Kultur

Nachruf auf Rosamunde Pilcher: Schlagerstar der Literatur

Rosamunde Pilcher hat Funktionsliteratur geschrieben, und das ist hier alles andere als abwertend gemeint. Es ist eine Auszeichnung.

Die Britin hat Bücher geschrieben, die so gefahrlos, vorhersehbar, aber zugleich hoch artifiziell, fast gespreizt durch das Leben anderer Familien, anderer Beziehungen führen, dass sie auch als Sonntagabend-Fernsehunterhaltung bestehen können. Und so ein Wochenende beschließen, das man vielleicht angestrengt mit der eigenen Familie oder, trauriger, ohne diese verbracht hat. Bücher, bei denen Kitsch und Klischee kein Mangel, sondern ein Sicherheitsversprechen in unsicheren Zeiten (in der Welt da draußen, in der eigenen Zukunft, im Scherbenhaufen der eigenen Biografie) sind.

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Schwierig ist’s nur kurz

Worum es geht? Es geht um das, was Menschen miteinander erleben. Ja, auch das ist Klischee. Aber wer auf’s eigene Lebens schaut, wird kaum etwas anderes sehen. Alte Lieben tauchen auf, späte neue erblühen, verschollene Kinder kommen zurück (mal Grund zur Freude, mal Gefahr) und hilfreich Gute entpuppen sich spät als hinterlistig Schlechte.

Aber nie zu spät: Es ist das Versprechen der Pilcher-Literatur (eine Kategorie für sich), dass das gesicherte gute Ende bereits während des Konsums zum Betrachter zurückstrahlt, bevor der Leser, bevor der Seher noch dort angekommen ist.

Man kann beruhigt sein.

Pilcher folgt einem Schema, das der emotionalen Ordnung versichert: Es entsteht ein Setting vor dem Hintergrund idyllischer Fischerdörfer, alten Adels, steiler Klippen, wehender, vielleicht etwas ausgedünnter Haare. Das sieht dann so aus:

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Es dringt Unordnung in dieses Setting ein. Aber das Schicksal hat hier nur kurze Ausdauer beim Zuschlagen.

Es gilt nur ein intensives Gespräch (wehendes Haar, Klippe), einen dann doch harmlosen Autounfall, einen seine Kurzfristigkeit bereits signalisierenden Abschied zu überstehen, bevor sich aus der Bittersüße das Süße als übrig bleibender Geschmack herausschält.

Mit Pilcher hat die Literatur einen Schlagerstar gefunden, als das in der Musik noch verpönt war. Sie holte ein Publikum ab, das andere gewinnen wollen, jenes nämlich, das Kultur und Alltag gleichwertig setzt. Lesen ist keine Bedingung, obwohl Pilcher Millionen Bücher verkauft hat: Ihre wahre Präsenz, wenn nicht Bestimmung hat Pilchers Werk im deutschsprachigen Fernsehhauptabend gefunden.

Fernsehware

Die in Cornwall angesiedelten TV-Verfilmungen sind ein prototypischer Sonntagabendstoff, ein Fixpunkt, ähnlich dem ebenfalls klischeetriefenden, aber weniger verächtlich gemachten „Tatort“. Pilcher-Verfilmungen sind Massenware: Schauspieler – manche, die nur in diesem Kontext existieren, manche Stars – oftmals auf Autopilot; sichtbare Sprachhürden der englischdeutschen Koproduktion, viele Hubschrauberflugstunden über Gischt und Kliff.

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Und dennoch: Man kann das auf vielen Ebenen konsumieren, ironisch natürlich, aber auch als verschämtes Wohlfühlevent oder schlicht als Lehrstück vollentschleunigter öffentlich-rechtlicher Unterhaltung. Mehr als 100 Mal wurde diese Geschichte durch das ZDF erzählt. Und jede Folge wurde verlässlich auch von Hunderttausenden in Österreich verfolgt.

Pilchers Erfolg begann biografisch auf Augenhöhe mit einem wichtigen Teil ihrer Fanbasis: Ihren ersten Hit, „Die Muschelsucher“ (1984), hatte die 1924 Geborene erst im Pensionsalter.

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Ihr Leben davor: romantauglich. Kriegsdienst, Indien, Ehe, Schottland, Schreiben neben den vier Kindern. Erste Veröffentlichungen in Frauenzeitschriften. Dann der späte Riesenerfolg, der sie sogar zum Tourismusfaktor für Cornwall in Südwestengland machte.

Nun ist Pilcher 94-jährig verstorben. Sie hatte einen Schlaganfall erlitten und das Bewusstsein nicht mehr erlangt. In einem Pilcher-TV-Film kämen jetzt die schwierigsten Minuten. Aber man könnte sicher sein: Es geht weiter.