Rankings: Wer in der Kunstwelt zählt - und wer davon erzählt
Von Michael Huber
Welche Kunstwelt hätten Sie denn gerne? Die im Westen, die im Osten, oder die im (globalen) Süden?
Dass die Szenen, die sich unter dem Begriff der (bildenden) Kunst versammeln, parallele Universen bewohnen, wird besonders deutlich, wenn Fachmedien ihre Rankings der „einflussreichsten Persönlichkeiten der Kunstwelt“ veröffentlichen.
Am Donnerstag erschien wieder eine der meistbeachteten Ausprägungen dieses Formats: die „Power 100“-Liste des britischen Magazins Art Review – gerade rechtzeitig, um zur VIP-Vernissage der Kunstmesse Art Basel Miami Beach Gesprächsstoff zu liefern. Art Review sieht den Nabel der Kunstwelt allerdings nicht dort, sondern in den Vereinigten Arabischen Emiraten: Sheikha Hoor Al Qasimi, die als Tochter des Herrschers des Emirats Sharjah die dortige Biennale leitet und eine internationale Kunststiftung begründete, ist demnach die einflussreichste Person des Kunstbetriebs.
Im vergangenen Jahr hatte die Fotografin und Aktivistin Nan Goldin das Ranking angeführt – sie kam jüngst in die Schlagzeilen, als sie bei der Eröffnung ihrer Retrospektive in Berlin Israel (und Deutschland) anprangerte und eine laute Schar pro-palästinensischer Demonstranten anzog. Nun landete Goldin (als höchstplatzierte Weiße) auf Platz 7. auf Platz 5 rangiert das Recherche-Kollektiv „Forensic Architecture“, dessen laufendes Projekt sich mit Gaza befasst und „Kartographie des Genozids“ heißt. Mit Achille Mbembe (Platz 12) und Bonaventure Soh Bejeng Ndikung (20) gingen Top-Wertungen an Menschen, die Israels Vorgehen gegenüber Palästinensern als „Apartheid“ bezeichnet hatten.
Ankläger – und Richter
Deutschland fremdelt mit dieser „globalen“ Kunstszene seit einiger Zeit. Dafür hat das Land Gerhard Richter: Er führt gefühlt seit Menschengedenken den „Kunstkompass“ an, den 1970 erstmals erschienenen Urahnen aller Rankings. Das Konzept zählt „Ruhmespunkte“, die entlang von Ausstellungen, Rezensionen, Museumsankäufen und Preisen vergeben werden – Auktionspreise werden jedoch nicht berücksichtigt. Das Problem: Ein vielfach geehrter Titan wie Richter ist kaum mehr vom Thron zu stoßen, es gibt kaum Fluktuation.
Neuere Rankings bedienen sich daher bei „Experten“, die mehr oder weniger transparent arbeiten: Jene bei Art Review bleiben ungenannt, sind aber spürbar im politisierten, postkolonialen Diskurs verwurzelt.
Holzinger auf Platz eins
Das deutsche Magazin Monopol sieht sein Top-100-Ranking vorsorglich nur „als einen Debattenbeitrag“ – und versucht, konventionelle und politische Geschmäcker zu vereinen. Angeführt wird die Liste übrigens von der österreichischen Choreografin Florentina Holzinger, die heuer mit ihrem Stück "Sancta" zuerst bei den Wiener Festwochen, später in der Oper Stuttgart Aufsehen erregte.
Ansonsten sind Österreicher eher nur in Österreich weltberühmt – konkret im Ranking des Magazins Trend, das von Kennern des heimischen Betriebs erstellt wird (Top 3: VALIE EXPORT, Martha Jungwirth, Arnulf Rainer). Das Medium versteht sein Ranking auch als Investment-Ratgeber. Doch die Beziehung zwischen Aufmerksamkeits- und Geldökonomie ist etwas komplizierter – in allen Kunstwelten.