Der neue Clemens J. Setz: Die Erde, ein Weibchen?
Von Barbara Beer
Bis zuletzt ist er von seiner „Majestät des Geistes“ überzeugt. Wegen derer ihm die meisten Menschen nicht folgen können und daher nicht begreifen, was doch augenfällig ist:
Wir leben nicht auf, sondern in einer Kugel.
„Monde vor der Landung“ heißt Clemens J. Setz’ Roman-Biografie über den Wormser Hohlwelt-Theoretiker und Schriftsteller Peter Bender (1883–1944).
Die Idee der innen hohlen Weltkugel reift im jungen Bender, als dieser Fliegerleutnant im Ersten Weltkrieg ist und sieht, wie sich der Horizont vor ihm zu wölben scheint. Als er nach einem Absturz seinen halben Kiefer verliert und invalid bleibt, verhärtet sich seine Theorie. Erfunden hat er sie freilich nicht, auch wenn ihm das zwischendurch so vorgekommen sein mag. Schon Jules Vernes schrieb über die innen hohle Welt und in den USA formulierte ein Mann namens Cyrus Reed Teed, der sich und seine Glaubensgemeinde später „Koresh“ nannte, die These neu. In Deutschland wurde die Hohlwelt-Idee in der Zwischenkriegszeit weitergetragen und auch heute noch hat dieses Weltbild Anhänger.
Irrenhaus! Märchenhaft!
„Alle großen Neuerungen der Menschheit waren von Außenseitern gekommen“, sagt Bender. Typisch Querdenker? Setz lässt uns am Leben dieses Alternative-Welten-Architekten teilhaben, macht sich aber weder mit seiner Sache gemein, noch lässt er ihn auflaufen. Bender, als Kind schon belesen und begabt, verliert irgendwann den Verstand. Und der Leser mit ihm: „Auf dem Passamt sahen alle Menschen aus wie aus dem Rübenacker gezogene Allraunen.“ Das Talent zum Querulanten hat Bender allerdings auch. Als man ihn wegen „Gotteslästerung und Verbreitung umtriebiger Geisteshaltung“ einsperren will, frohlockt er: „Sie drohen mir mit Irrenhaus! Ist das nicht märchenhaft?“
Von Georg Christoph Lichtenberg, Physiker in der Zeit der Aufklärung, ist der Satz überliefert: „Die Erde ist vielleicht ein Weibchen“. Wie meist in solchen Fällen, kann man nur darüber spekulieren, warum Setz dieses Zitat dem zweiten Teil seines Romans voranstellt. Möglicherweise eine Art Hommage, weil beide, Bender wie Lichtenberg, ziemliche hommes à femmes waren. Bender war zudem die sexuelle Erfüllung seiner Partnerinnen, durchaus ungewöhnlich (für diese Zeit), besonders wichtig, Setz beschreibt seine Praktiken.
Vielleicht ist das Zitat an dieser Stelle aber auch völlig ernst gemeint. Peter Bender wurde bis zuletzt von Frauen unterstützt. Seine letzte Geliebte Hedwig Michael werkte als Nachlassverwalterin seiner Theorien in den USA.
Vor allem aber war da Benders unerschütterliche Frau Charlotte, etwas manieriert als „Leitbache“ beschrieben. Charlotte Bender brachte die vierköpfige Familie mit Unterrichtsstunden durch, während ihr Mann Forschungen betrieb, an die sie zu glauben vorgab. Sie schrieb Gedichte namens „Mein Kampf um PETER“, bevor sie, Jüdin, 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. Ihr Mann starb in Mauthausen.