Kultur

Viennale: Ruth Klüger über das Weiterleben

Wenn Ruth Klüger in Wien ist, dann beginnt die Kindheit in ihr zu rumoren. Das ist oft sehr schmerzlich - dann etwa, wenn sie mit ihrem erwachsenen Sohn vor der Haustür der Lindengasse 38 steht und sich erinnern soll. Daran, wie es war, als sie noch ein Kind war, und daran, wie ihre Familie von den Nazis verfolgt und aus Wien vertrieben wurde. Trotzdem, sagt Klüger in ihrem prägnanten, sachlichen Tonfall, trotzdem komme sie in letzter Zeit ganz gerne nach Wien.

Auch im Rahmen der Viennale ist ihr Wien-Besuch angekündigt: Anlässlich der sehr berührenden Doku "Das Weiterleben der Ruth Klüger", die am Sonntag (30.10., 18.00, Gartenbaukino) in Anwesenheit von Klüger und Regisseurin Renata Schmidtkunz gezeigt wird (weiterer Viennale-Termin: 2. 11. , 18.30, Künstlerhaus). Der ORF zeigt die Doku unter dem Titel "Landschaften der Erinnerung - Das Weiterleben der Ruth Klüger" zur nachtschlafenden Zeit ebenfalls am Sonntag um 0.00 Uhr (ORF 2).
Das einfühlsame Porträt entstand anlässlich Klügers 80. Geburtstag. Drei Jahre lang hat Schmidtkunz die aus Österreich stammende Holocaust-Überlebende begleitetet, die heute als eine der bedeutendsten Literaturwissenschaftlerinnen unserer Zeit gilt. Auch Klügers 1992 erschienene Kindheitserinnerungen "Weiter leben. Eine Jugend", gerieten umgehend zum Bestseller.

Todesmarsch

Geboren am 30. Oktober 1931 in Wien, wurde Klüger mit ihrer Mutter 1942 erst nach Theresienstadt und dann nach Auschwitz deportiert. Auf einem Todesmarsch im Jahr 1945 gelang beiden die Flucht. Über New York landet sie zuletzt in Irvine, Kalifornien, wo sie an der Universität unterrichtete und auch heute noch lebt.
Dass sie das KZ überlebte, bezeichnet Klüger ganz unmetaphysisch als Zufall. Auch interessiere sie sich nicht für den Unterschied zwischen Täter und Opfer, sondern den zwischen Opfersein und Freisein.

Die Möglichkeiten eines selbst gewählten Daseins hat Klüger klar vorgelebt. Ihre Aussage "Ich kann eigentlich nichts anderes als Lesen und Schreiben" klingt mehr als bescheiden angesichts ihrer formidablen Universitätskarriere. Dabei gründete sie, die berühmt ist für ihren feministischen Literaturzugang, zuerst ganz klassisch eine Familie, heiratete Werner Angress ("Ein tapferer Mann, aber als Ehemann unmöglich") und hatte zwei Söhne, ehe sie die eigene Karriere ins Auge fasste.

Am Ende des Film sitzt sie alleine in Irvine, Kalifornien, und fragt sich: "Hat sich die Reise gelohnt?"
Die Antwort, die sie sich selbst darauf gibt, ist lakonisch - fast möchte man sagen, typisch Ruth Klüger: "Naja. Es ist uns schon schlechter gegangen."