Kultur

Kinder weisen Museen den Weg: Warum große Kunst das kleine Publikum schätzt

Ganz leise ist ein Klappern und Klimpern im Stiegenaufgang des Hauses zu hören, von dem man durch große Fenster und Holzbalken auf den St. Pöltener Schulring und die umliegenden Gebäude blickt. Das Geräusch gehört zu einem Video, in dem eine Schar Ameisen bunte Konfetti über einen Waldboden transportiert – ein Werk der Künstlerin Rivane Neuenschwander, das auf die erste Einzelschau der international vielfach ausgezeichneten Künstlerin in Österreich neugierig machen soll.

Die Idee, die Ausführung eines Kunstwerks zu einer gemeinsamen Anstrengung zu machen, kommt im Werk der Brasilianerin öfters vor – sie baut dabei auf einer Tradition auf, die in Südamerika auch politische Symbolik hat.

In St. Pölten aber geht es um Träume: In einem Workshop bat Neuenschwander Schulkinder, ihre Träume auf Polsterbezüge zu malen und zu zeichnen. Einige der Motive malte die Künstlerin auf Leinwände, die wiederum in der Art von Paravents und Kabinen zusammengestellt wurden und nun erweitert werden können: Mit Schattenspielen, ausgeschnittenen Silhouetten, farbigen Folien.

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Labor für die Zukunft

Neuenschwanders „dream lab“ ist die erste große Ausstellung des Kinderkunstlabors, einer neuen Kulturinstitution, die vergangenen Juni eröffnete und mit dem Start des Schuljahres in ihre erste Vollbetrieb-Saison ging.

Doch die Schau ist auch ein Signal: Sie zeigt, dass Kinder als Publikum für Kunst zunehmend ernst genommen werden und dass auch seitens des etablierten Kunstbetriebs die Berührungsangst mit jungem Publikum schwindet.

Tatsächlich weisen Einrichtungen wie das Kinderkunstlabor den „erwachsenen“ Kunstinstitutionen in vielerlei Hinsicht den Weg: Barrierefreiheit und Niederschwelligkeit gehört bei ihnen zum Kern der Identität, während diese in der restlichen Museumswelt zwar oft beschworen, aber nur mühsam realisiert wird: Schuld daran sind teils technische und bauliche Gegebenheiten, oft aber auch schlicht althergebrachte Einstellungen.

Aus kunsthistorischer Sicht ist die Einbindung und Aktivierung des Publikums – der Begriff „Mitmachkunst“ hat für manche einen abfälligen Beigeschmack – längst etabliert. Der Theoretiker Allan Kaprow leitete aus den Riesengemälden von Jackson Pollock 1958 den Begriff des „Environments“ ab, der eine ganze Reihe von Werken inspirierte – in Österreich etwa das Hüpfburgartige „Riesenbillard“, das 1970 im 20er Haus (heute Belvedere 21) realisiert und 2019/’10 im mumok revitalisiert wurde.

Andere Räume

2023 zeigte das Haus der Kunst München in der Überblicksschau „Inside Other Spaces“, dass insbesondere Künstlerinnen aus Regionen abseits der westlichen Kulturzentren Bahnbrechendes in dieser Form leisteten – wohl auch, weil die Renommiergenres der Malerei und Bildhauerei weiter Männerdomänen blieben. Als Carsten Höller dann Rutschen auf diverse Museen baute, Olafur Eliasson Schattenspiele in Kunsthäusern installierte und Banksy mit dem „Dismaland“ einen dystopischen Spielplatz in Jerusalem realisierte, hielt das Spielerische auch in der Welt der Starkünstler Einzug.

Die Arbeit an der Basis blieb aber weiter außerhalb des Feuilleton-Radars – wie etwa das Zoom Kindermuseum in Wien, das heuer sein 30-jähriges Bestehen feiert.

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Die Jubiläumssaison hat man schlicht unter das Motto „Kunst und Spiel“ gestellt und zwei renommierte Personen dafür gewonnen, Rauminstallationen schaffen: Alfredo Barsuglia baute im vorderen Teil die „Kinsel“ (kurz für Kinder-Insel), die ihr Publikum in eine Höhle, einen Schiffsbauch und eine Fitnesskammer führt. Weiter hinten stattete Künstlerin Esther Stocker ein Gewölbe mit ihrer typischen Schwarzweiß-Raster-Ästhetik aus. Mittendrin ist Platz für einen Kubus voll fluoreszierendem Licht und für Werkstücke, an denen die Besucherinnen und Besucher etwa abstrakte Kreisel gestalten und rotieren lassen.

Abseits des Geniekults

Die Arbeit für eine solches Setting verlangt von Künstlerinnen und Künstlern, die Idee eines genialen, unantastbaren Kunstwerks über Bord zu kippen: Denn während der Laufzeit werden Dinge benutzt, verändert und auch ausgetauscht, wenn sie sich nicht bewähren.

Für Barsuglia, der zuletzt im Kulturhauptstadt-Ort Bad Goisern ein ganzes Wohnzimmer vergrub und 2023 in Krems ein ganzes Haus aus dem Sperrmüll baute, kommt die Anforderung seiner Arbeitsweise entgegen: „Mir geht es darum, dass man nicht nur eine Sicht auf die Welt hat – es gibt immer eine Fülle von Möglichkeiten bei jedem Objekt“, sagt er. So dient auf der „Kinsel“ ein Trainingsfahrrad zur Stromherstellung für die Raumbeleuchtung, und Seesäcke, die mit verschiedensten Motiven bedruckt sind, können in vielfältiger Weise benutzt werden. Dazwischen hängt auch „echte“ Malerei – „Kunstkunst“, wie Barsuglia sagt.

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Vieldeutig

„Es ist definitiv keine Kinder-Installation“, erklärt der Künstler, der auch Bühnenbilder gestaltet und die „Kinsel“ während der Laufzeit auch gern für erwachsenes Publikum, etwa mit Tanzperformances, aktivieren würde.

In der Tat ist der Transfer zwischen den verschiedenen Sphären des Kunstbetriebs schon vielerorts Realität. So schuf der Bildhauer Hans Schabus für die Saison 2022 im Zoom-Kindermuseum („Alles Holz“) eine 30 Meter lange Röhre, an die Dimensionen des größten Baums in Österreich angelehnt. Derzeit ist Schabus bei der Biennale im französischen Lyon mit einer ganz ähnlichen Röhre präsent – sie lässt sich durchwandern, riechen, spüren.

Erklärungen, dass man damit auch etwas über Holzbau lernen kann, spart man sich bei internationalen Kunst-Event – im Zoom Kindermuseum sei man dagegen öfter mit der Frage konfrontiert, wo jetzt der „Lerneffekt“ liege, erklärt Pressesprecher Christian Smetana. Doch vielleicht muss die Erwachsenenwelt lernen, ihren Kunstbegriff anzupassen, findet er: „In die Welt von Künstlern und Künstlerinnen eintauchen zu können, ist ein Wert an sich.“

  • Kinderkunstlabor 
    Die neue Institution in St. Pölten kombiniert Projekte renommierter Kunstschaffender mit Räumen, die zum eigenen Tun oder auch nur zum Verweilen einladen. Rivane Neuenschwanders „dream.lab“ läuft bis 25. 2. 2025. 
    kinderkunstlabor.at 
  • Zoom Kindermuseum 
    Das Kindermuseum im MuseumsQuartier feiert seine Jubiläumssaison mit Installationen von Alfredo Barsuglia & Esther Stocker, mit Trickfilmworkshops und mehr.
    kindermuseum.at
  • Horten Collection  
    Die aktuelle Schau „Light Sound Senses“, wiewohl nicht explizit für Kinder, zeigt  viele  Werke, die zur Partizipation einladen. Dazu gibt es ein breites Vermittlungsprogramm. 
    hortencollection.com