Kultur

Dominique Meyer: "Ich wäre gerne für immer geblieben"

KURIER: Wie geht's denn der Oper?

Dominique Meyer: Der Oper geht es blendend. Wir hatten tolle Ergebnisse in der letzten Spielzeit. Der Ruf ist international nach wie vor sehr gut. Die Zuschauer sind da. Die Künstler kommen gerne. Und wir haben endlich angefangen, die historischen Teile zu renovieren (dzt. Vestibül/Eingangsfoyer, im nächsten Sommer die Loggia und das Schwindfoyer, Anm.). Ich musste viel kämpfen, um das zu erreichen. Jetzt tut man so, als ob das mein Abschiedsgeschenk wäre. Aber ich schlafe ja nicht hier, ich bin nicht Besitzer. Ich denke, es gehört gemacht, so wie die neuen Untertitel-Tablets, die eine Auswahl von sechs Untertitelsprachen ermöglichen und weltweit einzigartig sind. Und wir haben – das gab es noch nie! – eine von der Holding bestätigte Dreijahresplanung. Die Staatsoper ist sehr gesund.

Der Einnahmenrekord 2016/'17 wurde mit weniger Besuchern und weniger Vorstellungen erreicht – die Karten sind teurer geworden.

Das stimmt nicht! Die wirtschaftliche Auslastung ist um 2,3% gestiegen, das heißt wir haben viel mehr Karten zum Vollpreis verkauft. Es sind nur ein bisschen weniger Besucher – aus zwei Gründen: Es hat keinen 29. Februar gegeben, dafür können wir wirklich nichts! (lacht) Und wir hatten keine Kinderoper im großen Saal. Da sind die Preise geringer. Wir haben wieder die Auslastung gesteigert, und die Karteneinnahmen in sieben Jahren von 28 auf 35,5 Millionen Euro. In einer Zeit, in der viele von Krise reden.

Einer davon ist immerhin Jonas Kaufmann: Der sagte, der Oper als Gesamtbusiness geht es nicht, große Teile davon lägen im Sterben. Insbesondere, weil die kleinen Häuser in Italien und Deutschland zusperren. Deswegen werde bald der Sängernachwuchs fehlen.

Ich bin nicht dieser Meinung. Ich habe viel darüber nachgedacht. Es gibt so viele gute Sänger! Ich bin froh, in dieser Zeit hier arbeiten zu dürfen. Im Wagner-Verdi-Jahr hatten wir für Wagner Kaufmann, Botha, Vogt, Seiffert, Ventris. Das hat man nicht in jeder Generation. Als ich jünger war, hat man in Wagnervorstellungen oft gelitten, weil es ganz wenige Sänger gab. Und bei den Wettbewerben gibt es hervorragende Sänger. Man denkt immer, dass die Geschichte fertig ist. Aber sie ist sängermäßig nie fertig. Es gibt immer wieder Nachwuchs.

Aber wenn die für die Karriere, fürs Großwerden wichtigen mittleren Häuser wegfallen, ist das doch ein Schaden für den Nachwuchs.

Die fallen nicht weg! In Italien gibt es sicher eine große Krise. Eine Publikumskrise, weil man immer wieder das Gleiche gespielt hat. Auch eine Krise der Politik, die Politiker denken an Stimmengewinn und nicht an Verpflichtung. Aber es gibt andere Länder, in denen es besser geht als früher. Mein Vaterland zum Beispiel. In den 70er Jahren war dort eine qualitativ große Ära für die Oper. Aber man hat insgesamt nur 90 Vorstellungen pro Saison in Paris gespielt. Jetzt hat man 600. Ich bin gar nicht pessimistisch.

Trotzdem: Wie kann es an der Staatsoper weitergehen? Bei der Auslastung geht nichts mehr. Heißt das: Noch teurere Karten?

Das ist nicht mehr meine Sache. Ich weiß, wie ich es bis 2020 mache.

Und wie?

Ich will grundsätzlich keine Einnahmenrekorde mehr aufstellen. In anderen Häusern sinkt die Auslastung – und zwar in großem Ausmaß wegen der Kartenpreise. In Wien gibt es eine starke Verbindung zwischen den Menschen und der Oper. Gut! Aber man verkauft in dieser Stadt, die keine große Metropole wie London oder Paris ist, 10.000 Tickets für klassische Musik am Tag. Da gibt es zwar freundliche, aber große Konkurrenz. Und die Zahl der Leute, die 200 Euro für eine Karte ausgeben können, ist nicht grenzenlos. Natürlich kann man Touristen finden. Aber ist es das, was man sich wünscht?

Die Wiener Tourismusbranche wohl ja.

Ich habe immer noch die Sicht eines Ausländers auf die Wiener Musikwelt. Die Liebe zur Musik ist so groß, und zwar in verschiedenen Schichten der Gesellschaft. Das gehört nicht nur einer kleinen Elite, die sich das leisten kann. Ich möchte nicht Mittäter sein, der diese Verbindung unterbricht. Es gibt jetzt eine Wahl. Vielleicht sollten die Politiker ein bisschen daran denken.

Die Kosten werden aber weiter steigen.

Wir geben rund 70 Prozent unseres Budgets für Gehälter aus. Über die Erhöhung entscheiden nicht wir, aber wir bekommen die Rechnung. Weniger Personal geht nicht mehr. Ich habe schon oft ein schlechtes Gewissen, weil wir von unseren Mitarbeitern so viel verlangen.

Es geht sich irgendwann nicht mehr aus.

Bis 2020 ist alles geklärt. Aber danach wird die Politik zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen müssen. Die Staatsoper hat natürlich in erster Linie einen Kulturauftrag. Sie ist aber auch ein Zugpferd der Wirtschaft dieser Stadt. Man kann nicht ignorieren, dass wir 200.000 Übernachtungen pro Saison generieren. Wenn der Staat der Oper Geld gibt, ist das keine verlorene Summe – sondern eine Investition. Die Wirtschaftskammer hat errechnet, dass jeder von der Republik investierte Euro dem Steuerzahler 5,5 Euro zurückbringt!

Bräuchte es in der Wiener Klassiklandschaft mehr Koordination?

Es ist schwierig. Mit dem Theater an der Wien und der Volksoper sind wir sehr gut koordiniert. Aber mit den Konzerthäusern ist es schwierig. Beide haben so viele Veranstaltungen, wir auch. Das alles zu koordinieren ist unmöglich. Ich bedauere, und daran bin ich auch selber schuld, dass wir nicht mehr gemeinsame Projekte gemacht haben, Schwerpunkte gesetzt haben.

Wird es nach der Wahl einen neuen Kulturminister geben?

Ich bin kein Experte und habe mir verboten, über österreichische Innenpolitik zu reden.

Dann vielleicht allgemeiner: Kulturpolitik ist, so hat man den Eindruck, auch international immer mehr ein Anhängsel, ein Nebengedanke.

Österreich ist ein Kulturland. Das soll nicht nur eine Phrase sein. Viele reisen hierher, weil sie Hochkultur erleben wollen. Das Land soll kulturell eine Vorreiterrolle einnehmen. Das ist eine Dimension, die man manchmal vergisst. Die Österreicher sind nicht immer im Klaren mit sich selbst, sie sprechen schlecht über sich selbst und nehmen ihr Glück nicht wahr. Das ist eines der zwei Probleme in diesem Land.

Und das zweite?

Die Bürokratie. Man setzt zu viele Regeln auf, und einen Augenblick später sucht man Methoden, um diese Regeln zu umgehen.

Ein Problem für die Kultur wiederum ist, dass sie in der Online-Öffentlichkeit auf Facebook und Twitter und anderen Diensten kaum durchkommt. Da ist auch die Staatsoper, verglichen mit ihrer Bedeutung, ein Zwerg.

Damit bin ich nicht einverstanden. Wir haben über eine Million Klicks in einer Saison auf der Webseite, rund 100.000 Follower auf Facebook in wenigen Monaten und einen rasanten Anstieg in kürzester Zeit auf Instagram erreicht.

Netflix hat 39 Millionen Facebookfollower.

Das kann man doch nicht vergleichen. Wir sind in diesem Bereich sehr präsent. Ich denke eher, dass wir uns um die neuen Generationen bemühen müssen. Kinder- und Jugendarbeit ist sehr wichtig. Man bewirkt etwas, etwa, wenn sie zur Kinder-"Zauberflöte" kommen.

Die ist immer am Tag nach dem Opernball. Ist es für Sie eine Schwierigkeit, wenn der künftig von einer ÖVP-Abgeordneten zum Nationalrat geleitet wird (Opernball-Chefin Maria Großbauer kandidiert für Sebastian Kurz, Anm.)?

Das werden wir zu gegebener Zeit sehen. Jetzt ist mir wichtig, dass der nächste Opernball unter Dach und Fach ist. Da wurde alles rechtzeitig vorbereitet. Wir haben Zeit zu sehen, was dann später passiert.

Aber das wäre schon beim kommenden Opernball schlagend: Die Wahl ist am 15. Oktober, bis Ende des Jahres wird wohl die Regierung stehen.

Wie gesagt: Wir schauen uns das an. Ich bin ruhig. Wir konzentrieren uns im Moment auf unsere Arbeit.

Aber Sie sehen keinen Hinderungsgrund, wenn das so wäre?

Ich weiß es nicht. Ich bin auch nicht der einzige, der hier etwas zu sagen hat.

Ist die Rechnungshofprüfung der Oper fertig?

Die ist beendet. Natürlich wird der Rechnungshof einige Punkte kritisieren. Es sollte nicht unsere Ehre in Frage stellen. Dass man das eine oder andere Verfahren kritisiert, finde ich angebracht (lacht).

Sind Sie eigentlich schon fertig mit den Planungen bis 2020?

Ungefähr. Wir basteln noch ein bisschen an der letzten Spielzeit.

Können Sie schon Einblicke geben? Etwa für 2019, wo ja auch Staatsopern-Jubiläum ist?

Wir haben viel vor. Drei große Uraufführungen, das ist bewegend, viel Arbeit und sehr spannend. Ein großes Projekt für 2018/'19 sind die "Trojaner" von Berlioz, das ist eine große Herausforderung. Und mehrere Auftragswerke im Kinderopernbereich.

Haben Sie viel Arbeit mit der Übergabe an Ihren Nachfolger?

Ich nicht, nein. Mein Wunsch ist, dass mein Nachfolger sich wohlfühlt. Wenn er etwas braucht, kriegt er alles von mir. Ich will das Haus in optimalem Zustand hinterlassen. Ich möchte eine gute Erinnerung hinterlassen.

Wie werden Sie denn Wien in Erinnerung behalten? Oder bleiben Sie hier?

Nein, ich muss arbeiten. Ich will das nicht aufgeben, nur weil so eine Entscheidung getroffen wurde. Ich werde Wien natürlich verlassen. Aber ich wäre gerne für immer hiergeblieben. Seit ich nicht verlängert wurde, ist meine Verbundenheit zu dieser Stadt und zu den Wienern noch enger geworden. Das ist vielleicht paradox. Ich finde die Menschen warmherzig und nicht falsch, sondern ehrlich. Und es gibt manche, die versuchen, mich an Wien zu binden, für andere Aufgaben.

Den Musikverein?

Nein, nein, nein. Ich weiß nicht, wer solche Gerüchte verbreitet und warum.

Wissen Sie, was sie sonst machen?

Nein, es gab schon Gespräche und etwas, das ich nicht angenommen habe, weil es bereits ab 2019 gewesen wäre. Ich möchte gerne meine Pflicht bis zum Ende erfüllen.