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"30 km/h in 50er-Zone?" - Großspenden als Klotz am Bein für Kurz

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Wäre es nach der ÖVP gegangen, würden wir schon in zwei Wochen den nächsten Nationalrat wählen. Es kam anders, und so konnte ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz an diesem Montagabend noch in einem einigermaßen gemütlichen Setting - in einem ORF-Wintergarten geschützt vor Abkühlung und Elefanten-Tröten - beim letzten Sommergespräch mit Tobias Pötzelsberger Platz nehmen.

Gemütlich deswegen, weil es bei diesem Format auch Fragen von dieser Sorte gibt: "Sind Sie ein Mann der Mammutbäume oder eher ein Mann der Wüste?"; es ging um Kurz’ Kalifornien-Urlaub. Oder: "Stellen Sie sich vor: Sonnenuntergang, Sie sitzen ganz entspannt am Strand; was ist denn da das Getränk Ihrer Wahl?" Weil Kurz bei der Beantwortung der sommerlichen Abschlussfrage etwas zögerte, half Pötzelsberger nach: "Sagen wir, Antialkoholisches ist leider gerade aus."

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Kurz antwortete dennoch mit einem unverfänglichen "Cola light", ließ sich dann noch "ein Bier oder einen Aperol-Spritzer" herauslocken.

Die Speiseröhre

Derlei typische Sommergesprächsfragen kommen dem kurzschen Versuch entgegen, sich derzeit nicht nur auf Plakaten als "Einer, der am Boden bleibt" zu inszenieren. Denn dass der Aperol Spritz schon etwas aus der Mode gekommen ist, dürfte wahrscheinlich nur im Wiener Bobostan diskutiert werden.

Aber wenn es "menscheln" soll, droht immer auch das Peinliche. Oder die Pein. Kurz entschied sich dazu, bei der einleitenden Frage nach seiner persönlichen Sommerbilanz eine hartnäckige Speiseröhrenentzündung zu erwähnen, die ihm beim Essen Schmerzen bereitet habe. Eine Frage nach seinem letzten Schnitzel erübrigte sich dadurch freilich. 

Die Schnitzelfrage

Eine Schnitzelfrage gab es dennoch: "Die Leute wollen sich auskennen", sagte Pötzelsberger, und würden gerne wissen, wie das Koalitions-Wiener daherkomme: "Mit Pommes, mit Reis, Butterkartoffeln oder mit einem Beilagensalat?“

Kurz ließ sein Publikum aber nicht in die ÖVP-Küche schauen. Es werde nach der Wahl mit allen Parlamentsparteien gesprochen, die einzige Einschränkung heiße weiterhin Herbert Kickl. Ein Innenminister dieses Namens sei nur unter Rot-Blau vorstellbar, ließ Kurz noch ein giftiges Häppchen fallen.

Als Wahlziel habe er sich lediglich ein "Plus" vorgenommen - und die Verhinderung einer Mehrheit links der Mitte. Rot-Grün-Neos hätten bei der EU-Wahl schon 47 Prozent erreicht, rechnete der ÖVP-Chef vor. Dass die Umfragen etwas anderes sagen und, dass Europawahlen tendenziell eine Domäne dieser Parteien darstellen, blieb unerwähnt.

Der "Schwiegersohn-Alarm"

Pötzelsberger stellte wie in allen Sommergesprächen viele richtige und auch durchaus unangenehme Fragen. Durch seine ausgeglichene Art und einem mitunter schelmischen Grinsen kann dem Informations-Shooting-Star dabei nie jemand richtig böse sein.

Ab und zu gab es auch gestern ein "Beantworten Sie bitte meine Frage …", richtig auf etwas festnageln wollte er aber auch Kurz nicht.

Die Fragetechnik unterschied sich dabei nicht wesentlich von den anderen Gesprächen, dennoch kam "Schwiegersohn-Alarm im ORF" auf, wie KURIER-Experte Gerald Groß resümierte.

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Pötzelsberger war sehr wohl bewusst, dass die Konstellation jüngster Ex-Kanzler vs. noch jünger wirkender Interviewer, schon rein optisch zum Problem werden kann. Daher wollte er das Thema gleich zu Beginn damit abfangen, indem er bewusst Gemeinsamkeiten herausarbeitete. 

"Wir schauen beide relativ jung aus", sagte Pötzelsberger.

Kurz griff das auf: "Wir haben auch fast dasselbe an."

Pötzelsberger: "Pff, das auch … Ihr Alter war am Anfang Ihrer Karriere immer mal wieder ein Thema …“

Kurz: "Bei Ihnen auch?"

"Na, hie und da."

Die Pflicht und die Kür

Seine besten Momente hatte Pötzelsberger, als Kurz beim Thema Parteispenden sagte, die ÖVP habe immer alle Gesetze eingehalten.

Der Interviewer nannte dies eine Selbstverständlichkeit. "Das ist sozusagen die Pflicht. Die Kür könnte etwas anderes sein", sagte Pötzelsberger. Man könne es "Moral oder Optik" nennen.

Die Milliardärin Heidi Horten sei in vielen Bereichen als Wohltäterin geschätzt, führte er sinngemäß aus, sie tue Gutes und spreche auch darüber. Aber "ausgerechnet bei der ÖVP" stückle sie ihre Spenden in Tranchen zu je 49.000 Euro, damit es vielleicht nicht gleich publik werde. "Wie erklären Sie sich das?" fragte Pötzelsberger. Wecke das nicht den "Anschein, dass da im Hintergrund etwas läuft?"

Die Einhaltung der 50er-Zone

"Das Gesetz ist so, wie es ist", sagte Kurz. Die Vorwürfe gegen seine Partei verglich er etwas leichtfertig mit folgendem Beispiel: "Das ist ungefähr so, als ob ich jemandem vorwerfe, warum er in einer 50er-Zone, wo er 50 fahren darf, nicht 30 km/h fährt."

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Kurz zog auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen heran, der "der größte Spendenempfänger" gewesen sei. Er würde dessen Spendern aber niemals unterstellen, dass sie sich etwas kaufen wollen.

Dass Van der Bellen bei der Wahl nicht gerade den mächtigsten Parteiapparat hinter sich hatte, selbst nicht auf Parteienförderung zurückgreifen konnte, zwei Wahlgänge hintereinander zu absolvieren hatte, als Bundespräsident auch wenig politischen Gestaltungsspielraum besitzt, hielt Pötzelsberger dem nicht entgegen. Da fehlte es manchmal an direkter Replik.

Der Promille-Vergleich

Eine solche folgte dann bei der anschließenden "ZiB2"-Analyse durch Peter Filzmaier. Die Analogie mit der 50-km/h-Zone kommentierte der Politologe mit einem gewohnt gepfefferten Vergleich: "Wenn es so ist, dass wir 0,5 Promille im Autoverkehr haben dürfen, dann muss ich noch lange nicht jedes Mal Zielpunktsaufen auf 0,49 Promille hin machen.“

0,49 Promille wären übrigens über den Daumen gerechnet wohl zwischen zwei und drei Aperol Spritz. Je nach Körpergewicht, Alter und Ernährungsgewohnheiten. 

Letztere habe Sebastian Kurz übrigens gerade leicht verbessert, erfuhr man von ihm im weicheren Frageteil.

Die große Abwesende: Migration

Was im härteren Frageteil diesmal mit keinem Wort zur Sprache kam: die Migration. Weder wurde das Thema von Pötzelsberger angesprochen, noch von Kurz aufgegriffen.

Auch das hat das Sommergespräch gezeigt: Das Wahlkampfthema Parteispenden mag Kurz bei derzeitigem Stand zwar nicht viele Wählerstimmen kosten, aber es ist für ihn doch ein Klotz am Bein. Weil es fast unmöglich ist, von dort aus auf sein bewährtes Leibthema Migration überzuleiten. 

Beim Megathema Klimawandel verabreichte Kurz in gewohnter Eloquenz Beruhigungspillen. Klimamaßnahmen müssten mit sozialem Augenmaß getroffen werden, meinte der ÖVP-Chef sinngemäß und betonte die "ökosoziale Marktwirtschaft". Es wirkte einigermaßen ungewöhnlich, Kurz einmal in der Rolle des Bremsers zu sehen. Vielleicht entspricht diese aber sogar eher einem Titelverteidiger, der zurück ins Kanzleramt will.

Was Kurz über Spenden, Buchführung, Pensionen und den Klimawandel sagte, lesen Sie hier: