Südkoreanerin Han Kang gewinnt Literaturnobelpreis 2024
Von Georg Leyrer
Die Südkoreanerin Han Kang gewinnt den Literaturnobelpreis 2024. Das gab der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, Mats Malm, am Donnerstag bekannt. Sie wurde "für ihre intensive poetische Prosa, die sich mit historischen Traumata auseinandersetzt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenbart", ausgezeichnet. "Ihre zunehmend aufgeladene metaphorische Sprache verstärkt ihre körperliche Empathie für extreme Lebensgeschichten." Sie habe "ein einzigartiges Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Körper und Seele, Lebenden und Toten und ist in ihrem poetischen und experimentellen Stil zu einer Innovatorin der zeitgenössischen Prosa geworden."
Han Kang, die mit ihrem abgründigen Roman „Die Vegetarierin“ 2016 den Man Booker International Prize gewann, wurde 1970 in der südkoreanischen Provinzhauptstadt Gwangju geboren und wuchs in Seoul auf. Sie studierte an der Yonsei University in Seoul Koreanische Literatur und trat zunächst mit Lyrik in Erscheinung. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit arbeitet sie auch als bildende Künstlerin und Musikerin.
Wer das Werk der Gewinnerin nicht kennt, kann sich ihm spätestens am 9. Mai 2025 im Akademietheater nähern: Da kommt eine Dramatisierung ihres Romans „Die Vegetarierin“ auf die Bühne. Darin entschließt sich eine Frau, Vegetarierin zu werden. Yong-Hye, die ihre unaufregenden Ehe- und Hausfrauenpflichten bisher leidenschaftslos erfüllt hatte, begründet ihren Entschluss nie, lässt jedoch beunruhigende Träume durchklingen und zeigt zunehmende Abscheu gegen alles Fleischliche.
In der traditionellen koreanischen Gesellschaft ist Vegetarismus bestenfalls ein modischer Spleen einer Elite, von Yong-Hyes Familie wird dieses Emanzipationsbestreben nicht geduldet, zumal radikaler Gewichtsverlust und vermehrter Drang, Brüste und Oberkörper nicht mehr zu bedecken, einhergehen. Eine dramatische Szene anlässlich eines Familienessens eskaliert in einem Selbstmordversuch. Yong-Hye landet im Krankenhaus. Doch ihre Geschichte ist noch lange nicht zu Ende.
Kritische Stimme in Südkorea
In ihrem Roman „Menschenwerk“ beschäftigt sich Han Kang mit Protesten, die vom Staat unangemessen beantwortet werden und zum Massaker eskalieren. Eine wahre Geschichte. Ein Studentenaufstand wurde 1980 vom damaligen Militärregime mit unfassbarer Gewalt beantwortet, sodass es in der ganzen Stadt zu Solidarisierungswellen mit den Protestierenden kam und sich die Armee für einige Tage zurückziehen musste. Die Rückeroberung der Stadt erfolgte mit äußerster Brutalität. Am Ende waren Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Tote zu beklagen.
In Südkorea erschien das Buch bereits 2014, als die Kritik gegen Präsidentin Park immer lauter wurde. Auch Han Kang nahm an den Kerzenlichtdemonstrationen gegen die Präsidentin teil, die schließlich zum Rücktritt gezwungen wurde. Dass ihre schriftstellerische Arbeit dabei keineswegs völlig ungefährlich war, konnte sie daran feststellen, dass sich ihr Name auf einer schwarzen Liste von tausenden regierungskritischen Künstlern befand, deren Entdeckung Kulturministerin Cho Yoon-sun schließlich zum Verhängnis wurde.
In ihrem Roman „Griechischstunden“ erzählte sie zuletzt eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die ihren Ausgangspunkt in einem Altgriechischkurs hat. Ihr in knappen Sätzen gehaltener Roman ist poetisch, melancholisch und wunderschön, er geht unter die Haut. Und ist zugleich voll zartem Witz, urteilte der KURIER damals.
Favoritin bei den Wettbüros war zuletzt, wie schon im Vorjahr, die chinesische Avantgarde-Autorin Can Xue, gefolgt vom Australier Gerald Murnane und dem japanischen Bestsellerautor Haruki Murakami. Auch ein Österreicher tauchte auf einem gar nicht unprominenten Platz auf.
Österreich war seit der Jahrtausendwende gut vertreten: Elfriede Jelinek gewann 2004, Peter Handke 2019.
Die Geehrten seit dem Jahr 2005 im Überblick:
2024 Han Kang (Südkorea)
2023 Jon Fosse (Norwegen)
2022 Annie Ernaux (Frankreich)
2021 Abdulrazak Gurnah (Tansania)
2020 Louise Glück (USA)
2019 Peter Handke (Österreich)
2018 Olga Tokarczuk (Polen; der Preis wurde 2019 nachgeholt)
2017 Kazuo Ishiguro (Großbritannien, in Japan geboren)
2016 Bob Dylan (USA)
2015 Swetlana Alexijewitsch (Belarus)
2014 Patrick Modiano (Frankreich)
2013 Alice Munro (Kanada)
2012 Mo Yan (China)
2011 Tomas Tranströmer (Schweden)
2010 Mario Vargas Llosa (Peru)
2009 Herta Müller (Deutschland)
2008 J.M.G. Le Clézio (Frankreich)
2007 Doris Lessing (Großbritannien)
2006 Orhan Pamuk (Türkei)
2005 Harold Pinter (Großbritannien)