Kultur

Ein Glücksscherbensucher, der sein Milieu unbändig liebt

Rollen spielen – das macht Michael Heltau schon seit einigen Jahren nicht mehr. Lieber steht der Künstler einfach so auf der Bühne, singt, rezitiert und verführt das Publikum. So wohl auch heute, Freitag, wieder, wenn Heltau im Theater an der Wien zu seinem neuen Programm bittet. "Das war’s Herr Direktor!" lautet der glücklicherweise nicht bezeichnende Titel, "zumal ja mein Werkzeug noch funktioniert", so der 81-Jährige.

Gemeinsam mit den Wiener Theatermusikern wird Heltau auf den Spuren großer Dichter, bekannter Komponisten, Interpreten oder bedeutender Menschen wandeln. Goethe und Brecht haben da ebenso Platz wie Jacques Brel oder Choco Chanel. Oder auch das "bitte nicht rührselige" Wiener Lied.

Rollenwechsel

"Ich bin permanenter, begeisterter Anfänger", sagt Heltau im KURIER-Gespräch. "Man muss auf der Bühne seriös sein und seine Arbeit so gut wie möglich machen, dann erlebt man glückliche Erfahrungen. Und nur glückliche Erfahrungen bringen mich weiter." Warum jedoch hat Heltau mit dem Theaterspielen aufgehört? "Ich will keine Rollen mehr spielen, ich will mich hinter nichts mehr verstecken. Rückblickend betrachtet kann ich sagen: Ich hoffe, ich habe nicht zu viel Theater gespielt."

Die Rollen, die Heltau auf der Bühne verkörpert hat – und er hat fast alle großen verkörpert – "die habe ich immer rasch hinter mir gelassen. Die Rollen, nicht die Arbeitserfahrungen mit Giganten wie etwa Giorgio Strehler. Die sind immer noch da." Heltau weiter: "Ich glaube nicht an die große Verwandlung auf dem Theater. Ich glaube viel eher an die Glücksmomente, wenn es einem gelingt, kurz einem Dichter ganz nah zu kommen. Das war immer mein Ziel."

Herzensgeschmack

Und wie empfindet der Ausnahmekünstler die heutige Theaterlandschaft? "Das Publikum wird meist von den Regisseuren sträflich unterschätzt. Es wird überrannt, überrollt, übertölpelt, überbildert und auch übertönt. Das hat viel mit Stil zu tun. Stil aber kann man nicht lernen, das hat etwas mit Herzensgeschmack zu tun."

Ein Grund mehr für Heltau, seine eigenen Abende zu entwickeln. "Da gibt es keine Ablenkung. Da gibt es das Wort, die Musik, das Publikum. Und man kommt ins Theater, um einander zu verstehen. Ich habe mich nie als Menschenfänger gesehen, als den man mich auch schon tituliert hat. Im Gegenteil! Mich haben immer die Menschen gefangen. Deswegen bin ich innerlich ja auch so jung, in meiner Offenheit, mich fangen zu lassen", so Heltau, der heuer auch im Musikverein seinen eigenen Zyklus gestaltet.

"Gestalten darf! Das ist doch keine Selbstverständlichkeit, das ist ein großes Geschenk. So wie wenn man eine glitzernde Scherbe sieht und von ihrer Schönheit begeistert ist. Ich durfte und darf in meinem Leben viele glitzernde, schöne Scherben sehen. Insofern bin ich ein Glücksscherbensucher und -Sammler."

Noch eines sammelt Heltau: Sätze. Von Schriftstellern, Schauspielern, Philosophen. Sie sind oft Teil seiner Programme. "Das sind keine Kalenderweisheiten, das ist Gold, pures Gold. Ich habe aber auch kein Problem damit, Katzengold neben echtes Gold zu stellen. Man wird ja auch vergleichen dürfen. Dafür gibt es ja dieses Milieu, das mich glücklich macht. Ich bin ein Glückskind, das dieses Glück weitergeben will."