Leben/Gesellschaft

Die Rezepte gegen das Übergewicht bei Kindern

Links, links, rechts und nochmals links – Tamara Knopf erläutert eine von vielen Übungen, die sie für die Schüler der Volksschule Haebergasse in Wien vorbereitet hat. Die Kinder sollen einbeinig von Ring zu Ring hüpfen und dabei ihr Gewicht verlagern – eine Aufgabe innerhalb des Parcours, den die Buben und Mädchen zu bewältigen haben.

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Knopf ist Sportwissenschaftlerin und arbeitet am Projekt "Eddy" mit, dessen Ziel es ist, Kinder vor Übergewicht und dessen Folgen zu bewahren.

Erst vor wenigen Tagen warnten Forscher, dass der Anteil fettleibiger Menschen an der Weltbevölkerung dramatisch gestiegen ist - und Kinder besonderst stark betroffen sind.

Experten wollen jetzt gegensteuern. Und sie sagen: Der Weg zum gesunden Kinderkörper führt über Bewegung und gesunde Ernährung. Das Projekt Eddy wird zudem wissenschaftlich begleitet - mehr dazu lesen Sie hier.

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Seit eineinhalb Jahren nimmt die Meidlinger Schule an "Eddy" teil. Pro Semester besuchen Wissenschaftler acht Wochen lang die Schule – Tamara Knopf und ihre Kollegen übernehmen dann zwei Turnstunden, während Christina Pöppelmeyer im Rahmen des Sachunterrichts Kindern Lust auf gesundes Essen macht. Wie das funktioniert? "Wir gehen auf kulinarische Entdeckungsreise. Wir riechen und schmecken Lebensmittel und fassen sie an. Einmal haben wir zum Beispiel gekostet, wie unterschiedlich grüne Salate schmecken können. Vom Häuptelsalat über Lollo Rosso bis zum Romanasalat reicht die Geschmackspalette", sagt die Ernährungsexpertin.

An einem anderen Tag wird gemeinsam Müsli oder selbst Butter gemacht, indem Schlagobers geschüttelt wird. Spannend ist für die Kinder zu sehen, aus welchen Grundprodukten ihre Lieblingslebensmittel stammen. "Dass Cornflakes aus Mais gemacht werden, war den meisten nicht klar."

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Salat zur Jause

Doch das beste Programm in der Schule bringt nichts, wenn die Eltern nicht mitmachen. Deshalb hat Pöppelmeyer den Kindern einen Broschüre mitgegeben, in dem einfache Jausenrezepte waren. "Denn alles, was zu kompliziert ist, wird nicht dauerhaft umgesetzt."

Das Engagement zeigte Erfolg: "Heute habe ich ein Vollkornweckerl mit Putenschinken mit", erzählt Alma*. Während Emir ein mit Salat gefülltes Marmeladenglas mitgebracht hat. "Das ist am Vorabend schnell vorbereitet. Das Dressing kommt unten hinein, danach schichtet man Zutaten wie Tomaten, Gurke oder Salatblätter darauf. Kurz bevor man den Salat essen will, schüttelt man das Glas", erzählt Pöppelmeyer. Markus Bauer, Lehrer an der Volksschule, berichtet, dass das Projekt nachhaltig wirkt: "Im Alter zwischen sieben und elf Jahren saugen die Kinder viel von dem auf, was in der Schule passiert. Das ist ein großer Vorteil, denn sie erzählen zu Hause, was sie gelernt haben. Das gilt auch für die Ernährung."

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Seine Kollegin Iris Persterer merkt vor allem den Fortschritt in der Fitness der Kinder: "Sie sind viel beweglicher als früher. Und ganz schön ausgepowert nach einer Eddy-Stunde."

Dadurch, dass meist mehrere Sportwissenschaftler und Studenten in den Eddy-Stunden sind, bleibt mehr Zeit für Bewegung: "Wenn wir in den Turnsaal gehen, ist der Parcours bereits aufgebaut, sodass wir sofort loslegen können. Und weil es so viele Betreuer gibt, haben wir Zeit, mit Kindern parallel schwierigere Übungen wie Liegestützen zu trainieren. Das können wir als einzelne Lehrer gar nicht alles leisten."

Begeisterung steckt an

Der Erfolg von "Eddy" (gesponsert vom Diskonter Hofer und dem Österreichischen Herzfonds) ist messbar. "Wir beobachten, wie sich der Fettanteil bei den Schülern entwickelt", sagt Univ. Prof. Kurt Widhalm, Leiter des Projekts. Das Gleiche gilt für die Beweglichkeit. Das Geheimnis des Erfolgs fasst Sportwissenschaftlerin Tamara Knopf mit zwei Worten zusammen: Vielfalt und Selbstverkörperung. Was das heißt? "Wir müssen den Kindern eine Menge an Bewegungsangeboten machen, denn Sport ist mehr als nur Fußball. Und die Lehrer müssen selbst voller Begeisterung mittun."

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Das haben sie erst kürzlich bewiesen, als ein Dauerlauf auf dem Trainingsprogramm stand: "Da sind einige Pädagoginnen spontan mitgerannt", erzählt Knopf. Die Begeisterung war ansteckend. "Am Ende waren alle im besten Sinne erschöpft", sagt Lehrer Bauer. Aber keiner war überfordert oder hat sich als jemand gefühlt, der unsportlich ist. "Wir sind in unterschiedlichen Leistungsniveaus gelaufen."

Und was sagen die Kinder? "Eddy macht einfach Spaß", meint Erkan. Und Nina ist begeistert, dass immer jemand da ist, der ihr die neuen Übungen erklärt. *Namen der Kinder geändert

„Bewegung wird bei uns in allen Räumen umgesetzt“, erzählt Kindergartenleiterin Alexandra Binder. Im Kindergarten von KIWI (Kinder in Wien) am Schedifkaplatz im zwölften Bezirk toben sich die Kinder nicht nur im Bewegungsraum aus. „Wir wollen vorleben, dass man sich immer und überall bewegen kann.“ Im Schwerpunktraum Forschung etwa untersuchen die Kleinen das, was sie zuvor in der Natur gesammelt haben. Der wöchentliche Ausflug in den Wald ist ein Fixtermin.

„In diesen jungen Jahren sind Kinder in einer Experimentierphase“, sagt Binder, die selbst eine Fitnessausbildung hat. „Sie lernen und speichern viel. Was dem Körper jetzt guttut, merkt er sich für später“, ist sie überzeugt.

Individuelle Interessen fördern

Für die Kleinsten stehen im Kindergarten Rutschautos oder Trampoline zur Verfügung, im täglich offenen Bewegungsraum werden Kurse wie Yoga oder Zumba angeboten. „Wir wollen die individuellen Interessen der Kinder fördern.“

Zur Jause gibt es im Kindergarten Vollkornbrote mit Gemüse, im Garten können die Kinder Kräuter und Obst ernten. „Sie sollen sehen, woher ihr Essen kommt“, sagt Binder. Auch die Eltern werden eingebunden, etwa bei Eltern-Kind-Läufen. „Unser Ziel ist, dass wir den Kindern den Spaß an der Bewegung vorleben und ihnen vermitteln, wie wichtig diese ist.“

„HAK, Hasch, AUL/sind nicht faul/ Körper g’streckt/Hurra, perfekt!“ – Hunderte Jugendliche der Handelsakademie, -schule und des Aufbau-Lehrgangs in der Pernerstorfergasse (Wien-Favoriten) bewegten sich Freitagmittag im Rhythmus dieses Spruchs im Schulhof. Diese Turnübungen sind aber keine einmalige Angelegenheit in dem Haus mit rund 1000 Jugendlichen. Hier gibt es ein umfangreiches, vielfältiges Bewegungskonzept über das Fach Turnen hinaus, das oft mit dem Unterricht gekoppelt ist.

So stehen seit vier Jahren in einem Klassenraum in der letzten Reihe sechs Fahrrad-Ergometer – etwas umgebaut und mit Pulten versehen, sodass Jugendliche die Unterrichtsstunden mitverfolgen können. Normalerweise residiert hier die 2b der Handelsschule. Nach einem ausgeklügelten Plan kann jede und jeder der 28 Jugendlichen drei bis vier Schulstunden pro Woche radelnd lernen. Zwei Jugendliche erzählten dem KURIER, wie das ist.

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Damla Sençan (16) sagt: „Drei bis vier Mal pro Woche sitze ich die ganze Stunde am Ergometer. Das macht mehr Spaß als auf dem Sessel zu sitzen und ich kann mich besser konzentrieren. Ich gehe auch zu Hause auf und ab, wenn ich etwas auswendig lerne.“ Ihr Kollege Marko Gicić (16) sagt: „Ich bin im Schnitt eine Schulstunde täglich am Ergometer. So macht der Unterricht mehr Spaß. Beim Lernen zu Hause bewege ich mich jetzt schon ein bisschen mehr als früher.“

Seit einigen Jahren beteiligt sich diese Schule auch am Vital-4-Brain-Programm der UNIQA – hier wurden Jugendliche zu Coaches ausgebildet. Zwei davon sitzen in jeder Klasse und dürfen den Unterricht mit kleinen Bewegungs- und Koordinationsübungen unterbrechen. Danach lernt sich’s wieder leichter. Durch den Einbau von Bewegung in den schulischen Alltag wird Fitness und damit Gesundheit ganz „nebenbei“ gefördert.
Heinz Wagner

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