Kultur/Medien

ORF-Sportchef Trost: "Wir sind Journalisten, wir sind nicht Fan"

Die Damen-Weltcup-Rennen am Semmering und die eben gestartete Vierschanzen-Tournee sind für den ORF-Sport im Grunde ein besseres Aufwärmtraining für das, was nun kommt: die Super-Sportjahre 2021 und 2022, die durch Corona-Verschiebungen bedingt sind und in denen ein Großereignis das nächste ablöst. Ein Aus- und Rückblick mit ORF-Sportchef Hans Peter Trost.

KURIER: Auf Sie und Ihre Mitarbeiter kommen zwei heftige Jahre zu.

Hans Peter Trost: Ich bin doch schon lang im Unternehmen, aber an so viele Sport-Ereignisse in so kurzer Zeit kann auch ich mich nicht erinnern. Olympische Spiele in einem Jahr aufs andere hat es noch nie gegeben. Dazu die Fußball-Europameisterschaft, auf die die Weltmeisterschaft folgt. Dazwischen alles Weitere gedrängt und ineinander verschachtelt – für Sport-Interessierte und Fans ist das natürlich wunderbar.

Müssen Sie nicht befürchten, dass früher oder später “Wohlmeinende” den “Mut zur Lücke” einfordern?

(lacht) Das wird von innerhalb und von außerhalb des ORF sowieso kommen. Es ist ja auch zulässig, verkennt aber einen wesentlichen Punkt: Für einen öffentlich-rechtlichen, gebührenfinanzierten Sender geht es hier auch darum, der breiten Bevölkerung die Teilhabe an Top-Ereignissen überhaupt noch zu ermöglichen. Schon jetzt ist einiges nicht mehr frei empfangbar, Sportrechte sind aufgesplittet und mit diversen Abo-Gebühren verbunden. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist es dann doppelt bitter, wenn man an Sport, den ich wie Kultur als Grundnahrungsmittel sehe, nicht mehr herankommt.   

Der Ausbruch der Pandemie hat den Sport besonders betroffen. Es gab viele Absagen und Verschiebungen. Wie gehen Sie damit um: weinen, schreien und auf den Boden werfen?

Ich nehme Variante vier: Ich habe ein großartiges Planungsteam rund um Robert Waleczka. Durch die Pandemie hat das zugegeben eine andere Tragweite bekommen, aber Absagen und Verschiebungen gehören zum Sport und die Folge sind Termin-Kollisionen: Wenn die FIS ein Alpin-Rennen verschiebt, dann kollidiert das in aller Regel mit einer nordischen Veranstaltung. Das wiederum stellt uns vor die Frage, was machen wir im ORF mit dem anderen Live-Sport wie z. B. Bobfahren, Rodeln, Skeleton, wo es Erfolge gibt und Publikum. Ich sage da immer, es ist ein Glück, dass es ORF Sport+ gibt, wo das alles läuft. Besonders ärgerlich ist es für Zuseher, wenn an einem Samstagnachmittag, mitten in der Live-Übertragung, abgesagt wird. Wir müssen dann kurzfristig mit dem ORF1-Channel-Management überlegen, ob wir eine andere Sportartübernehmen oder man auf Ersatzprogramm umsteigt. Da spielen natürlich auch journalistische Kriterien eine Rolle.

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Nicht immer sind diese nachvollziehbar. Etwa, wenn die Auslosung der Fußball-WM-Qualifikation auf Sport+ verbannt wird, statt auf ORF1 zu laufen – und dann der Spartenkanal im Quotenrennen einen klaren Sieg einfährt.

Das freut uns natürlich für ORF Sport+. Etwas Wehmut herrscht da wohl bei ORF1. Wir wollen natürlich dort möglich viel Sport haben, als Vollprogramm will man bei ORF1 aber logischerweise auch andere Zielgruppe versorgen. Wir bieten immer wieder an, die Entscheidung fällt der Sender. 

Die nächsten Highlights nach der Vierschanzen-Tournee sind im Februar die Weltmeisterschaften Ski alpin. Ski nordisch und …

… die Paraski-WM in Lillehammer, wurde – apropos Corona - auf 2022 verschoben. Sie hätte ja Anfang Februar stattfinden sollen. Aber davor, also jetzt im Jänner, findet die Handball-WM statt – mit österreichischer Beteiligung. Das ist für uns ein wirkliches Highlight. Ich erinnere daran, dass Spiele gegen Deutschland bei der Heim-EM eine halbe Million Zuseher hatten. Es spricht nichts dagegen, dass es wieder so ist, und ich gehe davon aus, dass wir Sendeflächen in ORF1 dafür bekommen werden. Und ab dieser WM geht es für den ORF-Sport dahin und letztlich endet das Alles erst 2022.

Trotz nun beginnender Impfungen: Corona ist nicht weg, Lockdowns sind möglich. All Eure Planungen laufen wohl mit Sicherheitsnetz, wie schaut das aus?

Das ist absolut notwendig. Bei jeder Veranstaltung sind die Fragen stets, was ist für den ORF ökonomisch vertretbar und was gegenüber den Mitarbeitern insbesondere aus gesundheitlichen Gründen. Die wirtschaftliche Seite ist längst durchgeplant. Im Zusammenhang mit der Gesundheit der Mitarbeiter gibt es verschiedene Szenarien. Die reichen bis dahin, dass niemand vor Ort ist und aus dem Studio kommentiert wird. Bei den Olympischen Spielen sind bereits jetzt Remote-Produktionen eingeplant. In Tokio werden nur noch 30 bis 40 Prozent des Personals vor Ort sein, wie zuvor üblich. Bei der Fußball-EM im Juni müssen wir noch zuwarten, was von organisatorischer Seite her in Bezug auf die Spielorte kommt. Den journalistischen Zugang ändert das aber ohnehin nicht.

Und der lautet wie?

Wir wollen überall, wo es möglich ist, dabei sein, nicht nur live, sondern auch mit entsprechender Hintergrundberichterstattung und mit Interviews. Wir wollen nah ans Geschehen und das auch im Austausch mit Kollegen anderer Fernsehanstalten. Dazu kommen soll, soweit möglich, noch mehr Analyse. Aber auch das Herum-Programm, Stichwort Land und Leute, wird nicht zu kurz kommen. Über all diesen Inhalten und Planungen steht die Frage, ob es Änderungen gibt oder nicht.

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Das kommende Sport-Jahr hat ja noch eine weitere Besonderheit: Es beginnt die Phase des Paarlaufs von ORF und ServusTV. Wer macht bei der Formel 1 Mitte März den Auftakt in Melbourne - so es einen Auftakt gibt?

Es gibt laufend Gespräche mit ServusTV. Ich denke, dass es Mitte/Ende Jänner soweit sein wird, dass alles fix und auch bestätigt sein wird. Es werden verschiedene Variante durchgespielt, aber wir sind noch nicht so weit, dass wir darüber schon reden könnten. Für die Fans ist ohnehin nur wichtig, dass es die Rennen weiter im Free-TV gibt und dass sich die Sender natürlich intensiv um sie bemühen werden. Der ORF hat den Vorteil einer langen Formel1-Tradition, wir hatten weltweit den höchsten Marktanteil und wir haben exzellente Kommentatoren, die auch bleiben werden – und das österreichische Publikum ist immer noch sehr an der Formel 1 interessiert. Das stimmt insbesondere für das jüngere Publikum, bei dem TV-Sport insgesamt punkten kann. Da wird auch noch unser sehr bescheidenes Social-Media-Angebot intensivert werden müssen.

Gemeinhin gilt ja für TV-Sport: Der Zuseher ist alt, männlich, weiß.

Das ist ein Klischee und stimmt so nicht mehr. Es gibt beispielsweise einen recht hohen Frauenanteil beim Publikum. Für uns die Verpflichtung, dass Thema Geschlechtergerechtigkeit erst recht ernst zu nehmen. Das muss beim Fokus auf Sportarten, aber auch bei der Moderation sichtbar werden. Fürs kommende Jahr geplant ist auch, dass Anna-Theresa Lallitsch Spiele der zweiten Liga kommentieren wird und ich geh davon aus, dass der Aufbau bis in die höchsten Ligen gelingt. Ähnliches gilt für den Para-Sport. Mit Andreas Onea haben wir jemanden gefunden, der über diesen engen Bereich hinaus im Einsatz sein kann. Diese Themen sind vielleicht vordergründig nicht so präsent, aber auch das gehört 2021 vorangetrieben. Dem Sport kommt da meines Erachtens eine Schlüsselrolle zu.

TV-Sport gilt als Quoten-Bringer. Es gibt allerdings Wechselwirkungen, die Sie nicht beeinflussen können – so leidet etwa die Attraktivität des Ski-Sports darunter, dass Superstar Marcel Hirscher nicht mehr aktiv ist. Wie schaut es nun aus mit der Nutzung?

Da geht es allen, die Bewegtbild übertragen, im Grunde gleich. Ich habe aber gar keinen Grund, mit den Sport-Quoten heuer unzufrieden zu sein. Auch wenn es mal da oder dort sportliche Durchhänger gibt: Die Österreicher schauen trotzdem zu. Die Reichweiten sind, auch wenn das zum Teil dem Lockdown geschuldet ist, gut. Die Fernsehnutzung ist ungemindert hoch: Der Sport bespielt etwa 15 Prozent der Sendefläche in ORF1, aber generiert 45 Prozent der Nutzung dort. Das ist schon sehr gut.

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Das Publikumsinteresse hängt aber zu einem Gutteil an den Erfolgen.

Erfolge können jedenfalls das Publikumsinteresse in andere Richtungen lenken. Österreichs sehr erfolgreiche Rodler sind so ein Beispiel oder die Fußball-Damen von St. Pölten. Ihr Champions-League-Spiel hatte in der Spitze 100.000 Zuseher. Auch das Fußball-Nationalteam der Damen ist wieder im Kommen und hatte ja schon einmal bei der Euro einen Hype erlebt. Und natürlich muss man als Sport-Redaktion wach sein und auch mal etwas Probieren: 27.000 hatte ein Training der U20-Eishockey-Nationalmannschaft mit Ausnahmetalent Marco Rossi. Das ist ja nicht nichts. Oder wir haben den Lockdown zum Anlass genommen, ein Fitness-Programm aufzustellen (Ist das “Wir bewegen Österreich” (?)), das ebenfalls gut angenommen wird.

Gibt es für Sie so etwas wie Quotenenttäuschungen?

Bei manchem Fußballspiel wie jüngst bei der Cup-Begegnung von Rapid gegen Salzburg, da hätte ich mir schon eine halbe Million Zuseher erhofft, was nicht gelungen ist. Es gibt da noch einiges zu analysieren für uns, denn für den Uniqa-Cup Machen wir sehr viel und versuchen auch, besondere Partien zu finden, wie es etwa bei der Vienna heuer war.

Wie sind Sie mit der Performance der Bundesliga-Sendung und der paar Live-Matches zufrieden? Ich frage das auch dahingehend, da es auch von dieser Regierung Pläne gibt, die die Bundesliga ins FreeTV zwingen sollen?

Man merkt schon, dass derzeit der Seher-Flow in ORF1 nicht passt. Sicher wäre es besser, am Sonntagnachmittag ein Live-Match zu haben und anschließend die Fußball-Sendung zu spielen. Aber diese Rechte haben wir nicht. Die Highlight-Sendung am Samstagabend funktioniert leider gar nicht, wie erhofft. Das ist auch logisch, weil das Vorprogramm nicht auf Sport ausgerichtet ist. Das müssen wir noch tiefergehend analysieren, was die Zusammensetzung und die Motivationslage der Zuseher betrifft. Das ist auch insofern wichtig, weil es auch Rückschlüsse in Hinblick auf etwaige künftige Digitalangebote zulässt.

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Apropos Fußball: Im Herbst kehrt die Europa League zurück in den ORF – ebenfalls ein Paarlauf mit ServusTV. Was ist dem ORF wichtig?

Für uns ist klar: Da konzentrieren wir uns so lange es geht auf österreichische Vereine und Spieler. Das mag chauvinistisch klingen, aber unser Fokus kann nur der heimische Sport sein, zumal wenn er international Spiele absolviert. So wie die Vereine sich derzeit bewähren, kann man mit einem guten Angebot rechnen.

Und Sie setzen darauf, dass Red Bull-Mannschaften, ob aus Salzburg oder Leipzig, bei ServusTV einlaufen werden  …

Es ist das jedenfalls gut vorstellbar.

Der dritte Paarlauf-Bewerb ist Tennis: Da hat man sich doch, zumindest etwas, um Senderechte gerauft. Bei der Stadthalle hat man aber einen Modus gefunden, mit dem Servus und ORF glücklich werden wollen.

Zunächst, der ORF hat die French Open, die heuer die Zuseher-Massen mobilisiert haben, auch noch im Jahr 2021. Beim Stadthallen-Turnier wollten wir als langjähriger Partner nicht vollständig aussteigen. Wir zeigen also wenigstens elf Spiele. Das ist auch viele Bausteinen rundherum geschuldet und das beginnt beim Sponsor, aber auch der Erkenntnis, dass der ORF nicht alles und allein haben kann. Denn unser Ziel ist, heimischen Sport in seiner ganzen Breite zu zeigen und nicht unsere begrenzten Mittel nur auf ein paar Top-Sportarten konzentrieren. Das macht den ORF für Vereine, Verbände und Veranstalter zum verlässlichen Partner.
 

Übersicht (Auszug)  
Der ORF dominiert  den Winter mit  FIS WM  nordisch und alpin (bis 2025), den FIS Rennen in Österreich (bis 2022) und im Ausland (bis 2026), Biathlon WM und Weltcup (bis 2021), dazu noch Olympia (Winter bis 2022, Sommer bis 2024).   

Ball-Spiele (Auszug)
Fußball-Länderspiele (bis 2022) EURO 2020 (= 2021), WM 2022,  Europa-League (geteilt bis 2023/’24), Bundesliga-Highlights, ÖFB Cup, 2. Liga (bis 2022), Volley- und Handball.

Weitere Rechte (Auszug)
Die Formel 1 teilt man sich mit ServusTV bis 2023

Auf der anderen Seite stellt sich da die Frage, wieviel Nähe darf sein zwischen Journalismus und Sportveranstalter. Oder wie distanziert muss man sein. Und: Fehlt Ihnen ein Sportmagazin?

Ich hätte gern so etwas, wie die ARD, die beispielsweise die Doping-Recherche in eine Firma ausgelagert hat, die dann zwei, drei Mal im Jahr profunde Berichterstattung und Reportagen liefern. Das ist halt eine Frage auch der Ökonomie, und die wundersame Geldvermehrung gibt es nicht. Aber natürlich berichten auch wir über diese dunklen Seiten des Sports, von Doping über Macht- und sexuellen Missbrauch bis hin zu Betrug. Wir versuchen, diese Themen im Umfeld unserer umfangreiche Live-Berichterstattung zu senden oder auch in “Sport am Sonntag”. Wenn etwas strafrechtlich relevant wird, machen wir das in enger Abstimmung mit der “ZiB”-Redaktion. Anders sehe ich das nicht umsetzbar – die Sportredaktion besteht aus 40 Journalistinnen und Journalisten und bespielt, mit Wiederholungen, um die 11.000 Sendestunden jährlich. Irgendwann geht es dann einfach nicht mehr. Aber dass wir die negativen Seiten nicht ausblenden dürfen und auch nicht wollen, ist völlig klar.

Wir hoffen ja alle, dass wir in den kommenden beiden Jahren sehr viel jubeln dürfen. Wie sehr mitfiebern und mitjubeln sollen ORF-Kommentatoren und Moderatoren?

Das ist eine gute Frage, die wir immer wieder mit Publikumsbefragungen und, was mir wichtig ist, in Publikumsdiskussionen zu beantworten versuchen. Das sind Runden, die aus etwa 100 Personen bestehen, die gern Sport schauen. Die sagen einem schon sehr klar, was passt und was nicht. Meine Sicht: Wenn Kommentatoren positiv emotional mitgehen, weil gerade Handballer im Europa-Cup eine Sensation schaffen, dann ist das nur menschlich. Natürlich ist zu beachten, dass man nicht unfair den anderen gegenüber wird oder zu chauvinistisch. Aber Sport ist Emotion und Sport ist Teil der Unterhaltungsindustrie, die von Inszenierungen lebt. Gerade bei großen Senderechten ist das so, was wir auch gegebenenfalls thematisieren. Denn eines ist auch klar: Wir sind Journalisten, wir sind nicht Fan. Aber nur negativ muss man auch nicht alle Dinge betrachten, es gibt ja auch konstruktiven Journalismus. Dabei geht es um Distanzhalten und um Einordnung. Die darf aber durchaus mit einem leichten Idiom geschehen, das die Herkunft des Kommentators verrät – Österreich ist ein Land Sprachenvielfalt, das soll man durchaus hören. Das gehört einfach dazu, wenn ich auf dem Schirm Typen sehen und erleben will und das will ich.  

Zum Abschluss ein absolutes Zukunftsthema: die Verlagerung von ORF Sport+ bzw. dessen Inhalte auf die in Arbeit befindliche Streaming-Plattform, den ORF-Player. Was tut sich? 

Dieses Thema wird uns noch ein paar Jahre begleiten, konzeptionell wird aber schon intensiv daran gearbeitet. Vieles hängt dabei auch von gesetzlichen Änderungen ab, auf die der ORF hoffen muss. Auf Sport+ probieren wir dazu auch bereits das eine oder andere. Mehr gibt es derzeit dazu aber noch nicht zu sagen.

Danke für das Gespräch.