergebens, denn Märchen vermitteln Klischees, die in Egalia sehr unbeliebt sind. Viele Bücher, die dort verwendet werden, handeln von homosexuellen Elternpaaren, Adoptivkindern oder Alleinerziehenden.

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Kritiker sagen, das wäre umgekehrte Ausgrenzung. Mit zu viel Anstrengung würden die klassischen Stereotype verbannt und sowieso seien die Kinder im Vorschulalter zu jung, um die Rollendebatte zu verstehen. Egalia-Konzepte oder geschlechteroffene Erziehung sind hierzulande nicht oder sehr selten anzutreffen. Mit dem weniger extremen Konzept der genderneutralen oder geschlechtersensiblen Erziehung setzen sich jedoch immer mehr Menschen auseinander.

"Wenn ich groß bin, will ich eine Frau sein"

Suzana ist 44 Jahre alt und Mutter von sechsjährigen Zwillingen, ein Bub und ein Mädchen. Ihr Mann, sie und die Kinder leben gemeinsam in Wien. Sie unterrichtet Geographie an einem Gymnasium. Sie gibt zu, dass es zeitweise schwierig ist, sich von geprägten Rollenbildern zu distanzieren. „Aber wir versuchen es.“

Sie beschreibt die Erziehung ihrer Kinder als instinktiv. „Wir leben ihnen vor, dass Mann und Frau sich die Aufgaben des Lebens teilen. Mein Partner arbeitet viel von zuhause, ist also öfter präsent als ich. Er macht sehr viel im Haushalt. Er schaut, dass der Kühlschrank voll ist.“ Suzana  hingegen ist beruflich sehr oft auf Seminaren und zeitlich sehr eingespannt. „Ich lebe vor, dass es normal ist, einen Job zu haben und wenn meine Kinder mich fragen, warum ich so viel arbeite, dann erkläre ich ihnen, dass ich meinen Beruf sehr gerne mache. Sie verstehen, dass das eine gute Sache ist.“

Die beiden Kinder, Giulia und Nico, hatten von Beginn an jegliche Art von Spielzeug zur Verfügung. „Ich habe nie vorgegeben, womit sie sich beschäftigen. Bis heute.“ Nico greift mit Begeisterung zu Puppen. „Erst gestern hat er mich gebeten, ihm dabei zu helfen, eine Barbie hübsch anzuziehen.“ Sie erzählt amüsiert eine weitere Anekdote. „Wenn ich groß bin, will ich eine Frau sein – das hat er vor ein paar Wochen zu mir gesagt. Wir hatten gerade über die Zukunft geredet, da ist das plötzlich aus ihm herausgeschossen“.

Im Wiener Kindergarten spielt Giulia als einziges Mädchen am liebsten in der Bauecke. Die Puppenecke, wo sich die anderen Kinder verkleiden, hat sie nie interessiert. Sie liebt Fußball und möchte später ein Tormann werden, wie sie selbst sagt. Keine Torfrau. „Ich vermute, das liegt dann doch an den medialen Einflüssen, weil sie Torfrauen seltener sieht“, sagt Suzana. „Nico spielt wiederum viel lieber mit Mädchen als mit Jungs. Giulia bastelt am liebsten Papierschwerter und ahmt Ritterspiele nach.“ Sie grinst und zeigt Fotos ihrer Kinder.

Die beiden geschlechteroffen zu erziehen, wie das etwa in Egalia-Einrichtungen gemacht wird, sei sehr schwierig. Schließlich ziehe man die Kleinen nicht in einem Vakuum auf. „Das Geschlechter-Thema ist außerdem sehr attraktiv für die Kinder. Meine beiden haben schon sehr früh begonnen, Fragen zu stellen.“

Was Suzana und ihrem Mann besonders wichtig ist: „Bei uns gibt es keine Bewertungen. Wenn Nico im Ballettkleid vor uns tanzt oder mit der Puppe spielt, wird er nicht belächelt, sondern wir tanzen und spielen mit ihm. Ich denke, darum geht es im Kern der Sache.“

Raus aus der Rolle

„Durch diese moderne Erziehung sollen klassische Geschlechterbilder vermieden oder umgangen werden, damit die Kinder zu anderen, individuellen Lösungen finden können“, sagt Genderforscherin Sabine Grenz. Das Ziel sei es, Menschen zu erziehen, die neue Wege beschreiten. Sie sollen in ihrem Denken aus den festgefahrenen Vorstellungen heraus kommen, in denen vor allem die Frau auf bestimmte, fürsorgliche Tätigkeiten festgeschrieben ist, die ihr wenig Zeit und Raum für andere Dinge lassen.

Auch bei den Buben gehe es darum, dass auch sie ihre ganze Bandbreite ausleben können. „Dass der Junge einfach sagen kann, er möchte Balletttänzer werden, ohne dass sich jemand über ihn lustig macht. Oder dass ein fünfjähriger Bub, der mit einer Puppe in den Kindergarten geht, nicht ausgelacht wird“, sagt Grenz.

Auf die Frage zur breit gestreuten Annahme, ob ein Bub ohne jegliche Sozialisierung des Umfeldes eher zum Auto als zur Puppe greifen würde, schüttelt Grenz nur den Kopf. „Die Entscheidung, ob ein Kind zum Auto oder zur Puppe greift hat immer mit Sozialisierung zu tun. Denn ohne unsere Gesellschaft gäbe es das Auto und die Puppe nicht. Wir sind Gesellschaftswesen und können uns davon nicht loslösen. Die rein natürliche Erziehung gibt es nicht“, erklärt die Genderforscherin und konkretisiert die historischen Hintergründe.

Dass Männer eher aggressivere und Frauen tendenziell sensiblere Menschen wären, seien Eigenschaften, die wir den Geschlechtern über viele Jahre hinweg zugeschrieben haben.

Die Zuschreibungen wären Erfindungen der Moderne und hätten ihren Ursprung erst im 18. Jahrhundert. Das habe also tatsächlich nichts mit unserer Natur zu tun, sondern sei ein historisches Produkt, das sich über die letzten 250 Jahre sehr gut durchgesetzt hat. "So gut, dass es im heutigen Alltagswissen fix platziert ist. Die Biologie und Anthropologie haben sich weiterentwickelt und von diesen Vorstellungen entfernt."

Doch die Geschlechterzuschreibungen seien ins Alltagswissen eingedrungen und sehr schwer wieder wegzubekommen. "Dieses falsche Wissen wurde leider ständig wiederholt, so dass es sich verfestigen konnte. Aber Tatsache ist: Nein, ein Bub würde ohne Sozialisierung nicht eher zum Auto als zur Puppe greifen.“

Kinder kämen mit einer individuellen Persönlichkeit auf die Welt, die habe oft nichts mit dem Geschlecht zu tun. Das werde lediglich gerne so interpretiert, dass es ein wilder Junge ist, als Bestätigung. Bei Geschwistern sei die Annahme des gegensätzlichen Verhaltens übrigens oft eine Abgrenzung, um sich Raum zu schaffen.

Besonderes Augenmerk sollte auf den Kindergarten gerichtet werden, da in dieser Zeit viele Prägungen passieren. „Es ist relevant, welche Pädagogen und Pädagoginnen dort tätig sind. Welche Kinderbücher vorgelesen werden, welches Spielzeug es gibt und wie die anderen Eltern ihre Kinder erziehen, die mit dem eigenen Kind viel Zeit verbringen.“

Der Vater wird angerufen

Im Jahr 1999 wurde der erste gendersensible Kindergarten Wiens, Fun & Care in Rudolfsheim-Fünfhaus, ins Leben gerufen. Über die Jahre hinweg ist er gewachsen und das Konzept hat einige Modernisierungsprozesse durchlaufen. Heute werden hier acht Gruppen betreut.

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„Kindern positive und abwechslungsreiche Rollenvorbilder zu vermitteln ist uns besonders wichtig. Deshalb arbeiten bei uns gleichermaßen Frauen und Männer und erledigen selbstverständlich die gleichen Aufgaben im Kindergartenalltag“, erklärt Kindergarten-Leiterin Sandra Haas.  

Frauen-Werktage oder Männer-Keksbacktage stehen an der Tagesordnung und sollen dabei helfen, längst überholte Klischees erst gar nicht aufkommen zu lassen. Wird ein Kind krank und muss abgeholt werden, ruft Haas gerne den Vater an. Faschingsfeste stehen unter einem Motto, das Verkleidungen ohne Stereotype sichern soll. Zuletzt war es „Obst und Gemüse“.

Die Räume sind in neutralen Farben gehalten oder naturbelassen in Holz. Kürzlich war eine Fußballerin zu Gast, der die Kinder Fragen stellen durften. Die Fotos von dem Besuch hängen an den bunt bemalten Wänden. „Wir sind voll belegt, das liegt sicher auch an unserem geschlechtersensiblen Schwerpunkt“, erzählt Haas und führt in ihr Büro.

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Gendersensible Pädagogik bedeute: Chancengleichheit für Buben und Mädchen. Sie sollen wissen, sie dürfen sich für alles interessieren. „Bei uns sehen sie einen Mann mit einer Puppe spielen oder uns Frauen mit einem Legobauwerk. Das Vorleben von Nicht-Klischees ist eine wichtige Sache.“ 

Die verwendeten Kinderbücher werden sorgfältig ausgewählt, je nachdem, ob vertretbare Geschlechterrollen darin thematisiert werden. „Es gibt beispielsweise nur Feuerwehrbücher mit Männern, da inkludieren wir die Feuerwehrfrau beim Vorlesen in den Text. Was wir auch sehr gerne mögen, sind Prinzessinnen-Geschichten, in denen die Frau die Heldin ist. Soll sie eine Prinzessin sein, aber sie darf zudem auch mutig, stark und tapfer sein.“

Haas betont, dass es nicht nur um die Mädchen geht. „Auch die Jungs sollen nicht immer nur dem Heldenstatus hinterher eifern. Jungs sollen lernen, dass es okay ist, Angst zu haben oder dass sie zugeben, dass sie Glitzer mögen.“

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Lässt man den Blick über die Kinder streifen, so fällt auf, dass die Kleinen hier überraschend stereotyp gekleidet sind. Röckchen und Heldenapplikationen eben. „Das ist für mich nicht vordergründig. Mädchen sollen ruhig ihr Kleid anhaben. Aber sie sollen wissen, dass sie mit dem rosa Kleid alles erreichen können, sich schmutzig machen oder wild herumtoben. Da geht es um Selbstbewusstsein, ohne Einschränkungen“, sagt Haas.

In den Vorschulgruppen werden die Geschlechterrollen diskutiert. Etwa, ob Jungs lange Haare tragen sollen. Haas sagt, dass es immer einige Kinder gibt, die tatsächlich schon in dem jungen Alter stark besetzt sind, was Geschlechterklischees angeht. „Wir nutzen so etwas, um mit ihnen zu reden. Wir fragen sie dann, warum sie das glauben. Wir zeigen ihnen, dass das hinterfragt werden kann.“

Rosa und Blau - na und?

Schon beim Betreten des Vorzimmers zeigt sich, was Bettina vorab bereits angekündigt hatte. „Klischee, wohin man schaut“, dann lacht die 34-jährige laut über sich selbst und ihre zwei Kinder. Der zweijährige Felix spielt gerade mit einem blauen Polizeiauto, begleitet von einem tiefen „Brumm, Brumm!“. Gleich daneben probiert seine vierjährige Schwester Sara ihre rosafarbenen Gewänder an und sucht nach einer passenden Kette. „Komm, ich zeige dir mein schönstes Kleid!“

Bettina ist gerade frisch von ihrem Mann getrennt und lebt mit ihren beiden kleinen Kindern nun in einer neuen Wohnung in Baden. Sie unterrichtet an einem Gymnasium Mathematik und Sport. Mit dem Begriff „Genderneutrale Erziehung“ fängt sie nach eigenen Worten recht wenig an. „Sara will Barbiepuppen, also bekommt sie Barbiepuppen. Sie hat einmal einen Baukasten bekommen, der hat sie aber überhaupt nicht interessiert. Ich sehe daran nichts Negatives.“

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Für sie hat die Auswahl des Spielzeuges und der Kleidung ihrer Kinder aber nichts mit Stigmatisierung in traditionellen Geschlechterrollen zu tun. „Ach, das ist doch nur Spielzeug und es bereitet ihnen jetzt Freude.“

Bettina selbst wurde „mädchenhaft“ erzogen. Fleiß war wichtig, Benehmen und auf die Ausbildung achten. „Ich sage es ganz ehrlich: Ich liebe pink und Glitzer, aber bin deshalb sicher nicht die typische Frau oder war das typische Mädchen. Ich habe Mathematik studiert, ich habe Sport studiert. Ich fahre Motorrad, spiele Bass in einer Band und habe immer mehr Alkohol vertragen als jeder meiner Freunde“, wieder kommt Bettina ein lautes Lachen aus.

Dann rollt sie die Augen. „Ich trage gerne Kleider, auch jetzt gerade. Aber ich lebe das klischeehafte Rollenbild trotzdem nicht. Heute habe ich zum Mittagessen selbstgemachte Packerlsuppe gekocht“, scherzt sie und drückt ihrer Tochter ein Bussi auf die Stirn. „Ja, ich habe einen sozialen Beruf, das wird ja den Frauen auch gerne zugeschrieben, aber dafür bin ich dort überhaupt nicht finanziell benachteiligt. Kurzum: Ich mache sehr viele ‚männliche’ Dinge, bloß im rosa Kleid.“

Eine starke Frau

Für Bettina stellt es keinerlei Problem dar, ihre Tochter mit Puppen, Barbie-Villa und Kleidchen auszustatten. „Ich bin davon überzeugt, dass die Zukunft meiner Kinder nichts mit rosa Kleid oder blauer Jeans zu tun hat. Sie wird sicher eine ganz starke Frau werden.“

Die kleine Sara ist immer noch mit ihrer Modenschau beschäftigt . Ganz stolz führt sie ein Kleid nach dem anderen vor und zeigt, wie weit sie schon zählen kann. „Sieben Kleider!“ Sie zeigt die Zahl mit den Fingern in die Luft und ist sichtlich stolz.

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Sara ist sehr ruhig, der um zwei Jahre jüngere Felix hingegen ein lautes Kind. „Sie war von Anfang an die Ruhige. Ich kann ehrlicherweise aber nicht sagen, ob das an Persönlichkeit oder Geschlecht liegt“, meint Bettina und blickt ihren Sohn an, der recht fordernd nach einem zweiten Teller Suppe fragt.

Felix besucht aktuell die Krabbelstube, Sara geht bereits in den Kindergarten. „Das ist wirklich ganz oldschool-traditionell dort. Es gibt sogar noch Kindergartentanten.“ Nur Frauen leiten die Gruppen. Es gibt eine Puppenecke, in der die Mädchen spielen und eine Bauecke, in der sich die Burschen mit Klötzen und Autos beschäftigen. „Sara hat nur weibliche Freundinnen. Aber ich sage es ganz ehrlich: für mich war wichtig, dass der Kindergarten nur drei Minuten von Zuhause entfernt ist. Ich arbeite Vollzeit, bin die meiste Zeit alleine mit zwei kleinen Kindern.“

Bettina sagt, das Wichtigste für sie sei, dass ihre Kinder gerne in den Kindergarten gehen. „Und sie lieben es, dort zu sein.“ 

Reflektieren, reflektieren, reflektieren

Genderforscherin Sabine Grenz erinnert daran, dass wir auch als Erwachsene nicht davor gefeit sind, in Rollenklischees zu tappen, „weil diese Geschlechterpraktiken so gut eingeübt wurden.“

Diese Einübung passiere übrigens schon im Säuglingsalter, also vor unserer Erinnerung und sei somit schwer zu durchbrechen. „Man kann diese Dinge aber reflektieren, versuchen sie anders zu machen und so die Gesellschaft langsam verändern. Und so die Kinder anregen, auch über das Thema nachzudenken“, fährt Grenz fort.

Im Jahr 2016 hat Storm im Alter von fünf Jahren übrigens das erste Mal selbst Stellung bezogen. Das Kind wollte ab sofort als Mädchen angesprochen werden.

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