Nächste Runde im documenta-Skandal: Jetzt streiten die Verantwortlichen
Von Michael Huber
„Wir sind hier, um zu lernen und um zuzuhören“, sagte der Sprecher des indonesischen Kollektivs ruangrupa, Ade Darmawan, am Beginn der Podiumsdiskussion, zu der die documenta am Mittwoch in Kassel geladen hatte. Mitreden wollten die künstlerischen Verantwortlichen der Weltkunstschau dann aber nicht.
Im Vorfeld war eine Diskussion über Vorwürfe, wonach die Schau dem Antisemitismus eine Bühne bieten würde, nicht möglich gewesen - erst der Eklat um klar antisemitische Motive in einem Werk der eingeladenen Gruppe Taring Padi hatte eine Aufarbeitung erzwungen. Die Veranstaltung am Mittwoch sollte der "erste Schritt" sein, brachte aber wenig konkrete Ergebnisse - eher wurde die mangelnde Sensibilität gegenüber der Tatsache, dass Antisemitismus nicht im Auge des Betrachters liegt, offenbar. "Die Rhetorik war jene von Versicherungsgutachtern nach einem Unwetter: Alles Mögliche zerstört, unschätzbarer Schaden, aber das ist höhere Gewalt, was will man machen", urteilte der Autor Nils Minkmar in der Süddeutschen Zeitung.
Bund gegen Land und Stadt
Doch abseits der Kunstpodien hat sich der Streit schon längst verlagert- hin zu einem Match, dessen Kontrahenten auf der einen Seite Hauptstadt und Bund, auf der anderen Kleinstadt und Provinz heißen.
Bei aller globalen Bedeutung ist die documenta eine im Kern regionale Veranstaltung, zu größten Teilen getragen und finanziert vom Bundesland Hessen und der Stadt Kassel. Träger der Ausstellung ist eine gemeinnützige Gesellschaft, im Aufsichtsrat sitzen Vertreter von Land und Stadt.
Der Aufsichtsratsvorsitzende, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), geht nun offen auf Konfrontationskurs mit dem Bund. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) will als Konsequenz aus den Vorkommnissen mehr Einfluss der Regierung. Sie droht, andernfalls den Geldhahn zuzudrehen. Die Staatsministerin sieht den Rückzug des Bundes aus dem Aufsichtsrat 2018 bei Festhalten an einer Bundesförderung als „schweren Fehler“.
Geselle sieht darin einen Akt der Bevormundung: „Der Stadt Kassel ist es nicht nur durchaus finanziell möglich, sondern insbesondere vor dem Hintergrund der Bedeutung der documenta für unsere Stadt und Stadtgesellschaft auch ideell möglich, die Verantwortung für diese herausragende Veranstaltung auch ohne Beteiligung aus der Bundeshauptstadt zu tragen“, entgegnete Geselle (SPD) auf Roths Begehren.
Die documenta benötige „aus ihrer DNA heraus“ keine „staatliche Zensur“, betonte Geselle. „Dies stünde unserer Verfassung entgegen.“ Sollte Roth bei ihrer Haltung bleiben „und nicht Interesse an einer sachlich konstruktiv geführten Debatte haben“, würden die städtischen Gremien die Förderung durch die Bundeskulturstiftung diskutieren.
"Konstruktiver Dialog"
Den Hinweis auf „staatliche Zensur“ wies Roth ihrerseits zurück. „Das hat doch mit Zensur nichts zu tun.“ Sie werde das hohe Gut der Kunstfreiheit immer verteidigen. Dieses habe, „wie ich immer gesagt habe, seine Grenzen beim Schutz der Menschenwürde, bei Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit“.
Roth zeigte sich erstaunt, wenn das Stadtoberhaupt die documenta weitgehend im Alleingang organisieren wolle. Mit Hessen sei sie der Auffassung, dass die documenta eine Strukturreform brauche. „Ich hoffe sehr, dass auch mit der Stadt Kassel jetzt ein konstruktiver Dialog möglich sein wird.“