BP-Kandidaten im ORF: "Jetzt müssen wir noch unsere Kamera suchen"
Von Nina Oberbucher
* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*
Drei Tage vor der Bundespräsidentenwahl versammelte der ORF noch einmal alle Kandidaten, um zu erfragen, „warum sie antreten, was sie anders machen wollen und wie sie sich voneinander unterscheiden“. Herausgefunden hat man vor allem, wer im Falle eines Wahlsiegs wie schnell die Bundesregierung entlassen würde und wer es wie „feig“ findet, dass der Amtsinhaber sich keiner gemeinsamen Diskussion stellen wollte.
Zu der Sendung mit aufeinanderfolgenden Einzelinterviews war Van der Bellen am Donnerstag aber gekommen. Armin Wolf und Susanne Schnabl stellten die Fragen, Simone Stribl moderierte und führte durch die Analysen.
Regierung entlassen als "beste Entscheidung"?
Den Auftakt machte Michael Brunner von der MFG – sein Bild wurde als erstes für die Kamera ins Stammbuch eingeklebt und mit Zusatzinfo versehen: Er falle vor allem durch wenig Vertrauen in politische Institutionen auf.
Woher sein Misstrauen komme? Er wäre kein guter Anwalt, hätte er keine Zweifel.
Ob es eine gute Entscheidung wäre, inmitten der aktuellen Krisen – wie von ihm angekündigt – die Bundesregierung zu entlassen, fragte eine anwesende Schülerin zu Beginn. Es sei „die beste Entscheidung“, so Brunner. Warum genau, blieb unklar. Er erläuterte: „Es ist das Recht, aber auch die Pflicht des Bundespräsidenten“ das zu tun. Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle sah das in ihrer Analyse anders: Von einer Pflicht sei im Artikel 70 des Bundesverfassungsgesetzes "nichts zu lesen, das interpretiert er hinein.“
Nein! Doch! Ohh!
Schuhproduzent Heinrich Staudinger halte sich nur an Gesetze, die für ihn Sinn haben - das würde er auch als Bundespräsident so beibehalten. Dass die Republik so „einigermaßen hinhaut“ liege nicht nur an Gesetzen, sondern am Rechtsempfinden der meisten Menschen. Ob dieses vielleicht von bestehenden Gesetzen beeinflusst wird?
Fragwürdige Ansichten hat er auch zum Thema #MeToo: In einem Interview auf Puls4 hatte er behauptet, die Bewegung wäre eine Erfindung der CIA. Ob er einen Beleg dafür habe, wollte Schnabl wissen. Diese Aussage habe er „hundert Mal bereut“, erklärte Staudinger. „Also haben Sie keinen Beleg?“, fragte Schnabl. Staudinger: „Doch ...“ Schnabl: „Also stehen Sie doch dazu?“ Staudinger: „Na!“ Schnabl: „Jetzt kennen wir uns nicht aus!“ Der Plural war hier richtig gewählt – da hatten sicher viele Zuseherinnen und Zuseher noch Fragen.
Staudinger berichtete dann von einem Besuch in seiner Schuhfabrik, bei dem er seine Mitarbeiterin Ursula vorgestellt und seine Hand auf ihre Schulter gelegt habe. Ein anwesender Fotograf habe dann gesagt: „Achtung, #MeToo!“ Durch die Bewegung sei es zu einer Neurotisierung gekommen. Wolf merkte an, dass das wohl Ursula selbst zu entscheiden habe.
Das Hirn "nicht in der Parteizentrale abgeben"
Der nächste Kandidat war Gerald Grosz, der – so stellte ihn Simone Stribl vor – schon viele politische Stationen hatte. Jetzt sei er „Blogger im Internet“. Wo sonst?
Grosz ist aber auch aktiver TikTok-Nutzer, was zu Beginn des Gesprächs gezeigt wurde: Zu sehen waren Clips, in denen Grosz einen Affen nachmachte, einen Adventkranz auf dem Kopf trug oder die Kamera Richtung Schritt hielt und verkündete: „Herr Van der Bellen, das unter der Krawatte sind Cojones – auch Eier genannt.“ Grosz beklage das Niveau des politischen Personals als „unterirdisch“, so Schnabl: „Wollen Sie das Niveau noch unterbieten?“ Er sei eben „authentisch“ und „bodenständig“, antwortete Grosz.
Aufgebracht wurde er, als es um Straf- und Zivilrecht ging. „Ich bin nie vor Gericht gestanden“, sagte Grosz. Schnabl entgegnete, dass das nicht stimmt: „Sie sind rechtskräftig verurteilt wegen übler Nachrede, Kreditschädigung und Ehrenbeleidigung“. Grosz: „Nein, ich habe ein zivilrechtliches Urteil bekommen und ich raten Ihnen jetzt eines: Wenn Sie jetzt nicht in der Sekunde den Vorwurf, den Sie insinuieren, nämlich den einer strafrechtlichen Verurteilung, zurücknehmen ...“
„Wenn man selbst sich nicht erblödet, ins Jahr 2017 zurückgehen zu müssen, also mehr als 16 Jahre“, um etwas gegen ihn zu finden, „ist das schwach“. Es war übrigens 2007 und von einer strafrechtlichen Verurteilung hatte Schnabl nicht gesprochen, die Grosz als „gute Frau“ ansprach.
Mit der FPÖ wolle er jedenfalls nicht mehr gemeinsame Sache machen: „Wissen Sie, wie schön es ist, wenn man sein Hirn nicht in der Parteizentrale abgeben muss?“
Unverbraucht oder unerfahren?
Der jüngste Kandidat ist Dominik Wlazny, vielen auch bekannt als Marco Pogo – mit dem Namen seiner Kunstfigur wollte er jedoch nicht angesprochen werden, über Bier wollte der Vorsitzende der Bierpartei auch nicht reden und konkrete Antworten ebensowenig geben.
Für Politikerinnen und Politiker fordert er einen Eignungstest, über das Bundesheer einen „breiten Diskurs, eine Debatte“. Bei der Volksbefragung 2013 habe er für ein Berufsheer gestimmt. Ob er heute wieder so abstimmen würde? „Das müsste man sich dann anschauen“ – richtig geraten – „in einer breiten Debatte“.
Was genau ihn von Amtsinhaber Van der Bellen unterscheide, habe er schon in „ZiB“ herauszufinden versucht, so Wolf. „Und es ist mir nicht ganz gelungen“, meinte der Journalist. „Wären Sie einfach ein jüngerer und lauterer Van der Bellen, ohne Bart, dafür mit Tattoos?“ Er sei in seiner politischen Tätigkeit „unverbraucht“ (was Wolf mit „wenig Erfahrung“ übersetzte). „Natürlich“ gebe es Überschneidungen mit Van der Bellen, etwa in Klimabelangen. Sein junges Alter sehe er als Vorteil.
Auch, ob die Bierpartei bei der Nationalratswahl antritt, wurde nicht beantwortet: Das sei „vielleicht eine Frage, die auf der Hand liegt“, so Wlazny. Wolf: „Ja und die Antwort wäre super:“ Wlazny: „Ich weiß es schlicht nicht“.
Wen von den anderen er in einer Stichwahl wählen würde, ließ er ebenso offen: Man müsse den Wahltag abwarten. „Ich bin mir sicher, um 17.05 Uhr sind wir alle gescheiter und dann sehen wir einander wahrscheinlich auch wieder“, sagte Wlazny, der plötzlich innehielt und traurig dreinschaute: „Oder nicht?“ Er hat offenbar seinen Gefallen an Wolf-Interviews gefunden. „Mich würd’s sehr freuen“.
"Politikbetrieb ist dümmlich"
Kandidat Tassilo Wallentin wirbt mit einfachen Lösungen gegen Teuerung und Inflation. Ob er da nicht zu viel verspreche, wollte Wolf wissen: „Nein“, antwortete Wallentin. Denn: Er habe die Probleme seit 10 Jahren analysiert.
Es gebe ein sicheres, neutrales Österreich ohne starke Inflation, so Wallentin. „Und das ist sehr leicht zu erreichen, glauben Sie mir – aber Sie müssen mich wählen, das ist das Problem.“ Wenn er das selbst so sieht ...
Der Wechsel des Kolumnisten in die Politik sei „wie wenn der Sportkolumnist der Krone sagt: Ich übernehme das Nationalteam, damit wir endlich ins EM-Finale kommen“, wandte Schnabl ein. Man brauche nicht im Politikbetrieb gewesen zu sein, befand Wallentin: „Denn dieser Politikbetrieb ist eigentlich sehr dümmlich“.
Die Bitte um kürzere Antworten wegen der knappen Sendezeit, gefiel ihm gar nicht: „Dann müssen Sie sich besser vorbereiten“.
Besonders wolle er sich um Frauenanliegen kümmern. Ein Gesetz mit Binnen-I – etwa das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz – würde er aber nicht unterschreiben: „Weil das Binnen-I diskriminierend ist“. Es „klammert alle sexuell Uneindeutigen und Transsexuellen aus“. Der Adressatenkreis sei unbestimmt und dadurch sei dies "verfassungswidrig". Wie er zu einem Gesetzestext mit Gender-Sternchen oder Doppelpunkt, womit alle Geschlechteridentitäten umfasst werden, steht, verriet er nicht.
Nachdenken über "Denkunmögliches"
FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz war im Gegensatz zu so manchem seiner Vorredner zurückhaltender mit Entlassungsfantasien: Er würde erst einzelne Schwachstellen in der Regierung analysieren. Beruhigend.
Die EU bezeichnet er wie sein Parteikollege Harald Vilimsky als „kriegsgeil“. Aus der EU wolle er jedoch nicht sofort austreten, unter Umständen brauche es dafür auch gar keine Volksabstimmung und sie „implodiert ganz von selbst“. Weniger beruhigend.
Den Antisemiten Julius Sylvester hatte er als Vorbild genannt, er selbst sei kein Antisemit - davon könne man sich anhand seiner Politik überzeugen. Armin Wolf lud er zu einem Besuch in seine Burschenschaft ein.
Gegen Ende hin wurde es philosophisch: Dass er bei einer Stichwahl nicht der zweite Kandidat wäre, sei „denkunmöglich“. „Und sollte der denkunmögliche Zustand eintreten?“ „Das ist schwierig, bei etwas Denkunmöglichem an irgendetwas hinzudenken.“ Würden Van der Bellen und Wlazny in einer Stichwahl landen, würde Rosenkranz jedenfalls zu Hause bleiben.
"Oida, es reicht"
Zum Finale kam der Amtsinhaber zum Interview. Seine Gegner würden ihm vorhalten, dass er sich deshalb keiner gemeinsam Diskussion stelle, weil er sich nicht traue, so Wolf. Van der Bellen blieb unbeeindruckt: „Das ist das gute Recht meiner Gegner, das zu glauben, ich sehe das anders.“
Ob seine TikTok-Videos über Donald Duck oder ein Interview mit seinem Hund zur Würde des Amtes passen würden? „Das muss man nicht so humorlos sehen, Herr Wolf“. Wolf: „Ihre Mitbewerber sehen es aber genau so humorlos“ Van der Bellen: „Aso? Dann sind sie nicht vertraut mit TikTok.“ Das Moderationsduo musste lachen, Van der Bellen setzte zu einer Erklärung über TikTok an: Es gebe soziale Medien und eines davon sei TikTok. „Und TikTok ist besonders geeignet für kurze Sachen, für witzige Sachen.“ Die anwesenden Schülerinnen und Schüler müssen sehr dankbar für diese Einordnung gewesen sein.
Der vor einigen Wochen erteilte Rat an junge Menschen, dass sie angesichts der Teuerung die Zähne zusammenbeißen sollten, sei „eine dumme Formulierung“ gewesen. „Ehrlich, das war in jeder Hinsicht blöd.“ Es sei zudem die falsche Metapher gewesen: „Wenn ich die Zähne zusammenbeiße, dann krieg ich da Problemen im Unterkiefer.“ Das war vermutlich nicht Stein des Anstoßes. Aber gut, dass wir das auch geklärt haben.
Trotz hohen Alters fühle er sich fit für den Job als Bundespräsident: „Sie wissen gar nicht, wie viel Energie man aus diesem Amt schöpft!“ Kann man mit Politik also den Koffeinkonsum reduzieren? Sollte er sich wider Erwarten einmal nicht mehr fit fühlen, dann werde er jedoch sicher „die Selbstbeobachtung, auch die Zivilcourage haben, zuzugeben: Oida, es reicht.“
"Schauen Sie direkt in die Kamera"
Zum Schluss durften alle noch eine Grußbotschaft nach Hause schicken. Die Reihenfolge wurde, wie in der Schule, per Los bestimmt. „Schauen Sie direkt in die Kamera“, lautete die Anweisung – die Frage war bloß: Welche? Und: Wie weit weg ist der Zoom?
Es gab noch einmal scharfe Beobachtungen („Bin ich Erster, bin ich euer Präsident“ – richtig erkannt, Herr Wlazny), unkonventionelle Wahlaufrufe („Ich habe das Gefühl, es ist nicht so wichtig, wer der nächste Präsident wird“ – Staudinger) und freie Interpretationen der Aufgabe (Gerald Grosz wandte sich in erster Linie an den amtierenden Bundespräsidenten und nur im Schlusssatz an die Wählerinnen und Wähler).
Bevor sich alle auf den Heimweg machten, gab es noch einen Aufruf, wie beim Klassenausflug: „Bitte noch kurz bleiben, denn es gibt noch ein Foto!“ Am Schluss war auch Armin Wolf verwirrt: „Jetzt müssen wir noch unsere Kamera suchen.“