Kultur: Besessen vom Mammon

ABD0014_20170722 - SALZBURG - ÖSTERREICH: Christoph Franken als "Mammon" (oben) und Tobias Moretti als "Jedermann" am Dienstag, 18. Juli 2017, während der Fotoprobe zu Hugo von Hofmannsthals Stück "Jedermann", das am 21. Juli 2017 im Rahmen der Salzburger Festspiele am Domplatz Premiere hat. - FOTO: APA/BARBARA GINDL
Was Subventionssparkurs, Fast-Gratiskultur und soziale Medien in der Kultur inhaltlich anrichten.
  • Darum geht es: Der Kultur geht es wie der Gesellschaft als Ganzes: Die Schere klafft immer weiter auf zwischen den Top-Berühmtheiten und der Mittelschicht.
  • Dabei geht es auch, aber nicht nur um Einnahmen: Die sozialen Medien verteilen die Aufmerksamkeit nach dem „Winner takes it all“-Prinzip. Das macht es leichter für Stars, bekannt zu bleiben, und schwieriger für neue Acts, so richtig berühmt zu werden.
  • Was diese Schere anrichtet, sieht man am besten in der Oper. Dort gehen viele kleinere Häuser in die Knie, was für Probleme beim Sängernachwuchs sorgen wird.

"Ein Otello für die Ewigkeit": Überschäumend waren die Kritiken und die Publikumsbegeisterung, als Startenor Jonas Kaufmann jüngst in London in Verdis Opernklassiker zu erleben war. Kritiker schrieben, dass die Produktion, jedenfalls gesanglich, an die großen Zeiten der Oper anschließen könne.

Was für ein eiskalter Kontrast zu dieser Euphorie war das, was Kaufmann in London derweil in der BBC sagte: "Der Löwenanteil unserer Kunstform steht vor dem Sterben." Die Oper gehe großen Schwierigkeiten entgegen: "Die Top 5 haben kein Problem. Alle anderen haben schreckliche Schwierigkeiten. Viele, viele Häuser stehen vor dem Zusperren – oder haben bereits zugesperrt, in Deutschland und Italien. So viele wunderschöne Opernhäuser sind zu. Das ist eine Tragödie", sagte Kaufmann.

Denn auch wenn dem Opernfreund mittelklassige Aufführungen in mittelklassigen Häusern egal sind – dass die künstlerische Mittelklasse in der Oper derzeit, so wie in vielen anderen Bereichen, aus finanziellen Gründen zusammenbricht, ist ein gewaltiges Problem. "Von dort kommt das Angebot an neuen Sängern", sagt Kaufmann: Auch die heutigen Stars mussten ihr Handwerk erst lernen; das geht nicht an den Top-Häusern, dafür braucht es Arbeitsstätten abseits des grellsten Scheinwerferlichts.

Wenn es die nicht mehr gibt, ist auch die Opernelite bedroht. Somit gefährden die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der kleinen Opernhäuser mittelfristig auch die Weltklasse-Ausformungen von Oper, sei es während der regulären Saison, sei es bei Festspielen wie dieser Tage in Bayreuth und Salzburg.

Umklammerung

Die Oper erlebt damit ein Phänomen, das es in weiten Bereichen der gesamten Kultur gibt: Die triste finanzielle Situation hat Einfluss auf die künstlerischen Inhalte, und zwar mehr, als gemeinhin zugestanden (oder auch nur erkannt) wird.

Die finanzielle Umklammerung der Kultur erfolgt von mehreren Fronten aus: Die Subventionen bleiben mehr oder weniger gleich (und sind daher dank Inflation jährlich weniger wert), was selbst millionenschwer geförderte Häuser vor Schwierigkeiten stellt. Dank Internet wird weniger Geld durch Verkauf (Musik, Kino) eingenommen, Online-Werbung wirft kaum Geld ab, die vielen Plattformen von YouTube bis Spotify verdienen gut und schütten so wenig wie möglich an die Künstler aus. Die Menschen sind inzwischen gewöhnt, nichts (oder nur Peanuts) für zu Hause konsumierte Kultur zu bezahlen. Und die Künstler selbst verlangen für ihre Auftritte mehr Geld, um die anderweitig entgangenen Einnahmen auszugleichen.

Letzteres merkt man vor allem im Pop- und Rockbereich, wo es immer teurer wird, Stars nach Österreich zu holen – woraufhin manche gar nicht kommen und manche Festivals mit keinen echten Headlinern aufwarten können. Die Ticketpreise sind ordentlich nach oben geschnalzt. Vor allem für die übrig gebliebenen Acts aus der großen Zeit des Rock muss man tief in die Tasche greifen.

Die Fans geben dieses Geld aber ohne viel Murren aus: Der Live-Event-Sektor ist stark wie nie, da einzig dort noch wirklich gutes Geld verdient werden kann. Da fällt das eine oder andere Gratisfestival nicht ins Gewicht.

Diese neue Einbeinigkeit der früher breit aufgestellten Einnahmensituation – Künstler verdienten an Ton- und Filmträgern, an Auftritten, am Radio- und TV-Einsatz – verunsichert die Branche. Und das wirkt sich ebenfalls wieder inhaltlich aus: Pop, Rock, Oper und auch der Kinofilm setzen, aus Angst, die Liebe des Publikums zu verlieren, auf Nummer sicher.

Nummer sicher

Für mutige Experimente fehlen die Mittel bzw. die Gewissheit, dass das Publikum, einmal verschreckt, wiederkommt. Im Kino herrscht eine Monokultur aus Superhelden, Fantasy, Science-Fiction und Animation; in den großen Opernhäusern gibt es selten übermäßig fortschrittliche Inszenierungen. Und auch in der Musik ist es der kleinste gemeinsame Nenner, der erfolgreich ist: Der wenig bemerkenswerte Sommerhit "Despacito" und ein Song aus dem Soundtrack zur Actionfilm-Serie "Fast & Furious" haben zuletzt den eh schon nicht hochanspruchsvollen "Gangnam Style" als meistgestreamte YouTube-Hits überholt.

Das ist musikalisch genauso trist, wie es klingt.

Was insofern besonders enttäuschend ist, da aus dem Silicon Valley ganz andere Versprechungen kamen. Dank Internet werde es Künstlern möglich sein, in jeder noch so kleinen und anspruchsvollen Nische gut zu überleben, hieß es noch vor wenigen Jahren, da man alle weltweiten Fans ebendieser Nische gut erreichen kann.

Mehr Aufmerksamkeit!

Nichts könnte weiter weg von der Realität sein. Die Logik des Netzes hat es auch einst gut etablierten Mittelklasse-Acts schwieriger gemacht, zu überleben, und erschwert es auch neuen Acts, den Weg zur Spitze zu schaffen. Denn das soziale Netz von heute ist eine gnadenlose Aufmerksamkeitsmaschine: Wer die Aufmerksamkeit hat – das ist zumeist bereits Bekanntes oder Polarisierendes –, bekommt immer mehr davon. Wer aber nur milde interessant ist – Anspruchsvolles, Komplexeres –, bekommt weniger Aufmerksamkeit, als er verdient.

Es sind nur die von Kaufmann benannten "Top 5", die gewinnen, der Rest verliert. Dieses Phänomen bestimmt die Musikcharts: Einzelne Künstler gewinnen alles. Ed Sheeran hatte kürzlich 16 Songs unter den Top 20 in Großbritannien. Adeles "25" verkaufte in der ersten Woche so viel wie die 19 vorhergehenden Nummer-eins-Alben zusammen.

Und der Effekt bestimmt auch die Kinocharts: Wer nicht eine Geschichte zu bieten hat, die schon vor dem Kinobesuch interessant ist, hat keine Chance. Deshalb funktionieren Fortsetzungen und die wenigen gleichen Themen so gut. Hollywood ist ratlos, wie es aus der selbst geschaffenen Monokultur wieder herauskommen soll. Und muss noch dazu einen neuen Markt berücksichtigen, der die Sache nicht leichter macht: In China wächst die Kinobranche rasant, und politisch kontroversielle Filme sind dort nicht gerne gesehen. Also setzt Hollywood sein bestes Lächeln auf, besetzt jeden Blockbuster mit einem chinesischen Schauspieler und hofft das Beste.

Wen interessiert’s?

Die Überlebensfrage für die Kultur ist aber noch eine weitere: Die Online-Aufmerksamkeitslogik trifft auch sie als Ganzes, und zwar hart. In der neuen digitalen Öffentlichkeit spielt die Kultur kaum eine Rolle, sie ist in den sozialen Medien jene Art von Nebensache, die permanent unterhalb der Wahrnehmungsschwelle herumgrundelt. Im Krieg der Online-Worte ist die Kultur ein Zivilist. Und droht auch an dieser Front eine entscheidende Schlacht zu verlieren.

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