Iris Berben: "Die Zuschauer werden viel zu oft unterschätzt"
Von Christoph Silber
Freya Becker (Iris Berben) ist als Protokollantin im Morddezernat täglich mit Tätern und Opfern konfrontiert. Als Thilo Menken (Andreas Lust) vom Vorwurf des Mordes freigesprochen wird, nimmt sie das Schicksal selbst in die Hand. Denn sein Fall weist starke Parallelen zu jenem ihrer Tochter auf, die seit Jahren verschwunden ist. ORF2 zeigt „Die Protokollantin“ als Dreiteiler ab heute bis Montag, jeweils um 22 Uhr.
KURIER: Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Serie?
Iris Berben: Autor Friedrich Ani hatte eine Protokollantin kennengelernt und da kam ihm die Idee, ob man nicht über so eine Figur etwas erzählen kann. Er hatte das mit meinem Sohn Oliver besprochen, die gemeinsam schon mehrere Sachen produziert haben. Ich war dann ziemlich schnell dabei.
Was hat sie an Freya Becker interessiert?
Diese Protokollantin ist eine Figur, über die man sehr wenig weiß. Ein Mensch, der immer ganz nah an den Tätern sitzt. Er ist aber kein Kriminalkommissar. Dieser Mensch hat keine Möglichkeit einzugreifen, auch nicht bei dem, was es mit ihm selbst macht, ständig diese Verhöre zu erleben - die Lügen, die Ausreden, die verzweifelten Erklärungen, die Zusammenbrüche. Für mich war schnell klar, dass ich gerne versuchen würde, so eine Figur darzustellen. Dann haben wir noch die wunderbare Nina Grosse gewinnen können, das Drehbuch zu schreiben.
„Die Protokollantin“ hatte eine längere Vorgeschichte?
Von den ersten Ideen bis zum Drehstart lagen über drei Jahre. Im Nachhinein betrachtet, hatte das auch eine gewisse Logik, denn „Die Protokollantin“ erfüllt nun Kriterien, die zunächst noch gar nicht so sehr zur Disposition standen – aggressive Frauenfiguren, vermeintliche Heldinnen, eine Rächende - so etwas war zuvor reine Männerdomänen gewesen. Dazwischen lag auch der Start der #MeToo-Debatte.
Frauen dominieren bei dieser Produktion vor und hinter der Kamera.
Beteiligt waren zwei Regisseurinnen, eine Autorin, eine Hauptdarstellerin und eigentlich alle weiblichen Figuren in „Die Protokollantin“ haben, finde ich, ein dezidiert selbstbestimmtes Leben, da gilt bis hin zur Prostituierten. Das war auch für die Sender neu, denen das Projekt vorgestellt wurde. Deren erste Bedenken – die haben oft diesen vorauseilenden Gehorsam – waren, ob die Zuschauer so etwas sehen wollen. Ich meine ja! Und ich glaube auch, dass der Zuschauer viel zu oft unterschätzt wird. Aber auch als Schauspieler will man sich seinem Publikum stellen. Nur etwas zu machen, von dem man weiß, dass ein Großteil der Zuseher ohnehin mitzieht, da reizt mich anderes viel mehr.
Sehr viel der Geschichte erzählt Ihr Gesicht, das nahezu ungeschminkt ist. Es sind Nuancen, die das Spiel weitertreiben.
Das ist eine Herausforderung, die einen Schauspieler reizt, weil, wie ich finde, man sich sonst schon oft in viel zu vielen Dialogen mitteilt. Auch da unterschätzt man das Publikum. Es braucht dieses Nachplappern dessen, was zu sehen war, nicht. Der Zuschauer ist wach genug. „Die Protokollantin“, das ist eine sehr reduzierte Rolle in jeder Hinsicht: Das Äußere war Reduktion und eben auch das Spiel. Dass man als Zuseher in der Körperlichkeit, in der Körpersprache oder auch in den Blicken lesen kann, finde ich interessanter als den langen großen Monolog. Wir wussten zunächst aber auch nicht, wohin diese Reise gehen wird. Da das Stück für mich geschrieben wurde, war ich sehr früh beteiligt. „Die Protokollantin“ ist bis in jede kleinste Rolle hervorragend besetzt, das ist mit sehr viel Sorgfalt passiert. Man hat Namen gewälzt, ist die Figuren durchgegangen, hat überlegt, wen man wie wo sehen möchte - ein wunderbarer Prozess.
Eine Herausforderung.
Herausforderungen sind nichts Schlechtes, wir wünschen uns mehr Herausforderungen in unserem Beruf, das kann ich Ihnen sagen.
Freya Becker ist eine Frau, die mit ihrem Leben völlig abgeschlossen. Aber wie stellt man das als Schauspielerin dar, worauf greift man dafür zurück?
Das ist unser Handwerk, das wir können und beherrschen sollten. Ich sage aber auch, dass man dabei nie ankommt, man sucht immer weiter nach neue Möglichkeiten. Je mehr Erfahrung man hat und je älter man wird, umso mehr weiß man ja über Abgründe, Einschnitte, wo einem selbst Narben gesetzt wurden. Daraus nimmt man die Fähigkeit, sich in eine Frau zu versetzen, die ihr vermisstes, einziges Kind finden oder zumindest damit abschließen will. Dieser Schmerz, das ist etwas, was sich in der Haltung, im Gesicht vermittelt. Dazu kommt: Die Arbeit am Set ist Teamarbeit: Es sind seriöse Kollegen, die man um sich hat, zufälligerweise hier auch noch Menschen, die man mag. Das ist ja nicht immer gesetzt. Aber das war hier der Fall und so ein Umfeld gibt einem Mut und Kraft, sich so nackt zu machen, wie es für so eine Rolle notwendig ist.
Die Person der Protokollantin ist besonders gezeichnet.
Das Äußere wie die Kleidung und das Make-up oder eben kein Make-up - das ist ein Transportmittel. Man darf sich aber nie dem hingeben, verkleidet zu sein, auch wenn man verkleidet ist. Das merkt der Zuschauer sofort. Sondern man ist diese Figur. Da ist kein Gedanke daran, wie sehe ich aus oder wie wirke ich auf andere. Diese Figur sickert in einen ein. Was mir daran im Nachhinein dann mal positiv aufgefallen ist: Wir haben sehr viel an Originalschauplätzen in Berlin gedreht, aber die Leute haben einen gar nicht erkannt. Wir konnten in Ruhe arbeiten. Es war schon spannend zu sehen, wie da gar kein Blick mehr auf einen fiel. Daran merkt man dann aber auch, wie sehr man das auch schon kennt.
Was ist es, was treibt Freya Becker?
Wir haben oft darüber geredet. Ich glaube, da kommt mehr zusammen: Es ist Verzweiflung, es ist Rache, es ist eine unerlaubte Form von Gerechtigkeitssuche. Diese Frau wird nicht von nur einem Gefühl geleitet. Bis an dem Punkt, an dem für sie das Puzzlespiel beendet ist. Ich meine auch, dass niemand gefeit ist vor Rachegedanken. Wir verbieten sie uns und sind damit auf dem richtigen Weg. Trotzdem möchte man nicht in jeder Situation die Hand für sich ins Feuer legen und behaupten, es sei das alles einem fremd.
Sie haben ein sehr erfülltes Schauspieler-Leben. Wie baut man sich so etwas?
Ich glaube nicht, dass man es sich nur selbst baut. Ich habe mir jüngst, in Zusammenhang mit einer politischen Aktion für junge Menschen, Gedanken dazu gemacht. Also Glück spielt schon auch eine Rolle dabei, wobei, Glück bedeutet in meiner Definition auch Selbstbestimmtheit und mit sehr offenen und sehr wachen Augen durch die Welt zu gehen. Und diese meine Karriere - da ist die äußere Wahrnehmung ja nicht immer oder fast nie identisch mit der eigenen. Ich selbst werde von Zweifeln getrieben, Zweifeln, die etwas sehr Produktives haben, denn die ermöglichen die Analyse des eigenen Tuns. Es spielen ganz viele kleine oder auch größere Bausteine eine Rolle, dass man auch nach über 50 Jahren vor der Kamera noch spielen darf - 2018 waren es 50 Jahre, etwas, was einem ja plötzlich so erzählt wird, denn diese Wahrnehmung habe ich so von mir ja nicht. Ich zähle ja keine Dekaden bei meiner Arbeit.
Wie gehen Sie in die Zukunft?
Ich versuche einfach, intensiv weiterzuleben und dazu gehört für mich auch weiterzuarbeiten - ich kann ja nichts Anderes (lacht). Ich empfinde es keineswegs als selbstverständlich, wo ich mich in meinen Möglichkeiten immer noch befinde. Es ist dieser Beruf ja so bereichernd und er bietet einem Freigeist wirklich so viele Möglichkeiten sich auszuleben, zu suchen und neugierig zu sein. Also, für mich läuft da vieles parallel, deshalb kann ich den Beruf auch nicht so von meinem Leben trennen, deshalb sage ich dazu einfach weiterleben.
„Die Protokollantin“ ist ein starkes, aber kein typisches Osterprogramm.
Ich bin natürlich sehr gespannt, wie dieser Stoff zu dieser Zeit hier in Österreich funktioniert. In Deutschland hatte die Serie sechs Teile zu je einer Stunde, beim ORF sind es dreimal 90 Minuten. Das ist gar nicht einfach für das Drehbuch, denn jede Folge hat ja ihren eigenen Spannungsaufbau. In Deutschland hatten wir einen großen Zulauf in den Mediatheken gehabt, weil die Leute keine Lust mehr haben, auf die nächsten Folgen zu warten.
Das zeigt, wie wichtig gute Geschichten sind.
Wir haben hervorragende Autoren und wir müssen die Autoren noch besser schützen, sie noch besser einbinden. Ich gehöre natürlich zu den Kämpfern und Verfechtern der Autoren, weil ihre Arbeit ist das, was uns Schauspieler zum Leben erweckt!
Zur Renaissance des Stellenwerts von Autoren in der Öffentlichkeit gehören auch die High-End-Serien. Haben diese Auswirkungen, die über das Projekt an sich hinausgehen?
Die gab es auch auf die Arbeit bei “Die Protokollantin“. Viele in dieser Branche haben sich natürlich an die Schnelligkeit in allen Bereichen gewöhnt, wie schnell etwa Figuren etabliert werden müssen, wie schnell erzählt werden muss. Dieses nun wieder neue epische Erzählen ermöglicht es, ganz anders an Figuren heranzugehen, was für Schauspieler ein viel intensiveres Arbeiten bringt. Unsere Serie hat eine sehr, sehr ruhige Gangart. Ich finde das dem Stoff entsprechend, da stimmt die Melodie der Serie und darauf muss man sich einlassen. Das serielle Erzählen und weil auch das Arthouse-Kino wieder angenommen wird, das eröffnet jedenfalls viele Möglichkeiten. Die sollten wir alle nutzen! Ich jedenfalls bin für jedes neue Experiment zu haben und dafür, Projekte zu machen, die vielleicht ungewohnt sind, selbst wenn das nicht die Massen bewegt. Denn das kann nicht das Kriterium sein, dabei bliebe zu viel auf der Strecke.
Danke für dieses Gespräch.