Kultur

Frequency Festival: Musik zwischen Riesenrad und Rollerdisco

St. Pölten ist seit Mittwoch nicht nur Landeshauptstadt, Leider-Nein-Kulturhaupstadt, sondern auch noch Gastgeber einer feucht-fröhlichen Freiluftveranstaltung, bei der es auch um Musik geht: Das Frequency. Das Gute an diesem Festival ist ja der Austragungsort, also St. Pölten: Es gibt eine funktionierende Infrastruktur. Supermärkte, Restaurants, in die man ausweichen kann, wenn einem am Campingplatz das Dosengulasch aus Wien-Inzersdorf oder die Asia-Fertignudeln schon beim Hals raushängen, und man nicht zwölf Euro für eine Portion Buffalo Wings und 14,50 Euro für eine Pizza Salami ausgeben will. Und: Man kommt von hier halbwegs schnell wieder weg – mit dem Auto oder den Öffis.

Öffentliches Interesse

Das Festival steht aufgrund der aufgedeckten mutmaßlichen Terrorpläne im Zusammenhang mit den Wien-Konzerten von Taylor Swift unfreiwillig im Fokus des öffentlichen Interesses. Während halb Österreich mit Bauchweh auf das Festival blickt, nimmt es der Großteil der Festivalbesucher gelassen („Mir egal“) bis kämpferisch („Wir lassen uns den Spaß nicht nehmen“), wie bei einem Lokalausgenschein am Campingplatz zu hören war. Auch wenn die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verstärkt wurden, ist beim Besuch am Donnerstag am ersten Blick alles so wie immer. 

Kostet extra

Am zweiten Blick ist natürlich einiges auch anders: Mehr Polizei, verschärfte Kontrollen und noch mehr Zaun, der in der Gegend herumsteht. Aber ein Festival ist ja schon lange kein Ort der Freiräume mehr. Vielmehr ist es ein Ort des Konsums. Alles hat seinen Preis. Auch der Shuttle Bus, der einem vom Bahnhof in St. Pölten zum Festivalgelände bringt. Er kostet natürlich extra: 10 Euro. Damit löst man auch gleich eine Jahreskarte, kann also vier Tage lang mit dem Bus im Kreis fahren. Das Wasser (und Wasserlassen) ist dann aber im Preis für ein Festivalticket inbegriffen.

Bezahlt wird ausschließlich "cashless". Um etwas konsumieren zu können, muss man sich online vorab registrieren und Geld auf sein Festivalband laden. Dabei muss man allerhand Fragen beantworten. Dafür darf man sich am Ende auch etwas wünschen: "Welchen Act wünscht du dir für Frequency 2024?" Da scheint jemand auf ein Update der Homepage vergessen zu haben. 

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Alles geht

Das Frequency Festival will ein Festival für alle sein und niemanden ausschließen. So sagt es der Veranstalter (Barracuda Music). Das ist grundsätzlich eine tolle Sache, erfordert aber Kompromisse, die stilistische Brüche mit sich bringen. Aber gut, die Jugend von heute ist ja viel gewohnt und auch durchaus vielseitig bzw. abwechslungsreich unterwegs. Das hat zur Folge, dass nach einem Ballermann-Schlager der seichtesten Variante ein Lied von Lady Gaga oder Kings Of Leon in der Playlist folgt. Geht sich alles locker aus. Ähnlich verhält es sich dann mit dem Line-up beim Frequency Festival, das nach dem Motto „Kraut und Rüben“ alles zu bieten hat, was halt gerade irgendwie angesagt ist – oder am Markt verfügbar war.

Dem Publikum ist es egal. Das Frequency ist seit Jahren mehr oder weniger ausverkauft. Für dieses Jahr gibt es noch Karten. 

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Abkühlung

Natürlich sollte es klar sein, dass man bei Temperaturen über 30 Graf ausreichend Flüssigkeit zu sich nimmt: Wasser. Nicht Vodka-Bull. Nein, auch zehn Bier machen die Sache nicht besser. Wer einen findet, legt sich in den Schatten. Baumschatten gibt es nur am Campingplatz. Vor den Bühnen verbrennt man. "Bist du deppat, Bruda. Es ist heiß. Gesicht brennt". Das könnte auch eine Songzeile einer der vielen beim Frequency auftretenden Acts sein, die dem Genre Deutschrap zuzuordnen sind. 

Bei so einem Festival, wenn man nicht gerade am Campingplatz ein Saufspiel spielt oder seine drei Promille in der Traisen abkühlt, bleibt einem immer auch Zeit, um sich ein paar Gedanken zu machen. Darüber, dass so ein Festival schon lange den Charakter einer Maturareise oder einem Besuch im Wiener Würstelprater gleicht. Es gibt Rollerdisco, man kann sich schminken lassen, mit dem Riesenrad fahren und zu "Griechischer Wein" Zeltfeststimmung atmen. Man kann sich auch fragen, ob der Typ neben einem nun freiwillig hier ist, also als Festivalbesucher, oder beruflich als Polizist in Zivil. 

Man kann sich aber auch umsehen und sich über T-Shirts mit Sprüchen wie "Riechst du den Furz, ist der Abstand zu kurz" amüsieren oder über Festivalbesucher wundern, die im Heiligen-Drei-Könige-Outfit und einem Kreuz aus Bierdosen herumschlurfen. 

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Musik? Ja, die gibt es auch

Der Donnerstag beim Frequency wird gegen 14.45 Uhr auf der Space Stage mit Upsahl eröffnet. Das ist gefälliger Indiepop - vorgetragen von der gleichnamigen Sängerin und Songwriterin. Zu diesem Zeitpunkt haben sich erst wenige Menschen auf das Festivalgelände verirrt. 

Auf der Green Stage haben Joey Valence & Brae ihren Spaß. Die beiden US-Rapper machen einen auf Beastie Boys für die Generation TikTok. Sie wissen mit mächtigen Bässen und Techno-Beats aus der Konserve zu begeistern. Es gibt brachiale Drumloops und eine sympathisch-punkige Grundhaltung: "Shut up an have fun, a fucking good time!" Wo ist der Moshpit? Gibt leider keinen. Es ist zu heiß, zu  wenig los vor der Bühne. Die hierzulande noch unbekannten US-Amerikaner hätten sich aber einen verdient gehabt. 

Danach geht es mit Grandson ähnlich druckvoll wie brachial weiter. Der kanadisch-US-amerikanische Musiker vermengt in seiner Musik unterschiedlichste Elemente aus allen möglichen Ecken: Rap, Rock der Marke Linkin Park und Blink-182. Live legt er seine Songs wesentlich härter an als auf Platte. Dafür sorgt ein Live-Schlagzeuger und eine Live-Gitarristin. 

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Danach geht es bei Feine Sahne Fischfilet um Haltung zeigen und mal abschalten. Die Rostocker Deutschpunk-Combo hat der Herz am richtigen Fleck, ist für ihr politisches Engagement bekannt. Sie bezieht Stellung gegen rechts.

Die Fischfilets sind ja Dauergast auf österreichischen Festivals. 2023 waren sie zum Beispiel beim Nova Rock. Diesmal ist das Frequency dran. Die Band bedankt sich dann, dass es bei dieser Hitze so viele vor die Bühne geschafft haben. 

Gespielt wurden auch Stücke vom aktuellen Album "Alles glänzt!". Das ist natürlich ironisch gemeint: Rechtsruck, Krieg in der Ukraine, Hass im Netz usw. Dazu passt dann die Textzeile "Ich bin komplett im Arsch, weiß nicht wohin mit mir“, die Jan "Monchi" Gorkow ins Mikro grölt. Dazu gibt es punkige Gitarrenriffs und immerhin gut gelaunte Bläserarrangements. 

Feine Sahne Fischfilet üben sich beim Auftritt auch noch im Bierschmeißen. Dazu wird eine Festivalbesucherin auf die Bühne geholt, die dann gemeinsam mit dem Sänger Bierflaschen (aus Plastik?) in das Publikum wirft, damit zumindest einige etwas davon haben. Denn die Getränkepreise (ein großes Bier kostet zum Beispiel 6,80 Euro), so der Sänger, seien auf so einem Festival ja kaum noch zumutbar. "Scheiß egal, wir haben gelebt ..."

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Danach kommt Ski Aggu. Das ist ein deutscher Rapper, der bei seinen Auftritten eine Skibrille trägt. Ist das lustig? Cool? Voll geil? Extrem angesagt? Ja, anscheinend schon. Denn immerhin stehen 90 Prozent der Festivalbesucher völlig begeistert vor der Bühne und können seine Texte mitsingen. 

Der Musiker aus Berlin macht Rap-Schlager oder Ballermanndisco oder beides. Also Musik, die vor allem dann Spaß macht, wenn man gerade seinen dritten Sangria-Kübel geleert hat.

In eigentlich jedem Ski-Aggu-Song geht es um Party, die dabei genommen Drogen, das leichte Leben: "Balla Balla" heißt das dazu passende Lied. Ein anderes heißt "Broker". Darin heißt es: "Ausverkaufte Tour, aber ich rapp’ erst seit Corona, ich bin übern Zaun geklettert in den Club, jetzt spiel ich Shows da". Diese Zeilen beschreiben seinen schnellen Aufstieg ganz gut. Ohne TikTok und Instagram würde er wohl heute noch über den Zaun klettern, aber die Zeiten ändern sich. Ein guter Social-Media-Plan und ein bisschen Glück machen es möglich.

Das Gute an Ski Aggu: Er nimmt sich selbst nicht zu ernst, hat keine Machosprüche im Programm und er rappt auch nicht über dicke Hosen, fette Autos, goldene Uhren. Er ist quasi das Gegenteil des gängigen Rapper-Klischees. 

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Nach Sonnenuntergang war alles für Dominic Richard Harrison alias Yungblud angerichtet. Der 27-Jährige aus Doncaster in England verkörpert vieles: Seine Musik ist ein bisschen Emo, er kann Rock, er kann crazy, aber auch total nett und lieb, könnte also ein bester Freund in schweren Zeiten sein. Er kann aber auch zornig und (wenn es sein muss) auch laut werden; er kann Metal, Indierock, Ska, Balladen und auch zum Tanzen einladen. Das alles gelingt ihm auch bei seinem Auftritt, den er in einem Schottenrock absolviert. Sein neben ihm agierender Gitarrist bringt ordentlich Wumms auf die Bühne. Die Bassistin steht etwas abseits und stoisch herum und der Schlagzeuger bearbeitet konsequent die Felle. Das funktioniert, hat ordentlich Druck. Sicherlich eines der besseren Konzerte des heutigen Tages.

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Beim Auftritt von The Offspring wird man nostalgisch. Ist das echt schon 30 Jahre aus, als man als Teenager bei den ersten Partys, bei denen man bis Mitternacht bleiben durfte, zur Musik von "Smash" feierte? Ja. Arg. Kinder, wie die Zeit vergeht ... 

Mit diesem Album, ihrem dritten, lieferte die US-Band im Jahr 1994 (dem Jahr, als Kurt Cobain sich das Leben nahm) Punkrock für die Massen. Damit waren sie neben Green Day ("Dookie", ebenfalls 1994) einer der erfolgreichsten Bands in den Neunzigern. Seither sind viele Jahre vergangen und es scheint so, als hätte sich nicht sehr viel verändert: Die Haare von Frontmann Bryan "Dexter" Holland und Gitarrist Kevin "Noodles" Wasserman sind zwar mittlerweile grau oder komisch gefärbt, die Falten haben tiefe Furchen ins Gesicht gezogen und die Hüften machen auch nicht mehr so mit, aber sonst, scheint noch alles halbwegs in Takt zu sein. 

Von diesem Erfolg ihres dritten Albums zerren The Offspring noch heute. Und so setzt sich der Großteil des auf dem Frequency souverän, mit Witz und Ironie und Spielfreude dargebotenen Programms auch aus Songs von "Smash" zusammen. Man hört "Come Out And Play", den Überhit "Self Esteem" und viele mehr. Songs, die wie die Band, für immer jung bleiben wollen. Neben ein paar neueren Songs gibt es auch noch Coverversionen von The Ramones ("Blitzkrieg Pop") oder Black Sabbath ("Iron Man").  

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Das Kontrastprogramm liefert zeitgleich die Brit-Award-Gewinnerin Raye auf der Green Stage. Mit ihren sanften, einfühlsamen, souligen, in Richtung R&B, Bigband und Pop gehenden Songs vom Album "My 21st Century Blues" wirkt sie wie ein Exot auf dem Frequency Festival. Sie kann einem schon etwas leid tun, weil man es ihr auch nicht gerade einfach macht: Erstens muss sie gegen The Offspring antreten. Zweitens auch noch gegen die Lärmbelästigung vom angrenzenden Funpark ansingen. Man kann sich daher nur wünschen, dass Raye wieder einmal nach Österreich kommt. Vielleicht ins Konzerthaus, ins Volkstheater oder in die Oper. Es könnte magisch werden.