Jan Böhmermann in Wien: "In jedem steckt ein kleiner Strache"
Von Nina Oberbucher
Nackt und in Cowboystiefeln, wie im KURIER-Interview angekündigt, kam Jan Böhmermann dann doch nicht. Ein Hingucker war seine Outfitwahl aber auf jeden Fall: In Pelzmantel und Glitzerhose betrat der 37-Jährige am Mittwochabend die Bühne im Wiener Gasometer – um 20.15, also zur besten Sendezeit.
Böhmermann sorgt mit seiner satirischen Late-Night-Show "Neo Magazin Royale" immer wieder für Furore. Regelmäßig präsentiert er in seiner Sendung auch musikalische Beiträge zu aktuellen Themen: In "Wir sind Versandsoldaten" geht es etwa um die Ausbeutung von Paketzustellern, "Es gibt keine Nazis in Sachsen" ist ein "Duett" mit jenem als "Hutbürger" bekannt gewordenen LKA-Mitarbeiter, der sich einem Kamerateam bei einer Pegidademo in den Weg gestellt hatte.
Mit ebendiesen Songs ist Böhmermann aktuell auf Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Begleitet wird der ROMY-Preisträger dabei vom Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld, das auch fixer Bestandteil der wöchentlichen Show ist.
Was in einer TV-Sendung funktioniert, muss aber nicht zwingend auch auf der Bühne überzeugen. Und man fragt sich doch, ob man sich satirische Musikeinlagen aus dem Fernsehen zwei Stunden lang auf einem Konzert anhören will. Das will man tatsächlich – zumindest bei einem Großteil der Songs.
Das liegt zum einen am großartigen Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld, dessen Musiker von der ersten bis zur letzten Minute ungeheuren Spaß zu haben scheinen.
Und das liegt natürlich auch an Böhmermann, der in gewohnt launiger Manier durch seine Revue führt und sich auf das Gastland offensichtlich vorbereitet hat. Mit "Österreich, heute Abend kill ich dich, du Hurenkind" begrüßt der Norddeutsche sein Publikum – und verweist damit auf einen Tweet von Stefanie Sargnagel, der unlängst für Diskussionsstoff gesorgt hatte.
Brücken bauen
Einen "politischen Schlagerabend" kündigt Böhmermann zu Beginn des Konzerts an, mit dem er Brücken zwischen "Piefkes und Ösis" bauen wolle. Die Brücke zwischen ihm und dem Publikum ist spätestens dann da, als Böhmermann die Österreich-Adaption eines seiner Songs präsentiert: "Rainer Wendt (Du bist kein echter Polizist)" – ein Lied über einen deutschen Polizeigewerkschafter, gegen den wegen Untreue ermittelt wurde – hat Böhmermann für das Wien-Konzert kurzerhand umgeschrieben.
"Ein kleiner, mit sich selbst ein bisschen unzufriedener und diesen Minderwertigkeitskomplex auslassender Sicherheitspolitiker, auch das gibt’s ja in Österreich", sagt Böhmermann, bevor er seinen Song über "Herbert K." anstimmt, über einen "ganz ganz kleinen Mann", der jetzt "Chef im schwarzblauen BMI" sei.
"Wer fürchtet sich vor Wahrheit und einer freien Presse? Wer schwingt gern große Reden auf rechtsextremen Kongressen, wer denkt, ihm selbst persönlich gehört die Polizei?", singt Böhmermann in Anspielung an Innenminister Herbert Kickl.
Böhmermann bekommt dafür lautstarken Applaus. "Fühlt sich an, als hätten wir einen riesengroßen Pickel am Rücken von Österreich ausgedrückt", sagt er darauf.
Umziehpause
Während des Konzerts verschwindet Böhmermann öfter, um sein Outfit zu wechseln (für die Rap-Nummer "Recht kommt" trägt er etwa stilecht Kapuzenpulli, zwischendurch kommen diverse Glitzerteile zum Einsatz). Während der Umziehpausen spielt das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld unter anderem eine energiegeladene Version von "Toxic" von Britney Spears und spart nicht mit Verzerrungseffekten beim Gesang.
Scheidensong
Kurzzeitig übernehmen zwei bekannte Gesichter aus "Neo Magazin Royale" die Bühne: Florentin Will klagt in einer witzigen, weil absurden Ballade über böse Marder. Und als Giulia Becker stimmgewaltig den "Verdammte Scheide"-Song zum besten gibt, wippen zahlreiche zu verkehrten Merkel-Rauten geformte Hände mit – als Symbol für das weibliche Geschlechtsorgan.
Böhmermann präsentiert an dem Abend unter anderem "Baby Got Laugengebäck" (es geht, richtig, um Laugengebäck) und ein Cover von Udo Jürgens' "Tausend Jahre sind ein Tag". Nicht fehlen darf natürlich der Hit "Menschen Leben Tanzen Welt", dessen Text Affen im Gelsenkirchener Zoo unter anderem aus Kalendersprüchen und Song-Zitaten zusammengebastelt haben – eine Kritik an belangloser deutscher Popmusik.
Überraschungsgast Bilderbuch
"Es fühlt sich an wie ein Peeling von innen, es berührt einen an Stellen, an denen man nicht berührt werden will von einem Song", sagt Böhmermann über "Menschen Leben Tanzen Welt" und das trifft es gut. Das Publikum wippt dennoch mit – was aber spätestens dann gerechtfertigt ist, als unerwartet Gitarrist Michael "Mizzy" Krammer von Bilderbuch die Bühne betritt und dem Song mit einem Solo zu einem denkwürdigen Abschluss verhilft. Und so erklärt sich auch, wieso der Saxophonist aus dem Orchester ein Bilderbuch-Shirt trägt.
Böhmermann stichelt am Ende noch ein wenig: "Warum definiert sich Österreich in seinem Namen nur über die Lage zu Deutschland?" Aus dem Publikum kommen Buh-Rufe, Böhmermann lacht: "Ja, so ein kleiner Strache steckt in jedem."
Bevor "die ersten Mistgabeln angezündet werden" setzt Böhmermann dann zu "Señorita" an. Das Original von Kay One und Pietro Lombardi muss man nicht unbedingt googlen, in der Böhmermann-Version soll es eine gemeinsame Hymne für Europa werden. Als sich die Musiker nach insgesamt drei Zugaben von der Bühne verabschieden, wirkt Böhmermann zurecht äußerst zufrieden – und sogar ein wenig ergriffen.