Kultur

Hartmann-Interview: Gegen Leiden im Theater

Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann über seine Silvester-Inszenierung von Woody Allens "Mittsommernachts-Sexkomödie", seine Dramatisierung der "Ilias", das Lachen über das furchtbare Leben, das Leiden im Theater, den Sparzwang und eine mögliche Verlängerung seiner Intendanz.

KURIER: Die wichtigste Frage zuerst: Haben Sie schon einen Neujahrswitz, den Sie wie immer vor der Premiere erzählen?
Matthias Hartmann: Ich habe einen, ja. Es ist ein Witz, in dem ein Geist eine Rolle spielt. Der Witz auf das Stück eingestimmt. Es geht um das Verhältnis von Frauen und Männern. Ein Verhältnis, das Loriot mit zwei Sätzen kühn beschrieb: "Frauen sind aus der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken" und "Frauen und Männer passen einfach nicht zusammen".

Haben Sie zu wenig Stress, dass Sie sich diese kurzfristige Premiere
auch noch antun?

Es ist die gelegentliche Lust am intelligenten Boulevard, die mich solche Dinge machen lässt wie "Der Parasit" oder jetzt die "Mittsommernachts-Sexkomödie". Es sind ja jetzt auch alle Mitwirkenden überrascht, dass das Stück gut ist. Es handelt weniger von Sex als von dessen Unmöglichkeit. Die großen Heroen der Berliner Schaubühne wie Jutta Lampe, die haben doch früher in Bremen noch "Boeing, Boeing" gespielt. Diese Art von Training ist notwendig, um abheben zu können. Mir steht nämlich eine Arbeit bevor, in der ich mir wieder einmal herausnehme, am Anfang nicht zu wissen, wo die Reise hingeht.

Nämlich "Troja", die Dramatisierung der "Ilias".
Ich möchte wie ein Maler mit Farben umgehen und schauen, was passiert. Das entspricht einem inneren Kernsatz, den ich habe: Stell dir vor, man gäbe dir das Burgtheater, und du könntest machen, was du willst...

... Sie haben ja das Burgtheater.
... Und daraus folgt zwingend die Frage: Warum machst du es eigentlich nicht? Ich wollte mit "Troja" ursprünglich ins Burgtheater. Aber der Erwartungsdruck dort wäre nicht gut. Um wirklich frei mäandern und spinnen zu können, brauche ich für diese Produktion das Kasino als offenen Ort. Dazu hat mir  Jan Lauwers ein offenes, weites Bühnenbild gemacht. Aber dadurch fehlt eine Produktion im Repertoire des Haupthauses und da ist die "Mittsommernachts-Sexkomödie" eine gute Kompensation.


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Sie sagten bei der Spielplanpräsentation, das Stück gehe nur ins Repertoire, wenn es gut ankommt. Aber das wird es mit ziemlicher Sicherheit.
Ich hoffe es! (klopft dreimal auf den Holzboden seines Büros). Die Besetzung ist toll. Heute hat Sunnyi Melles auf der Probe gesagt: "Ich weiß nicht, warum ich mit ihm flirte, ich mache das instinktiv". Es gibt keinen Menschen, der das Wort "instinktiv" derartig authentisch ausdrücken kann wie sie.  Oder Dorothee Hartinger! Herrlich, was sie für eine prüde Sehnsucht entwickelt. Es ist eine schöne neue Erfahrung für mich, mit dieser Frau zu arbeiten.

Dazu Michael Maertens, Roland Koch, Martin Schwab ... Wäre man böse, könnte man sagen: Mit dieser Besetzung könnten Sie auch das Telefonbuch spielen und es würde auch funktionieren.

(lacht). Aber das Stück ist überraschend gut. Es handelt wie immer bei gutem Theater von Krisen und Katastrophen und keineswegs vom lustigen Sexleben auf dem Lande. Es ist wie Woody Allen sagt: Man kann sich entweder darüber ärgern, dass das Leben furchtbar ist. Oder man kann, weil es so furchtbar ist, schon wieder darüber lachen. Und er zählt sich zur zweiten Sorte von Menschen.

Ist das der Grund, warum Sie Woody Allen so mögen?
Ich glaube schon. Ich finde in allem Tragischen auch immer etwas Komisches. Ich halte es für so seltsam "deutsch", wenn die Menschen so verbissen im Theater leiden müssen, um Wahrheit empfinden zu können. Ich kann mit der Schwester der Tragödie, der Komödie, der Groteske, die Wahrheit oft besser herausbringen als mit dem Pathos der richtig gemeinten Schwere.

Ist das in Wien anders?

Ja. Man gibt uns ja Recht, das Theater wird geradezu gestürmt, auch über den "Idealen Mann" oder den "Zerbrochnen Krug" kann man lachen. Ich möchte es ja gar nicht laut sagen, aber wir hatten letztes Jahr ein Rekordjahr und wir werden es dieses Jahr wohl noch toppen. Wir machen es uns damit schwer, denn es kann ja nicht immer nur nach oben gehen. Und dann haben wir vielleicht zwei Prozent verloren und dann heißt es ...

Burgtheater in der Krise!
Genau! (lacht) So ist es.

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Ich sehe auf Ihrem Schreibtisch ein Organigramm über das Personal der „Ilias. Da wird einem ja schwindlig, all diese Götter, Helden, Frauen, die wild durcheinander wuseln.
Ich möchte vor allem keine Readers-Digest-Version machen. Egal, mit welcher Länge man arbeitet, man wird dem nicht gerecht. Dieser Versuch wäre aussichtslos, das darf es nicht sein. Ich suche gerade einen neuen Titel, aber ich weiß noch keinen. Vielleicht heißt es "Probenprotokoll Paris", dann werden alle an die französische Hauptstadt denken und später feststellen, dass Paris ein etwas merkwürdiger Held ist. Vielleicht ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte auch die Kassandra, die alles erzählt. Kassandra als Phänomen unserer Zeit. Wir alle wissen um die kommenden Katastrophen...

Aber niemand will es hören.
Ja, darum geht es. Und dann habe ich gedacht, vielleicht nehme ich auch das Pferd, wie es da steht. Dieser eine Tag ist der friedlichste im ganzen trojanischen Krieg. Die Griechen sind weg, und da steht das Pferd. Und dann passiert etwas ganz anderes. Ich bin ein wenig ermüdet von "Krieg und Frieden", vielleicht mache ich den friedlichsten trojanischen Krieg, den es je gab.

Es gibt die Forderung an die Bundestheater nach Einsparungen.
Die Evaluierung sagt, wenn wir diese und jene Maßnahme treffen, sparen wir so und so viel Geld ein. Das bezog sich auf den Zeitraum bis 2009. Wir haben diese ganzen Maßnahmen inzwischen aber schon getroffen oder eingeleitet. Wir stehen mitten im Einsparungsprozess. Soviel dazu. Ich werde nie zu den Leuten gehören, die lamentieren und sagen, das Geld reicht nicht. Aber ich sage: Anhand des Geldes, das man uns gibt, definiert man den Leistungskatalog. Ich würde auch in einer Garage weiter Theater machen, ohne Geld.

Thema Verlängerung: Würden Sie gerne bleiben?
Ich bin gerne in Wien, es ist eine tolle Stadt, ich möchte derzeit in keiner anderen Stadt leben. Man kann sich hier hervorragend verständigen. Dieses theatralische Volk ist gut für mich, der Sturm der Neugierigen auf unser Theater hat nicht abgenommen. Und diejenigen, die mir das übel nehmen und mich für einen Verführer  halten, denen kann ich nur entgegnen: Theater ist Verführung.

Rückkehr: Gert Voss spielt "Onkel Wanja"

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Zu einem in Wien nicht unwichtigen Thema wollte sich Matthias Hartmann nicht näher äußern: einer möglichen Rückkehr von Publikumsliebling Gert Voss ans Burgtheater. Letzter Informationsstand: Voss und Hartmann suchen gemeinsam nach einem Stück für die kommende Spielzeit.

Dieses Stück dürfte gefunden sein: Laut Insidern soll Voss ab Herbst 2012 in Tschechows „Onkel Wanja“ im Burgtheater auf der Bühne stehen, inszenieren wird wohl der Burgchef selbst.

Voss hatte zuletzt in Bernhards „Einfach kompliziert“ im Akademietheater gespielt. Danach arbeitete er vor allem in Berlin – und gastierte vergangenen Sommer mit der Schaubühne und „Maß für Maß“ spektakulär in Salzburg.