Dürfen Männer breitbeinig in der U-Bahn sitzen?
"Wir haben damit gerechnet, dass das Thema Aufsehen erregen wird", sagt Christoph Heshmatpour, Pressesprecher der Wiener Linien, "aber mit dieser Welle haben wir nicht gerechnet". Der "Schummelzettel", der Männer ermahnt, in der U-Bahn ihre Beine "zam" zu halten, sei bereits jetzt das meistdiskutierte Social-Media-Posting dieses Halbjahres.
Feedback von Fahrgästen als Auslöser
Auf das Thema seien die Wiener Linien aufgrund des Feedbacks von Fahrgästen sowie die internationale Berichterstattung gestoßen, so Heshmatpour, "wir hören in die Community rein und thematisieren laufend und auch augenzwinkernd einige dieser Themen, um für mehr Rücksichtsnahme zu werben."
In den Kommentaren unter dem Facebook-Posting äußern User nur vereinzelt Zustimmung zu der Aktion: "Ich ärgere mich so oft über diese Typen", schreibt eine Frau. "Danke", sagt jemand, "als Mann". Die Mehrheit der diskutierenden User meint aber, dass es wichtigere Probleme gebe: "Sehr bedenklich, dass es nun schon Anleitungen braucht wie man 'korrekt' in den Öffis sitzen sollte", ist da etwa zu lesen.
Andere User kritisieren, dass der Begriff "Man-Spreading" (wörtlich: "Männer ausbreiten") sexistisch gegenüber Männern sei. Christian Berger, der für das Frauenvolksbegehren spricht, hält den Begriff im KURIER-Gespräch ebenfalls für "problematisch".
Eigentlich gehe es ja darum, auf rücksichtsloses Verhalten hinzuweisen, das grundsätzlich ungeschlechtlich sei. Dass das tendenziell mehr Männer machen (in den USA sollen es fünf Mal häufiger Männer als Frauen tun) liege nicht an biologischen Gründen, die sich zwischen den Beinen befinden.
Berger verweist auf eine Studie, wonach Buben schon in der Kindheit beigebracht werde, ihren Macht- und Dominanzanspruch auszuleben. Das öffentliche Beine-Spreizen sei also weniger eine Frage der sexuellen Belästigung, mehr eine Ressourcenfrage: "Wem steht wie viel Platz in der Öffentlichkeit zu?"
"Es geht nicht darum, Männern etwas zu verbieten"
Berger findet die Aktion der Wiener Linien gut, weil sie nicht zu stark mit Verbotssignalen arbeitet und motivierende Elemente ("Sei ein Ehrenmann") enthalte. Es gehe nicht um Verbotsgelüst oder die Beschneidung der Männer, sondern um ein Hinweisen auf ein Problem.
Viele Männer in seinem Umfeld seien sich des Problems lange nicht bewusst gewesen. Berger erklärt sich das damit, dass rücksichtsvolles, emphatisches Verhalten nicht immer Teil der männlichen Sozialisierung sei. Das müsse gelernt werden, "wie ich als Kind dank der Symbole für schwangere, ältere und behinderte Personen gelernt habe, diesen Personen meinen Sitzplatz zu überlassen", so Berger.
"She-Bagging" als weibliches Problem?
Als Gegenbeleg, dass auch Frauen mehr Platz als nötig beanspruchen, wird in Online-Diskussionen auch das Phänomen "She-Bagging" (wörtlich: Sie Tasche) genannt. Die Wiener Linien würden auch das beobachten, so Sprecher Heshmatpour, man habe und werde weiterhin verschiedene Themen der Rücksichtsnahme thematisieren.
Und was, wenn mann nunmal lange O-Beine und frau viele Taschen zu tragen habe? Heshmatpour: "Wer auf andere Fahrgäste Acht gibt, macht alles richtig."
Welche Erfahrungen haben Sie in Öffis gemacht?
Haben Sie ein dazu passendes Erlebnis, das Sie uns erzählen möchten? Sind Sie in Ihrem Alltag mit "Man-Spreading", "She-Bagging" oder anderen Ärgernissen konfrontiert? Haben Sie Ideen, wie im öffentlichen Raum mehr Rücksicht aufeinander genommen werden kann?
Wir freuen uns auf Kommentare zu und unter diesem Artikel sowie auf eine respektvolle Diskussion. Die spannendsten persönlichen Erfahrungen der moderierten Diskussion werden in diesen Artikel eingearbeitet und im morgigen KURIER zitiert.