Kultur

Begebenheiten: Peter Handkes Nobelpreisrede

Seit der Entscheidung der Schwedischen Akademie, den Literaturnobelpreis 2019 an Peter Hanke zu vergeben, gehen die Wogen hoch, entzweit der österreichische Schriftsteller nicht nur die literarische Welt. Es ist eine nicht enden wollende, oft zu hitzig geführte und teils bizarre Kontroverse um Handkes Sympathien mit Serbien und dessen Ex-Präsidenten Slobodan Miloševic entbrannt.

Die  Debatten (auch wenn sie wenig Neues bringen werden) verstummen so schnell nicht. So viel  lässt sich nach Peter Handkes etwas verstörendem Auftritt bei der Pressekonferenz am Freitag und seiner samstägigen Nobelpreisrede in der Schwedischen Akademie sagen. Denn der österreichische Autor, der sich am kommenden Dienstag seinen Literaturpreis abholen wird, gab dabei keine Antworten auf die kritischen (laut Handke „ignoranten“) Fragen, mit denen er seit Wochen in  Essays, Kommentaren und bei Pressekonferenzen konfrontiert  wird.

Über die Dörfer

Das seit Wochen anhaltende Spiel „Peter Handke wird gefragt – antwortet  nicht – oder weicht aus –  oder setzt zum Gegenangriff an“ fand am Samstagabend aber keine Fortsetzung. Denn bei der  Rede waren keine Fragen zugelassen. Somit musste sich der Kärntner, der am Freitag seinen 77. Geburtstag feierte, weder empören noch rechtfertigen. Der Blutdruck blieb im Normbereich.

Sein 1982 uraufgeführtes Gedicht „Über die Dörfer“ diente dem österreichischen Dichter Peter Handke am Samstagabend als Klammer für seine Rede, die eine Vorlesung war.

Er rezitierte mit nervöser Stimme: Entscheide nur begeistert. Scheitere ruhig. Vor allem hab Zeit und nimm Umwege. Überhör keinen Baum und kein Wasser. Kehr ein, wo du Lust hast, und gönn dir die Sonne. Vergiss die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen, weich aus in die Menschenleere, pfeif auf das Schicksalsdrama, zerlach den Konflikt. Beweg dich in deinen Eigenfarben, bis du im Recht bist ...

So begann Peter Handke seine Vorlesung – dann sprach er zu den geladenen Gästen  im Saal: „In der Kindheit hat meine Mutter immer wieder, wenn es die Zeit war und wenn die Zeit es erlaubte, von den Leuten aus dem Dorf – slowenisch ,Stara Vas’, zu deutsch ,Altes Dorf’ – erzählt; keine Geschichten, sondern kurze, und doch, wenigstens für meine Ohren, unerhörte Begebenheiten. Mag sein, dass die Mutter diese zugleich auch meinen Geschwistern vortrug. Aber mir ist, als sei ich jeweils ihr einziges Publikum gewesen.“

Brüder

In der Folge erzählt der Nobelpreisträger von manchen dieser „Begebenheiten“, an die sich  seine Mutter erinnerte. Und die  von Anbeginn durch seine Bücher geistern – Geschehnisse von  Angehörigen der Familie, ihren beiden im Weltkrieg „auf dem Feld der Ehre gefallenen“ Brüdern.

Peter Handkes Nobelpreisrede zum Nachsehen (ab Minute 6'40):

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„Haben die von meiner Mutter erzählten kleinen Begebenheiten mir den Anstoß für mein nun fast lebenslanges Schreiberleben gegeben, so die Werke der Kunst, und nicht bloß die Bücher, sondern in gleicher Weise die Bilder, die Filme (vor allem die ,Western’ von John Ford und die ,Eastern’ des Japaners Yasujirô Ozu), die Lieder (zuletzt, zum Beispiel, die von Johnny Cash und Leonard Cohen gesungenen) mir die zum An- und Erklingenlassen des Anstoßes lebensnotwendigen Formen, Rhythmen oder, bescheidener ausgedrückt, Schwingungen und Schwungkräfte gegeben.

Die frühesten Schwingungen oder Schwungkräfte kamen freilich nicht von den Künsten, sondern bewegten und durchdrangen das Kind, das ich war, mit den slowenisch-slawischen religiösen Litaneien unter den romanischen Bögen der Kirche nah dem Geburtsort Stara Vas. Und jene monotonen und zugleich so melodiösen Anrufungen himmelwärts durchdringen und beatmen mich inzwischen Siebenundsiebzigjährigen weiterhin; zupfen die Saiten für meinen weiteren Schreiberweg; summen mir Himmelstonleitern und Kadenzen, tonlose, wie etwa in der wunderlangen zur Mutter Gottes gebeteten Lauretanischen Litanei; die paar hier zitierten, aus den vielleicht hundert Namen und Anrufungen, eigens unübersetzt gelassen (bis auf das jeweilige Responsorium: ,Prosi za nas’ (Bitte für uns).“

Norwegen

Im Anschluss erinnert sich Handke an seinen Urlaub in Norwegen, den er Henrik Ibsen zu verdanken hat. „Aber nicht von dem Dramatiker und seinem wie unserem ,Peer Gynt’ will ich jetzt zu guter Letzt – liebes deutsches Wort – erzählen, sondern von zwei so kleinen wie unerhörten norwegischen Begebenheiten. Die erste betrifft einen von den fünf oder sechs Leibwächtern, Bodyguards, mit denen ich einen ganzen Nachmittag und Abend verbringen durfte.

Zu später Stunde nämlich rezitierte mir jener Mann in einem stillen Hafenlokal von Oslo auf seinem Mobiltelefon gespeicherte eigene Gedichte, zuerst norwegisch, dann englisch, und das waren sämtlich Liebesgedichte, sehr zarte. Und an einem der folgenden Abende, den ich zuletzt allein, auf einer Kreuz- und Quer-Wanderung durch das mitternächtlich leere Oslo verbrachte, traf ich vor dem beleuchteten Schaufenster einer Buchhandlung auf die Silhouette eines Mannes, und als ich mich neben ihn stellte, wendete er sich zu mir und zeigte zugleich auf eines der ausgestellten Bücher. ,Da: mein erstes Buch!’, sagte er. ,Und heute erschienen! Der erste Tag!’

Sehr jung war der Mensch, fast noch ein Kind, oder so: ein ,Jüngling’, wie er im Buche steht. Und der freute sich – eben wie nur ein Kind sich freuen kann. Und das Freudestrahlen, das von ihm, dem Autor, dem Urheber, ausging, ist bis heute nicht vergangen. Möge nie vergehen. So benutze ich jetzt den Moment, den zweien, dem Mann im Osloer Hafen und dem Jungen vor dem Bücherfenster, einen Gruß zukommen zu lassen, westwärts oder wohin auch immer.“ Peter Handke schloss seine Rede mit einem Gedicht des schwedischen Poeten Tomas Tranströmer. Applaus.

Handke verpasste die Gelegenheit, sich mit den Opfern von Srebrenica zu versöhnen. Die Debatten werden weitergehen.

Bereits zuvor war die Gewinnerin des Literaturnobelpreises 2018 dran: Olga Tokarczuk hielt ihre Rede unmittelbar vor Handke.

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Aufregung bei Pressekonferenz

Am Freitag hatte sich Handke erstmals in Stockholm präsentiert - und bei der Pressekonferenz gab es zuerst ein Geburtstagsständchen und denn einige Misstöne.