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Nehammer schlägt "Duell" vor - Wolf lehnt "höflich" ab

* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends *

 

Der Bundeskanzler schien am Mittwochabend ziemlich gut gelaunt. Immer wieder lachte er ein breites „Hehehe“. Dabei geht es bei „ZiB 2“ Interviews mit ihm und Armin Wolf traditionell ziemlich zur Sache.

Vielleicht sollte Karl Nehammers Lachen also davon ablenken, dass das Gespräch unangenehm verlaufen ist?

Vielleicht zeigt Nehammer damit aber tatsächlich seine Freude über die Themenwahl. Denn gesprochen wurde in den 23 Interviewminuten zu 85 Prozent über Themen, die Nehammer bzw. die ÖVP selbst gesetzt hatte.

14 Minuten lang ging es um Herbert Kickl – oder gerundete 61 Prozent.

Fünfeinhalb Minuten wurde über den Begriff der „Normaldenkenden“ gesprochen, das sind 24 Prozent.

Dazwischen schaffte es Nehammer, eine andere Prozentzahl zu platzieren, nämlich den erfreulichen Füllstand der heimischen Gasspeicher (84 Prozent). Die derzeitige Inflation (noch immer 8 Prozent im Juni laut Schnellschätzung) war eher kein Thema.

Am Ende ging es noch dreieinhalb Minuten um das gegenwärtige Koalitionsklima (15 Prozent Redezeit).

In Prozentzahlen gerechnet konnte der Kanzler also zufrieden sein, denn über noch nicht umgesetzte Regierungsvorhaben wurde kaum gesprochen. Dennoch äußerte er immer wieder seine Unzufriedenheit mit dem Gesprächsverlauf.

"Die Menschen haben Alltagssorgen"

Das Thema Koalition mit der Kickl-FPÖ und die gegenwärtigen Umfragen würden die Leute nicht interessieren. „Es ist offensichtlich auch ein großes, veröffentlichtes, ein mediales Thema, aber die Menschen interessiert das überhaupt nicht, die Menschen haben Alltagssorgen und sie wollen Antworten von der Politik auf Ihre Alltagssorgen“, sagte Nehammer.

Wolf konterte: „Aber Sie haben ja das gestern in Ihrem Kanzlergespräch so zum großen Thema gemacht, durchaus zur Überraschung von vielen Journalisten.“

Deshalb war Nehammer übrigens auch in die Sendung eingeladen worden.

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Er wiederholte noch einmal den Grund der deutlichen Kickl-Ablehnung: das Nein der FPÖ zum Flugabwehrsystem Sky Shield. "Ein Mann, der aus parteipolitischen Gründen bereit ist, die Sicherheit des Landes zu gefährden, ist für mich kein tragfähiger Partner in einer Regierung“, sagte Nehammer.

Dass die zahme Haltung der FPÖ gegenüber Russland nicht der ohnehin stärkere Grund wäre, sie als Partner abzulehnen, kam nicht zur Sprache.

Dafür nannte Wolf andere Beispiele: „Warum ist Sky Shield Ihr zentrales Problem mit Herbert Kickl? Also dieser Raketenschirm und nicht zum Beispiel seine Forderung, dass die Europäische Menschenrechtskonvention aus der Verfassung gestrichen wird, dass illegale Pushbacks legalisiert werden oder die extrem aggressive Sprache mit regelmäßigen NS-Anspielungen, vom Volkskanzler bis zu den Systemparteien? Das ist alles Parteilinie in der FPÖ.“

„Das ist alles schwierig“, sagte Nehammer.

Aber offenbar nicht schwierig genug.

Ausreichend schwierig ist laut Nehammer aber Folgendes: „Wenn es um die umfassende Landesverteidigung geht in einer Zeit, wo Krieg in Europa herrscht, wenn wir sehen, dass wenige Kilometer von uns Raketen einschlagen und das ist so, weil die Ukraine gerade im westlichen Bereich Österreich viel näher ist als manche überhaupt wahrhaben wollen, dann ist es ein Gebot der Stunde, Österreichs Sicherheit auch tatsächlich bestmöglich weiterzuentwickeln.“

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Die "Normaldenkenden"

Das Gebot der Stunde ist offenbar auch ein kantigeres Auftreten – nicht nur gegenüber Kickl, sondern auch in der eigenen Wortwahl. Armin Wolf leitete das Thema so ein: "Jetzt will die FPÖ ja Politik für die Normalen machen, wie sie ständig erklärt, und die ÖVP will neuerdings Politik für die Normaldenkenden machen. Können Sie unserem Publikum den Unterschied erklären?“

Nehammer stieg zum Thema Normalität mit Kritik am Interviewer ein: „Na zum Einen, ich finde es schon mal nicht normal, dass wir überhaupt über das Wort Normalität jetzt in einer der wichtigsten Nachrichtensendungen des Landes … diskutieren. Weil die Menschen wirklich von großen Problemen bedrückt werden.“

Da wollte Wolf bereits energisch einhaken.

Nehammer schob noch schnell nach: „Ich nehme das natürlich gerne an, Sie haben das Recht, jede Frage zu stellen, ich gehe darauf ein.“

Wieder billig

Wolf fand die erste Antwort „ein bisschen billig.“

„Das haben Sie mir schon das letzte Mal vorgeworfen.“

„Ja genau!“

„Irgendwie ist das ,Billig` Ihr Lieblingswort, das fällt mir schon auf …“

 

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„Nein, das ist tatsächlich ein bisschen billig“, erläuterte Wolf nun, „weil das ,Normaldenkend` hat Ihre Landeshauptfrau Mikl-Leitner erfunden. Die hat kürzlich einen Gastkommentar im Standard geschrieben, da kommt das Wort sechsmal vor, das haben ja nicht die Journalisten erfunden und schon gar nicht ich hier im Studio, sondern das ist der ÖVP jetzt ein großes Anliegen, die Normaldenkenden zu vertreten. Was ist ein normaldenkender Mensch und ist jemand, der die ÖVP-Meinung nicht vertritt, dann gleich abnormal denkend?“

Nach diesem Wolfschen Exkurs seufzte Nehammer und begann mit einem eigenen Exkurs: „Aus meiner Sicht ist es eine völlig surreale und auch viel zu aufgeregt geführte Diskussion. Worum geht es aus meiner Sicht? Ich habe in meiner Kanzlerrede gesagt, dass die Politik verstehen muss, Politik für die Vielen zu machen und dabei die Wenigen nicht zu vergessen und auf sie Rücksicht zu nehmen. Herr Wolf, das ist ein fundamentaler Grundsatz unserer Demokratie, wir leben von Mehrheitsentscheidungen und selbst dann, wenn der Verfassungsgesetzgeber davon ausgeht, dass wir Minderheiten schützen müssen, gibt es kein Einstimmigkeitsvotum, sondern wenn, dann ist die Zweidrittelmehrheit gefordert ..."

Wolf wandte ein, dass dies niemand bestreitet.

Auch ÖVP "für die Vielen"

Nehammer bat, das fertig ausführen zu dürfen. „Das heißt, es ist notwendig zu erkennen, dass in einer Gesellschaft es aus meiner Sicht wichtig ist für uns als politisch Verantwortliche, für mich als Bundeskanzler, für uns als Volkspartei die Politik der Vielen zu machen, damit wir auch zeigen, dass wir die Menschen verstehen. Das hat aus meiner Sicht auch dieser Satz bedeutet.“

Nun wurde es verwirrend. Plötzlich geht es der ÖVP um eine Politik für die Vielen?

Wolf griff dies natürlich auf. Er habe nicht nach der Formulierung "Wir machen Politik für die Vielen" gefragt, „das sagt ja auch Herr Babler, sondern die Formulierung "für die Normaldenkenden". Wer ist ein Normaldenkender und wer sind die abnormal Denkenden?“

Blutbefunde des Rhetoriktrainers

Dieses Geplänkel ging noch eine Zeit lang hin und her. Kurz zusammengefasst, erklärte Nehammer das Wort „normal“ zwischendurch mit Blutbefunden und „Normalwerten“. „Nicht normaldenkend“ seine die Extreme, von rechts und von links.

Dann kam er aber doch auf den Kern der Sache: „Es ist total okay, wenn Menschen sich entscheiden, vegan leben zu wollen, aber gleichzeitig braucht kein Mensch ein schlechtes Gewissen haben, weil er ein Schnitzel isst. Und genauso ist es auch total okay, wenn Menschen die Möglichkeit haben zu sagen, sie können mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, aber es braucht keiner ein schlechtes Gewissen haben, weil er aufs Auto angewiesen ist, wenn er mit der Auto zur Arbeit fährt.“

So, das hätte man billiger auch haben können.

Aber das mit dem „billig“ war wieder so eine Sache bei den beiden.

Zwischendurch sagte Nehammer: „Sie haben ja gerade gesagt, es sei eine billige Antwort. Lassen Sie mich doch einmal ausreden, damit ich Ihnen das Vergnügen machen kann, das dann wieder zu sagen …“

Da witterte Wolf wieder ein Ablenken. Und sagte: „Ich weiß, dass Sie Rhetoriktrainer sind, aber ich habe Sie nicht gefragt...“

„Ich bin kein Rhetoriktrainer, ich bin Bundeskanzler der Republik. Aber schön, wenn Sie meine Berufsvergangenheit gelesen haben.“

„Sie sind gelernter Rhetoriktrainer“, schärfte Wolf nach.

Das Duell

Sein ganzes Wissen aus der Rhetoriktrainerausbildung musste Nehammer aufbieten, als Wolf ihn mit den schlechten Umfragewerten der ÖVP konfrontierte.

Der gelernte Rhetoriktrainer Nehammer: „Lassen Sie uns das Experiment wagen, nächstes Jahr zur gleichen Zeit wieder ein Duell sozusagen im Fernsehen führen in Form des Interviews und dann können wir darüber befinden, wer jetzt wie in der Kanzlerfrage et cetera liegt.“

Darauf antwortete Wolf: „Übrigens, duellieren müssen Sie sich bitte mit Herrn Kickl und Herrn Babler. Das möchte ich dann doch nicht.“

„Aber ich dachte, Sie machen das so gern … auch wenn Sie so charmant lächeln .. ich habe gelernt, man.muss sich immer in Acht nehmen …“

Die Mission Ablenkung scheint in solchen Momenten gelungen.

Doch Wolf parierte und sagte: „Ich stelle Ihnen einfach höflich Fragen.“

Um nur Sekunden später eine Gentlemankiller-Frage zu stellen: „Was ist Ihr Wort wert?“

Wir befinden uns wieder im Kickl-Teil und Wolf konfrontierte Nehammer mit vergangenen Wortbrüchen der ÖVP, etwa zu einer Regierungsbeteiligung ohne einen Kanzler Kurz, oder - auf Landesebene – zu Koalitionen mit der FPÖ.

Gelassenheit

Am Ende konnten die beiden dann doch lächelnd auseinandergehen.

Nehammer bat bei der Beurteilung der Regierung um Gelassenheit. „Es wird immer robust sein in einer Koalition, wir waren von vorne weg nie eine Liebesbeziehung, wir waren und sind eine Zweckgemeinschaft, unsere Aufgabe ist es, für die Menschen zu arbeiten und das tun wir.“

Diese Zweckgemeinschaft werde bis zum Herbst 2024 halten. „Das haben Werner Kogler und ich uns so vorgenommen und das ist mein Plan“, sagte Nehammer.

Nehammer lud schon davor dazu ein, „im wahrsten Sinne des Wortes mich beim Wort zu nehmen“.

„Ja, habe ich ja gerade versucht“, sagte Wolf da.

Es wird bis zum Herbst 2024 nicht leichter werden mit den beiden. Auch ohne Duell.

 

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