Raus aus der Einsamkeit!
Von Ingrid Teufl
Früher brachte der Briefträger nicht nur die tägliche Post an die Tür, sondern auch die Neuigkeiten aus der Nachbarschaft. Oft nahm er sich dafür mehr Zeit, trank ein angebotenes Tässchen Kaffee oder auch ein Stamperl Schnaps und man plauderte ein wenig. Alleinstehende hatten da nicht nur einen Fixpunkt im Tag, im Idealfall bemerkte der Besucher auch, wenn etwas nicht in Ordnung war. Etwa, weil eine alte Dame wegen eines Sturzes nicht öffnete. Oder es erfuhren Einsame im Gespräch, dass sich einige Nachbarn aus der Nebenstraße regelmäßig zum Kartenspielen treffen und noch Mitspieler brauchen könnten.
Der Postler als Tür zur (sozialen) Welt: Diese Rolle soll in Großbritannien wieder forciert werden. In einigen Regionen will die Regierung mit der Royal Mail ein Pilotprojekt starten. Die Postmitarbeiter sollen geschult werden und auf ihren täglichen Routen mit allein lebenden, isolierten oder einsamen Menschen Kontakt aufnehmen. Und sie nach Bedarf vernetzen oder ihre Familien über Auffälligkeiten informieren.
Gegensteuern
Das ist nur ein Teil eines langfristigen, nationalen Maßnahmenplans, der kürzlich präsentiert wurde. Es sind dies die ersten Schritte, um gegen das enorme Problem Einsamkeit anzukämpfen. Zur Bündelung und Entwicklung von Maßnahmen wurde im Jänner – erstmals weltweit – ein „Ministerium für Einsamkeit“ eingerichtet.
Das klingt wie ein Scherz – beim Blick auf die nackten Zahlen bleibt einem das Lachen aber im Hals stecken: Neun Millionen Briten (13 Prozent) fühlen sich einsam, zeigen Untersuchungen. 200.000 Senioren geben an, nur ein Mal im Monat Kontakt mit Familienangehörigen, Freunden oder Bekannten zu haben. Soziale Isolation ist ein typisches Phänomen der demografischen Entwicklung der westlichen Welt. In Österreich fürchten zwei Drittel Einsamkeit, die Hälfte der 60- bis 69-Jährigen hat Angst, später zu wenig Freunde oder Bekannte zu haben. Zunehmend sind sogar Jüngere von Einsamkeit betroffen. Paradox ist, dass die sozialen Medien als Verstärker wirken.
Experten fordern schon lange, gegenzusteuern. Ob es wie in Großbritannien mit einem von oben aufgesetzten Ministeramt funktioniert? Psychologin Petra Hofmayer arbeitet vor allem in geriatrischen Einrichtungen und ist dort immer wieder mit Einsamkeit der Bewohner konfrontiert. Das britische Ministerium sieht sie differenziert: „Einerseits ist es eine öffentlichkeitswirksame Maßnahme, die die Aufmerksamkeit erhöht.“ Das sei im Grunde nicht schlecht. „Einsamkeit ist ein Riesenproblem fürs Gesundheitssystem.“ Aber: „Ein Ministeramt alleine ist sicher zu wenig, um das Problem zu lösen.“
Individueller Masterplan
Die Briten haben einen mehrjährigen Plan entwickelt, der alle Bevölkerungsschichten einbezieht. Einsamkeit sowie die Wichtigkeit von realen sozialen Kontakten soll bereits in der Pflichtschule im Unterricht verankert werden. In den Gemeinden sollen wiederum speziell geschulte Community Workers angestellt werden, die bei drohender Einsamkeit schon früh eingreifen können. Dazu gehört etwa, Betroffene untereinander zu vernetzen oder Kursangebote (Kochen, Tanzen etc.) zu vermitteln. Das Ziel sind niederschwellige Angebote für allein Lebende und Altenheimbewohner.
Derartige Hilfestellungen tragen bei, den Menschen ihre Eigenverantwortlichkeit zurückzugeben, sagt Einsamkeitsexpertin Petra Hofmayer. „Letztendlich muss aber jeder selbst seine Einsamkeit anpacken. Wir geben da gerne die Verantwortung für das eigene Glück ab.“ Als erster Schritt helfe eine Selbstanalyse, empfiehlt sie: „Man kann sich fragen, was man wirklich braucht – eher wenige tief greifende Beziehungen oder viele Kontakte, die man regelmäßig pflegt.“
Im nächsten Schritt wird ein „individueller Masterplan“ erarbeitet: Tauscht man sich lieber im Kaffeehaus über verschiedenste Ereignisse aus oder ist gern in einer Gruppe aktiv, wie in einem Tanz- oder Schachkurs? Aus Hofmayers Erfahrung sei gerade bei Einsamkeit ein Tanzkurs „sicher die leichtere Variante. Da kann man sich langsam herantasten“.
Wer lernt, früh auf seine Bedürfnisse zu hören, ist besser vor der Einsamkeitsfalle geschützt. Das betrifft sogar Jüngere, die viel in den sozialen Medien aktiv sind – und trotz ständiger Verfügbarkeit, Kommentieren und Nachrichten verschicken einsam sind. Ein Grund: Bei virtueller Kommunikation werden andere neuronale Bahnen im Gehirn wirksam. „Bei realen Kontakten werden etwa die Spiegelneuronen aktiviert“, erklärt Hofmayer. „Und die können positive Empfindungen und Gefühle auslösen.“