US-Wahl im TV: "Trump hat ein Streichholz hineingeworfen"
Von Peter Temel
*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Es ist Mittwochnachmittag. Man ärgert sich ein bisschen, wenn man noch immer hört, dass das Rennen in der US-Wahl völlig offen ist. Warum ist man dann bis 4 Uhr aufgeblieben? Nur um mit dem Wissen zu Bett gegangen zu sein, dass Trump erneut Florida gewinnen wird? Und nicht nur das. Zu diesem Zeitpunkt liegt die Karikatur eines Republikaners auch in praktisch allen anderen Battleground-States voran, hat noch keinen einzigen Staat, den er 2016 gewonnen hatte, an Herausforderer Biden verloren. Dem Demokraten scheint, anders als vorausgesagt, irgendwie der Swing zu fehlen.
Wer 2016 vorzeitig schlafen ging, tat das im Glauben an eine Präsidentin Hillary Clinton. 2020 scheint alles umgekehrt. Man glaubt, dass Trump gewinnen wird. Na dann gute Nacht.
Forrest Gump
Lange aufzubleiben hatte aber auch seine Vorteile. Man sah etwa die Studioanalysen von Andreas Pfeifer bei Nadja Bernhard und die vorbereiteten Wahlkampfreportagen des ORF. „Tom Hanks ist als Forrest Gump auf dieser Bank gesessen“, weiß etwa Roland Adrowitzer aus Savannah, Georgia zu berichten. Die Stadt sei von Salzburger Protestanten mitbegründet worden, erfährt man.
Begonnen hatte die ORF-Wahlnacht mit einer ausgezeichneten Diskussionsrunde, in der das knappe Rennen und die späteren Volten des Amtsinhabers bereits angekündigt worden sind.
Alarm: Schlüsselwahlmoment!
Spätestens dann, wenn einem das erste Wahlergebnis in Indiana von Johannes Marlowits emotionslos zur Kenntnis gebracht wird, ist es zum ersten Mal Zeit, auf CNN zu wechseln. „KEY RACE ALERT!“ heißt es dort, unter dramatisch pumpender Musikunterstützung. Diese Schlüsselwahlalarme bestehen dann meistens aus US-Bundesstaaten, die noch "too early to call" oder „too close to call“ sind, also jedenfalls noch nicht entschieden. Aber allein schon die gefühlt alle zwei Minuten hereinrauschenden „KEY RACE ALERTS!“ sind Garant dafür, dass man irgendwie wach bleibt.
Witz am Rande: Die regelmäßig für Herzrasen sorgenden "KEY RACE ALERTS" werden dieses Jahr von einer Meditations-App namens "Calm" präsentiert.
Wenngleich die CNN-Wahlberichterstattung irgendwie tatsächlich etwas Meditatives hat. Anchor-Legende Wolf Blitzer trägt nur einen flashigen Namen, er selbst ist so ausgeglichen wie Yoda, Buddha und Big Lebowski zusammen. Er scheint lediglich die Aufgabe zu haben,Chief National Correspondent John King darum zu bitten, den nächsten US-Bundesstaat zu analysieren.
Mecklenburg
Und dabei wird ins kleinste Detail gegangen, County um County wird per Touchscreen herausgezogen, das Zwischenergebnis mit den Resultaten von 2016 verglichen. Irgendwann ist man dermaßen in Trance, dass man nur noch aufschreckt, wenn Mecklenburg aufgerufen wird. Hoppla! Wird etwa schon in Deutschland gewählt? Nein, es handelt sich um Mecklenburg County im Bundesstaat North Carolina. Und Joe Biden scheint dort überzuperformen, im Vergleich zu Hillary Clinton, sagt King.
Und Florida? John King sieht schon früh Unheil für Joe Biden. Der Vorsprung der Demokraten im bevölkerungsreichsten Miami Dade sei verglichen mit 2016 beunruhigend gering.
Irgendwann fällt auf Twitter der Satz: “Amerika ist eine super Idee, aber in der Ausführung katastrophal.”
Totengräber Trump
In welch katastrophale Zustände das steinalte Wahlsystem münden kann, vermittelt man auf dem Newssender Puls 24, wenn Manuela Raidl unter dem Titel „Der Totengräber der Demokratie?“ die diversen Szenarien nach dieser Wahl präsentiert. Es gibt sogar ein Szenario, wenn nämlich bis zum in der Verfassung fetstgeschriebenen Datum 20. Jänner kein neuer Präsident gefunden ist, dass dann die Chefin des Repräsentantenhauses, die resolute Demokratin Nancy Pelosi, als erste weibliche Präsidentin einspringen könnte. „Hillary Clinton würde sich wahrscheinlich alle Haare ausreißen“, sagt Raidl, die dabei eine Hand lässig in der Hosentasche stecken hat.
So leger stellt man sich eben einen Privatsender vor. Die Puls24-Berichterstattung wirkt irgendwie sehr kostengünstig produziert, immerhin gibt es ein Wiedersehen mit dem früheren ORF-Korrespondenten Ben Segenreich.
Stürmisch
Roland Adrowitzer berichtet derweil für den ORF aus Florida. Trump könne nicht ohne Florida gewinnen, Biden aber schon, erklärt Adrowitzer. Er steht auf einer sturmumwehten Terrasse, ähnlich stürmisch werde auch die US-Wahl verlaufen, sagt er. „Wir hoffen, dass dich der Sturm nicht davonträgt“, sagt Nadja Bernhard.
Irgendwann um sechs Uhr früh, wenn man dann wieder aufsteht, ist Florida dann doch relativ klar an Trump gefallen.
Trump tritt noch in der Wahlnacht vor die Kameras und sagt das Vorhergesagte: „Um ehrlich zu sein, wir haben gewonnen.“ Es habe keinen Sinn noch Stimmen auszuzählen, es werde jetzt ohnehin nur noch belogen und betrogen, sagt Trump sinngemäß. Er singt das ewige Trump-Lied, dass einer wie er nur mit üblen Tricks besiegt werden könne. Und er droht mit dem Gang vors Höchstgericht.
Eine Wahl zum Nägelbeißen
Auf CNN sind Blitzer und King mittlerweile von jüngeren Kollegen abgelöst worden. Einer davon ist Chris Cuomo. Der noch jüngere an der Analyse-Wand gestikuliert wie ein Teleshop-Verkäufer. Er gibt alles, um zu erklären, warum das Rennen bei Weitem noch nicht entschieden ist. Das Rennen um die Präsidentschaft wurde mittlerweile längst zur „NAIL-BITER-ELECTION“ erklärt. Frei übersetzt: Eine Wahl für Nägelbeißer.
Der CNN-Anchor sagt nach jeder Werbepause, dass alles normal sei, wie bei jeder Präsidentenwahl noch fertig ausgezählt werde, nur dieses Jahr eben besonders viele Briefwahlstimmen abgegeben wurden. Mehrheitlich von Demokraten, und das mache das Rennen so spannend. Die Strategie des amtierenden Präsidenten, nur irgendwie im Amt zu verbleiben, wird knallhart aufgedeckt.
Das Streichholz
Sogar auf dem Trump-freundlichen Sender Fox News scheint der Präsident keine Punkte mit seinen Drohungen zu machen. „Das ist eine ungeheuer explosive Situation und der Präsident hat da gerade ein Streichholz hineingeworfen“, sagt Anchor Chris Wallace.
Trump habe diese Staaten noch nicht gewonnen, betont Wallace, „es sagt auch niemand, dass er in diesen Staaten gewonnen hat.“ Gemeint sind unter anderem Georgia, North Carolina, Pennsylvania, Michigan, Wisconsin.
Wallace ist übrigens der Mann, dem das berüchtigte TV-Duell zwischen Trump und Biden total entglitt. Bei Fox News ist er aber einer der wenigen ultraseriösen Kommentatoren.
Luther Kings Nichte
Das ist ein paar Stunden später zu bemerken, als die Nichte von Martin Luther King, Alveda KIng, befragt wird. Die Nachfahrin des berühmten Bürgerrechtlers bekennt sich offen zu Trump und berichtet prompt, in Georgia Unregelmäßigen beobachtet zu haben.
„Wenn es Unregelmäßigkeiten gegeben hat, muss dem nachgegangen werden“, sagt die Fox-Interviewerin, ohne genauer nachzufragen.
Der Swing
Zurück zu CNN. Der Teleshop-Verkäufer erklärt immer wieder, warum es keinen Betrug der Demokraten brauche, um Biden in Wisconsin (BREAKING NEWS!) in Führung zu bringen. In den Staaten des oberen Mittleren Westens kommen die für die Demokraten lukrativen Briefwahlstimmen eben am Schluss dran. Auch in Michigan geht Biden in Führung. Es sieht immer besser aus für den Herausforderer. Der Swing scheint gefunden.
Kehraus
Der ORF steht inzwischen, vertreten durch Rosa Lyon, vor dem Weißen Haus. Wir wohnen mittlerweile der „ZiB“ um 9 Uhr bei, es ist vor Ort drei Uhr Nacht. Die nächsten Tagen würden „wild werden“, viele Geschäfte seien mit Brettern verbarrikadiert.
Die Wahlnacht geht zumindest auf den Straßen ihrem Ende zu. „Hinter mir fahren schon die Straßenreinigungsautos“, sagt Lyon.
Ausgezählt wird freilich weiterhin jede Stimme, das kann Trump vorerst nicht verhindern.
Wir schalten wieder zum jungen Teleshop-Verkäufer.