Kultur

Als Tourist in Waterloo

Vor mehr als zweihundert Jahren, als Europa nach den Napoleonischen Kriegen seine politische Stabilität verloren hatte, war Wien neun Monate lang tatsächlich Weltstadt. Und lag nicht nur im geografischen Herzen, sondern auch im politischen Zentrum Europas, dessen Geschicke beim "Wiener Kongress" unter der Präsidentschaft des österreichischen Delegierten Fürst von Metternich bestimmt wurden.

In diesem Kontext wirken die im Belvedere gezeigten Stadtminiaturen beinahe anrührend: Porträts der damaligen Außenbezirke, als diese tatsächlich noch (Brigitten-)Au waren, Grinzing ein abgeschiedenes Dörflein und die Reichsbrücke von Wiesen und Feldern umringt war.

Der Stadt Wien ist ein zentraler Aspekt der Ausstellung "Europa in Wien. Der Wiener Kongress 1814/’15" gewidmet, die in neun Unterkapiteln die gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Dimensionen des Wiener Kongresses zeigt. Aber auch die internationalen Verflechtungen über den europäischen Kontext hinaus.

Darf das sein?

Alle Inhalte anzeigen
Berühmt ist der Ausspruch Metternichs, der Balkan beginne bereits am Rennweg. Dass sich Russland gerade zur Zeit des Kongresses als politische Macht etablieren konnte, veranlasste Erzherzog Johann 1815 zur Frage: "Russland drängt nach Westen – darf das sein?"

Die Schau jedenfalls bejaht dies und bezieht auch russische Kunst mit ein.

Zweieinhalb Jahre haben die Kuratoren Sabine Grabner und Werner Telesko, die auch als Herausgeber des begleitenden Katalogs fungieren, an der Ausstellung gearbeitet. Man habe die Schau auch als sinnliches Erlebnis anlegen wollen, sagt Grabner. Dass dies nur annäherungsweise gelungen ist, hat möglicherweise mit der historischen Problemstellung per se zu tun: Geschichte sei "an sich schwer vermittelbar", sagt Telesko.

Und so ist die ambitionierte Ausstellung doch etwas technisch geraten. Trotz zeitgenössischer Musik (samt eigenhändiger Abschrift von Beethovens Eroica), prächtiger Porträts und allerlei kunstgewerblicher Ausstellungsstücke wie hochwertigem Hausrat (Porzellan, Möbel und Kandelaber, vieles davon aus Familienbesitz) oder Kleidern (samt Kaschmirschal – damals das Modeaccessoire). Und nur mit Hintergrundinformation und dem empfehlenswerten Katalog wirklich zu genießen. Wer die 45 Euro dafür nicht ausgeben möchte: Es gibt auch einen handlichen Flyer, der die Besucher durch die Ausstellungsräume begleitet.

Dass die Schau über dieses große Friedensprojekt vor zweihundert Jahren mit einem Verweis auf die Gegenwart – u. a. mit Bildern aus Camp David – endet, ist bemüht, angesichts der heutigen Weltlage aber letztlich ein trauriger Hinweis auf das Scheitern der Weltpolitik.

Touristen in Waterloo

Neben Metternich steht jener Mann im Fokus, dessen Vita den großen geschichtlichen Spannungsbogen des Kongresses bildet: Von seinem Auftreten auf der europäischen Bühne bis zur Schlacht bei Waterloo wird Napoleon (unter anderem auf dem berühmten Gemälde von Jacques-Louis David) porträtiert. Neben grausigen Gemälden und Grafiken der Schlachten von Aspern und Waterloo gibt es auch Kurioses wie das Bild eines unbekannten Künstlers namens "Touristen besuchen das Schlachtfeld von Waterloo" zu sehen.

Polizeistaat

Am spannendsten sind Ausstellung und Katalog da, wo sie sich mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandersetzen. Etwa der Frage, in wieweit der oft verwendete Begriff "Restauration" im Sinne von "Wiederherstellung" für den Kongress zulässig sei.

Denn durch ihn seien, sagt Kurator Telesko, politische Neuordnungen institutionalisiert worden. Das wäre also wirklich eine neue Erkenntnis: Fürst Metternich, der Erfinder des Polizeistaates – ein verkannter Revoluzzer!

Europa neu ordnen und Frieden sichern

Wiener Kongress Vor 200 Jahren war Wien das politische, kulturelle und gesellschaftliche Zentrum Europas, dessen Großmächte über die Neuordnung des Kontinents, der durch die Napoleonischen Kriege seine politische Stabilität verloren hatte, berieten. Österreich wurde durch Fürst von Metternich repräsentiert.

Europa in Wien Mit „Europa in Wien. Der Wiener Kongress 1814/’15“ zeigt das Belvedere in den Räumen des Unteren Belvedere und der Orangerie vom 20. Februar bis 21. Juni 2015 eine Ausstellung, die sowohl die politischen als auch die gesellschaftlichen Aspekte dieses außergewöhn- lichen Ereignisses beleuchtet.

Link: www.belvedere.at