Leben/Gesellschaft

Der Gesellschaftsreporter als Gentleman

Höfliche Paparazzi. Ja, so was gibt’s tatsächlich.

In den neunziger Jahren gründeten Autor Tex Rubinowitz, damals noch vorrangig als Witzezeichner bekannt, und Journalist Christian Ankowitsch ein Internetforum namens „Höfliche Paparazzi“, in dem Geschichten über Prominente veröffentlicht wurden. Autoren wie Max Gold und der 2013 verstorbene Wolfgang Herrendorf publizierten dort Geschichten über Stars, wie sie bisher noch niemand erzählt hatte. Gefragt waren „Protokolle von Menschen, die eine zufällige, kleine Begegnung mit Berühmtheiten hatten, also keine mutwillig herbeigeführten, groupieesken oder professionellen“. Heraus kamen entzückende, verschrobene Petitessen. Tenor: „Je dezenter, desto besser.“

„Dezent“ ist wohl das letzte Wort, das einem in Verbindung mit dem Ausdruck „Paparazzi“ in den Sinn kommt. Dabei denkt man eher an eine Meute von sensationsgierigen Reportern, die Prominente „abschießen“. Um jeden Preis. Immer wieder gibt es Diskussionen darüber, wie hoch dieser sein darf. So gab in den Neunzigern der Tod von Lady Di nach einem schweren Unfall im Pariser Alma-Tunnel, ausgelöst durch eine wilde Paparazzi-Verfolgungsjagd, Anlass für einen Nachdenkprozess, der allerdings nicht von Dauer war. Prominente waren weiterhin mediales Freiwild, mussten sich immer wieder auch Fragen über Chancen und Nutzen dieses Ausgeliefertseins gefallen lassen.

Der Paparazzo, der aufdringliche Pressefotograf, der Prominenten nachstellt, wurde durch Federico Fellinis Film „La Dolce Vita“ aus dem Jahr 1960 geprägt. Den Namen borgte Fellini von einem Hotelbesitzer namens Coriolano Paparazzo, inspiriert wurde die Figur durch den Fotografen Tazio Secchiaroli, der in den 1950er Jahren in Rom auf Jagd nach Prominenten ging und später Leibfotograf von Sophia Loren wurde.

Immer an der Seite der Stars, immer „auch dabei“, umgangssprachlich „a dabei“: Das war natürlich auch Roman Schliesser, der als „Adabei“ den österreichischen Gesellschaftsjournalismus begründete.

Wer jemand war oder sein wollte, war beim Adabei. Der KURIER berichtete über Schließers umfangreiches Archiv, in dem sich Schätze wie ein selbst verfasstes Gedicht von Peter Alexander fanden: eine regelrechte Ode an den Journalisten.

Marcello!

Der Gesellschaftsreporter, der selbst Teil der Gesellschaft war: Das war auch die Rolle, die Marcello Mastroianni in „La Dolce Vita“ verkörperte. Der römische Journalist Marcello Rubini schlägt sich in Rom die Nächte um die Ohren, immer auf der Suche nach einer neuen Story. Dabei wird er selbst zum Objekt des Interesses. Das nächtliche Bad im Trevi-Brunnen mit Sylvia, einem schwedisch-amerikanischen Filmstar, unnachahmlich verkörpert von Anita Ekberg, ist eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte und Sylvias lasziven Ruf nach „Marcello“ haben viele noch im Ohr.

Rom ist auch der Schauplatz einer weiteren berühmten Societyreporter-Geschichte: Im Film „Ein Herz und eine Krone“ von 1953 zeigt Gregory Peck als Gesellschaftsreporter Audrey Hepburn als Prinzessin inkognito Rom. Auf der Vespa erkunden sie eine knapp am Kitsch vorbeischrammende Postkarten-Idylle, in der es außer ihnen kaum Touristen gibt. Immer an ihrer Seite der Paparazzo, der bei derselben Nachrichtenagentur wie der Reporter arbeitet. Heimlich knipst er die Prinzessin, die sich unerkannt wähnt.

Das mediale Getöse um Prinzessinnen war auch damals schon groß, dennoch wäre eine derartige Story, selbst als Märchen deklariert, unter heutigen medialen Umständen schwer vorstellbar.

Denn längst haben die Prominente n die Darstellung ihrer öffentlichen Wahrnehmung selbst in die Hand genommen. Die öffentliche Person hat sich gegenüber der medialen Ausgeliefertheit emanzipiert und bestimmt dank Social Media selbst, wann und wie sie sich präsentiert. Via Instagram kann jeder zum Interviewpartner seiner Follower werden.

Ist damit die Rolle des Gesellschaftsjournalisten, weniger freundlich Klatschreporter genannt, obsolet? Und hat sein fotografierendes Pendant, der Paparazzo, ausgedient? Jein.

Der Wettlauf zwischen privatem Selbstvermarkter und professionellem Berichterstatter ist härter geworden. (Gesellschafts-)Journalismus muss mehr bieten als Badezimmerspiegel-Selfies und Promis in Jogginghose.