Kultur/Buch

Birgit Birnbacher: Träume sind nicht vorgesehen

Fortgehen von hier, das tun nur die Studierten. Zurück kommt keiner in diese Gegend, in der nur das Döner-Standl nach weiter Welt riecht. Arbeit gibt es in der Schokoladenfabrik, in der Aluminiumfabrik und im Unfallkrankenhaus. Nur Letzteres wird es immer geben, wegen der Nähe zu den Skigebieten. Dabei, sagt man hier, an diesem unbestimmten Ort, der überall in Österreich sein könnte, ist ein „sicherer Arbeitsplatz“ das einzige, das zählt. Arbeit bestimmt das Leben. Ein Arbeiter ohne Arbeit ist niemand.

„Wovon wir leben“ heißt der dritte Roman der Salzburger Schriftstellerin Birgit Birnbacher, die 2019 mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Inspiriert von den Thesen der Sozialpsychologin Marie Jahoda (1907–2001, „Die Arbeitslosen von Marienthal“) erzählt Birnbacher auch davon, wie existenzbestimmend Arbeit ist.

Julia lernt Krankenschwester und ergreift die erste Gelegenheit, um in die Stadt zu gehen. Der Vater, den sie in der Fabrik aus Einsparungsgründen frühpensioniert haben, beschäftigt sich mit Holzhacken. Die Mutter, die ihre Mädchenträume tief in sich begraben trägt, wäscht, kocht, bügelt. Der behinderte Bruder lebt im Heim. Jahrelang glaubt Julia, alldem entkommen zu sein. Ein Fehler im immer dichter werdenden Spitalsalltag und gesundheitliche Probleme kosten sie den Job. Sie geht zurück – nach Hause? Der Vater holt sie mit dem alten Suzuki ab, stellt zum Glück keine Fragen darüber, was die Tochter alles in der Stadt zurücklässt. Job, Wohnung, Liebhaber. Nur die Asthmaerkrankung und der Kamelhaarmantel, einzige Erinnerung an alles Städtische, kommen mit. Was erwartet er von ihr? Daheim riecht’s nach kaltem Rauch und Dosensuppe. Die Mutter ist weg. Julia soll Hausfrau und Pflegerin spielen, sich um die Ziege kümmern, die immer Scherereien macht, und dann am besten auch gleich um Vater und Bruder.

Die Zeit in Schlapfen

Birgit Birnbacher stellt auf wenigen Seiten viele wichtige Fragen. Vor allem: Wozu das alles? In diesem halb industriell, halb touristisch geprägten Ort gibt’s Fabrik, Wirtshaus und sonst nicht viel. Wer keine Arbeit mehr hat, für den steht die Zeit „in ihren Schlapfen vor den Hauseingängen“. Die landschaftlichen Schönheiten sind allein Besuchern zugänglich. Für die Einheimischen herrscht Tristesse. „Hier, vor den hölzernen Ställen des Bauern, sahen der Bruder und ich das Blut aus den Sauen rinnen.“ Klingt nach Franz Innerhofer, tatsächlich gibt Birnbacher dessen Anti-Heimatroman „Schöne Tage“ als Referenz an. So einfach ist die Sache dann aber auch nicht. Durch die Augen eines Fremden, „der Städter“ genannt, gewinnt die Anti-Idylle Sympathie. Ja, man kann freiwillig hier leben. Auch so etwas wie weibliche Selbstermächtigung ist möglich, wie Julias Mutter, zumindest vorübergehend, demonstriert. Birgit Birnbacher erzählt in ihrer behutsamen, eindringlichen Sprache enorm viel. Man spürt dieses Buch, man wird es sich lange merken.

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