Der KURIER trauert um Peter Jarolin
Peter Jarolin, der Kulturkritiker und Interviewer, der Kenner und Liebende, der fixe Bestandteil jeder relevanten Theater- und Musiktheateraufführung, der einzige Rezensent, der zusätzlich zu seinen unzähligen Pressekarten noch weitere Konzert-Abonnements besaß, ist nicht mehr. Jarolin verstarb überraschend 52-jährig. Der KURIER trauert.
Sein Ableben ist ein schwerer Schlag für die Kultur
Was es für das sogenannte Milieu bedeutet, einen seiner wichtigsten und wohlwollendsten Begleiter zu verlieren, einen, der so viel wusste, den so gut wie jeder, der ihn kannte, mochte, wird sich möglicherweise irgendwann weisen – oder auch nicht, weil der Blick für Qualität sich immer mehr verstellt.
Was es für den KURIER bedeutet, kann ich einigermaßen beurteilen, weil ich mit ihm jahrzehntelang Seite an Seite für die Sache kämpfte, sehr oft Seite an Seite in der Oper, im Musikverein oder im Konzerthaus saß. Weil ich seine Anfänge vom freien Mitarbeiter, der nur fallweise publizierte, zu einem der renommiertesten Kritiker hautnah miterlebte, sein Talent, sein Wissen, seine Wertschätzung gegenüber dem Metier. Er hat von mir ein bisschen Journalismus gelernt. Ich habe von ihm viel über das Fach gelernt. Sein Tod, mitten in einem so intensiven Leben und dramatisch wie in einer tragischen Oper, ist ein schwerer Schlag.
Nie wieder „PJ (so nannten ihn alle mit seinen Initialen, Englisch ausgesprochen), ich brauch dich ganz dringend“ rufen, damit er vor Redaktionsschluss noch rasch einen Text von mir liest, um eventuelle Unsinnigkeiten zu entdecken oder letzte Gedanken beizutragen.
Nie wieder einen Anruf von ihm nach 23 Uhr, wenn der Vorhang gefallen war und er eine erste Nachtkritik ins Telefon erzählte. Nie wieder die (längst gewohnte) Überraschung dann am nächsten Tag, dass die schriftlich formulierte Nachtkritik wesentlich milder ausfiel als die zuvor artikulierte.
Nie wieder eine Diskussion mit ihm darüber, wer den Wotan schon besser gesungen habe, wer Mozart am besten dirigiere, wer die Tempi für die Champagnerarie am plausibelsten vorgebe – und welche Raritäten von Donizetti endlich gespielt werden müssten. Denn eine große Affinität zu skurrileren Werken, die hatte er immer.
Nie wieder von ihm hören, wer in der Kulturszene böse auf wen sei und, vor allem, wer eben noch mit wem liiert war – auch solche Dinge wusste er und agierte nicht wie ein Journalist, sondern schwieg wie ein Gentleman.
Fast täglich im Einsatz
Nie wieder die monatliche Einteilung des Kritikerplanes mit ihm und die Diskussion darüber, ob er tatsächlich sechs Mal pro Woche in einem künstlerischen Etablissement sitzen wolle. Ja, sagte er dann immer, und man hätte sich die Frage sparen können, denn man wusste ja, dass bei keinem anderen Beruf und Privatleben so sehr verwoben waren.
Nie wieder ihn vor dem KURIER-Gebäude in der Kälte stehen sehen, wie er zwei bis drei Zigaretten rauchte, während andere bestenfalls eine schafften. Quantitativ ähnliches haben seine Freunde auch in Bars beobachtet, er war immer schneller als die anderen. Das alte Wien, vereint in einem jungen Menschen, Bürgertum und Tschocherl, Theresianum und Branntweiner. „A candle in the wind“, fällt einem da ein – er loderte auf beiden Seiten.
Nie wieder in der Oper einen ganzen „Ring“-Zyklus gemeinsam mit ihm durchsitzen und beeindruckt sein, wie er jede Zeile kennt und viele davon mitflüsterte.
Aber auch nie wieder über das Rapid-Spiel vom Vortag diskutieren, das ja in manchen Momenten durchaus mit Theater zu tun hat.
Nie wieder über Formel 1, wo Ferrari sein Wagner war.
Und nie wieder über Kellertheater im Fernsehen, zum Beispiel über das „Dschungelcamp“, über das er mehr wusste als jeder Fernsehkritiker. Nie wieder in seine wissenden Augen schauen, wenn er wesentlich mehr wusste als man selbst und überlegte, wie und ob er das formulieren sollte.
Peter Jarolin ist gegangen, wie er auch gelebt hat – man wusste nicht genau, wo er ist, rechnete aber damit, dass er selbstverständlich rechtzeitig dort sein werde, wo er sein sollte. Nur dass es diesmal das Krankenhaus war, aus dem er nicht mehr heraus kam.
Er ist unersetzlich, in jeder Hinsicht. Und jetzt komm gefälligst her, PJ, mein Freund, und lies diesen Text! Ohne dich kann ich das nicht.
Von Gert Korentschnig
Ein Leben für fünf Sterne
Es gab in der Kulturredaktion des KURIER keine amüsanteren, glücklicheren Momente, als Peter Jarolin – kunstvoll eine Zigarette zwischen den Fingern haltend – beim Pointenreißen über klassische Musik zuzuhören. Sie war die große Liebe seines Lebens – samt allem, was dazugehörte, ebenso die gehaltvollsten Werke, die höchsten Sangesleistungen, das feinste Dirigat wie jener Klatsch und Tratsch, der die Klassikwelt zum Dschungelcamp macht. Er konnte so hinreißend von all dem erzählen, dass vor lauter Zuhören manche Kulturseite beinahe zu spät fertig wurde.
Der am 12. Dezember 1971 geborene Wiener hatte eine innere Größe, die rar ist bei Kritikern: Er konnte nicht nur – selten – verreißen, er konnte auch ohne Scheu schwärmen. Von Auftritten seiner Lieblingskünstler, von geglückten Konzerten, von Werken, von denen man noch nie etwas gehört hatte, von seiner Katze.
Zuerst studierte Peter Jus, danach war er dort angekommen, in der klassischen Musik, die er seit jüngsten Jahren kannte, und ab 1996 auch als Kritiker im KURIER (zuerst als freier, dann als Redakteur). Mit von Liebe angetriebenem Eifer war er unterwegs, hörte, sah, rezensierte.
Und er blieb, umfassend gebildet, immer höflich und kollegial, ein Mitmensch, der niemandem Böses wollte. Peter wurde von vielen Musikern geachtet, geschätzt – und als Freund gemocht. Er war ein Verstärker, ein Gefühlslautsprecher für sein Genre, der die Leserinnen und Leser mit unbedingter Liebe zum Metier und Wertschätzung für höchste Qualität anzustecken vermochte.
Bei Peter waren das Berufliche und das Private verbunden – aber nicht so, dass der Mensch dahinter verloren ging, im Gegenteil. Er begeisterte sich großzügig für das nächste Abokonzert, für Fußball, für Trash-TV.
Peter liebte das Leben, die Geselligkeit, das Gespräch, aber er musste auch mit einem Dämon leben. 52 Jahre alt ließ dieser Peter nur werden, von einem gesundheitlichen Notfall im Jänner erholte er sich nicht mehr. Der letzte Artikel, den Peter für den KURIER schrieb, war die Kritik des Neujahrskonzerts 2024. Er vergab fünf Sterne, er wusste zu schwärmen.
Wir trauern fassungslos um dich, Peter, der du jetzt – wir schicken dir diesen Satz aus einer deiner Lieblingsopern mit nach oben – in göttlichem Glanz den Erlöser selbst erschaust.
Von Georg Leyrer