Kultur

Grandiose Bilderwelten, die man nicht so schnell vergisst

Darf man den einzigen Einwand gleich zu Beginn formulieren? Nur zwei Mal (18. und 19. Mai) ist Salvatore Sciarrinos "Luci mie traditrici" ("Meine verräterischen Augen" /"Die tödliche Blume") noch in Wien zu sehen. Freunde des zeitgenössischen Musiktheaters sollten diese Gelegenheit nutzen, denn viel besser wird man dieses Werk des italienischen Komponisten kaum hören bzw. sehen. Überforderung inklusive.

Worum geht es? Um einen Mann, der unendlich liebt, der zutiefst hasst, der seine Frau und seinen Nebenbuhler letztlich tötet und sich im Chaos seiner Gefühle unerbittlich verfängt.

Don Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa, Komponist großartiger Madrigale – auch Alfred Schnittke hat eine einst auch im Haus am Ring gezeigte Oper über ihn verfasst – tötete im Jahr 1590 seine Frau und deren Liebhaber. Ohne Folgen, als Fürst durfte man das damals.

Sciarrino hat aus dieser Historie ein leise tönendes, oft nur flirrend-rauschendes Mono-Drama gemacht, dem Regisseur Achim Freyer für die Wiener Festwochen seine bildgewaltige Wundertüte überstülpt. Szenische Interaktionen gibt es bei Freyer natürlich nicht; auf drei Bühnen-Ebenen sind die Protagonisten Gefangene ihrer selbst.

Gesamtkunstwerk

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Und Freyer schafft ein betörendes Gesamtkunstwerk, in dem Platz für Versatzstücke aus der Commedia dell’arte ist, in dem an David Lynch gemahnende, surreale Bilderfolgen dominieren, in dem das Auge einer permanenten und virtuosen (Alb-)Traumkulisse ausgesetzt ist. Man kommt aus dem Schauen, aus dieser so traurigen Nacht des Mordens nicht mehr heraus.

Eine perfekte Lichtregie, eine stupende Bühnentechnik und eine geniale Rauminstallation erwecken Sciarrinos Werk visuell zum Leben; der Bühnenmagier Freyer hat voll zugeschlagen. Und das, obwohl das von Freyer neu erfundene, dazu gedachte Vorspiel "Tag aus Nacht ein" gar nicht notwendig wäre. Denn Sciarrino erklärt sich eigentlich fast von selbst.

Auch dank des vollendet illustrierenden Klangforum Wien, das sich unter der Leitung von Emilio Pomàrico zu Höchstleistungen verführen lässt. Zarte Töne, leise Klänge und fast subkutane Seelenempfindungen werden hörbar; eine flirrende Poesie der Dunkelheit entsteht.

Und die von der Bühnendecke herabhängenden oder in Seilen gefangenen oder auch in eine "Eiserne Jungfrau" gepressten Sänger brillieren: Otto Katzameier, Anna Radziejewska, Kai Wessel, Simon Jaumin vervollständigen diesen Sciarrino-Freyer-Kosmos perfekt. Was bleibt sind Träume. Gute wie schlechte. Und Bilder, die man nicht so schnell vergisst.

KURIER-Wertung:

Fazit: Ein Fest für alle Sinne

Werk Salvatore Sciarrino (geboren 1947 in Palermo) hat mit „Luci mie traditrici“ einen 1998 uraufgeführten Klassiker der Moderne geschaffen.

Umsetzung Achim Freyer hat einst Sciarrinos „Macbeth“ aus der Taufe gehoben und sorgt bei den Festwochen für ein bildgewaltiges, herrlich surreales Universum.

Musik Das Klangforum Wien spielt in seiner eigenen Liga. Die Sänger sind auch darstellerisch top.