Kulturreisen im Wohnzimmer: Zum Beispiel Dresden
Von Michael Huber
Dresden hat aber auch wirklich Pech: Da stellt sich die einstige Residenzstadt der sächsischen Kurfürsten über Jahre auf die geplante Wiedereröffnung ihrer renommierten Gemäldegalerie Alte Meister und der Skulpturensammlung bis 1800 ein, und dann füllen zunächst nur Berichte über einen Juwelendiebstahl aus der nicht minder renommierten Sammlung des Grünen Gewölbes die Schlagzeilen.
Die Eröffnung der Gemäldegalerie findet zwar statt und wird auch bejubelt, doch kurz darauf muss das runderneuerte Museum aufgrund der Corona-Krise wieder schließen.
In dieser Situation kommt den Staatlichen Kunstsammlungen der Umstand zugute, dass sich die Institution lange mit umbaubedingten Schließzeiten arrangieren musste und dabei Erfahrungen sammeln konnte, wie man ein Museum ohne Besucher führt. Panorama-Rundgänge durch wichtige Museumssäle werden in hoher Qualität angeboten; zudem wurde in der Zeit vor der Wiedereröffnung der Gemäldegalerie teils sehr origineller und hochwertiger Inhalt produziert, der nun für digitale Besucherinnen und Besucher weiterhin zur Verfügung steht.
Die Fotos, die der Wiener Peter Rigaud für eine Werbekampagne der Gemäldegalerie anfertigte und die berühmte Bilder in häusliche Umgebungen verpflanzten, zählen dazu - sie wirken heute fast prophetisch.
Eine weiteres bemerkenswertes Projekt, das im Vorfeld der Gemäldegalerie entstand und weiter zur Verfügung steht, führte das Museum mit der Dresdner Indie-Rock-Band "Woods of Birnam" zusammen. Die Gruppe gruppierte bereits existierende Songs und anlassbezogen entstandene Kompositionen zu einem Konzeptalbum namens "How to Hear a Painting". Bei der Umsetzung der Arrangements halfen Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden mit.
So entstanden teils orchestral-atmosphärische, teils rockige, teils kühle, an Depeche Mode und ähnliche Acts gemahnende Songs, die den Assoziationsraum des Museums noch weiter öffnen. Manche Titel nehmen tatsächlich den Anreiz von Kunstwerken auf - etwa das orchestrale Stück "In de Klauwen van de Adelaar", das auf das berühmte Rembrandt-Gemälde "Ganymed in den Klauen des Adlers" Bezug nimmt. Woods of Birnam betonen allerdings, dass die Stücke keine Interpretation oder musikalische Übersetzung von Bildern sein sollen - diese solle doch in den Köpfen des Publikums stattfinden.
Neben Rembrandt, Raffael und Co. bleibt die Sächsische Staatskapelle Dresden mit ihrem Stammhaus, der Semperoper, der zweite global ausstrahlende Attraktionspunkt der Stadt an der Elbe.
Bis vorerst 20. April haben Orchester und das Opernhaus alle Termine abgesagt, allerdings nicht, ohne hochwertiges "Zwischenprogramm" zu bieten: Unter dem Motto "Semperoper zuhause" spielen Orchestermusiker regelmäßig Hauskonzerte, die via YouTube abrufbar sind. Das Angebot wird laufend aktualisiert - und stiftet etwas Gemeinschaftlichkeit in Zeiten der Isolation.