Kultur

Die groteske Russlandreise eines fahrenden Seelenkäufers

An diesem Abend musste man oft an russische Potentaten denken: Martialisch in Szene gesetzte Männer mit nacktem Oberkörper gröhlten, drohten und rühmten sich, Männlichkeit und Russentum betonend, ihres Sauf- und Fressvermögens.

Ein paar Szenen weiter: Die selben Akteure agieren als Frauen verkleidet, sie sind Tisch deckende Gattinnen oder feilschende Bäuerinnen. Auch da kommt einem das russische Regime in den Sinn, das jüngst die Rechte von sexuellen Minderheiten weiter beschnitten und beschlossen hat, dass Transvestiten keinen Führerschein besitzen dürfen. Haben sich russische Potentaten schon einmal eine Aufführung von Kirill Serebrennikow ange- schaut? Man kann sich gut vorstellen, dass der Leiter des Moskauer Gogol-Zentrums der russischen Politik wenig Freude macht. Das trifft sich gut, denn Nikolai Gogol, dem Autor der "toten Seelen", die Serebrennikow mit seiner Truppe nun in Wien zeigt, erging es 1842 nicht anders: Man unterstellte ihm, er stelle die russische Wirklichkeit zu schwarz dar.

Finstere Geschäfte

Dabei gibt es in dieser Groteske über Betrug und Geschäftemacherei viel zu lachen. Zugegebenermaßen handelt es sich dabei um eher schwarzen Humor. Denn der grotesken Handlung – ein Mann reist durchs Land und kauft die Seelen Toter – liegt eine wahre Geschichte zu Grunde: Leibeigene wurden früher in Russland von der staatlichen Verwaltung als "Seelen" geführt, auf die Steuern entrichtet werden mussten.

Diese Steuerregister wurden nur alle paar Jahre erneuert. So konnte es einem Großgrundbesitzer passieren, dass er für einen verstorbenen Leibeigenen noch jahrelang Steuern zahlen musste.

Verstorbene Leibeigene

Und das ist nun das Geschäftsmodell des Beamten Tschitschikow aus Gogols Roman "Die toten Seelen".

Handlungsreisender in Sachen Tod, kauft Tschitschikow die Namen verstorbener Leibeigener ein und überträgt diese "toten Seelen" in seine Geschäftsbücher, die ihn zu einem scheinbar wohlhabenden Mann machen.

Kirill Serebrennikow zeigt seine zeitlose Interpretation von Gogols Burleske bei den Wiener Festwochen als Premiere im deutschsprachigen Raum. Ein zehnköpfiges Männerensemble stellt auf einer Bühne, die als überdimensionale Holzkiste einem Sarg gleicht, die Impressionen dieser makaberen Einkaufsreise dar: Sie sind Bäuerinnen, Anzugträger, tobende Kinder und sogar Tiere. Mit erstaunlichem Körpereinsatz schlüpfen sie in immer wieder neue Rollen. Im Reich der matronenhaften Gutsbesitzerin Karobotschka sind sie alte Weiber, die den Seelenkäufer mit Spitzendeckchen verführen wollen, wenig später werden sie zur Meute kläffender Hunde; wer einem Putin-Double gleich mit nacktem Oberkörper über die Bühne stolzierte, ist kurz darauf Braut in weiß und fast jeder im Ensemble singt: Alexander Manotskow hat eindringliche Lieder nach Gogols "lyrischen Ausschweifungen" komponiert, die Blicke in die Seelen der Toten(ver-)käufer vermitteln. Und nicht nur das: "Russland, was willst du nur?", singt der Chor am Schluss.

Was dieses Ensemble leistet, ist herausragend. Doch auch dem Publikum wird einiger Einsatz abverlangt: Der Abend ist, obwohl mitreißend, mit zweieinhalb Stunden nicht zu kurz. Dennoch sehr, sehr sehenswert.

Info: Noch bis 23. 5. im Volkstheater; Russisch mit deutschen Übertiteln