„Ins Dunkle schwimmen“: Angewandte zeigt Fluchtwege aus dem Kreativitätszwang
Von Michael Huber
„Kreativität ist zur gesamtgesellschaftlichen Norm geworden“, sagt Cosima Rainer. Die Leiterin der Abteilung „Kunstsammlung und Archiv“ an der Wiener Universität für Angewandte Kunst verweist darauf, dass kaum ein Bewerbungsgespräch, kaum eine Selbstinszenierung in sozialen Medien, kaum eine Imagekampagne ohne den Verweis auf innovatives, unkonventionelles Denken und permanente Neuerfindung auskommt – Eigenschaften, die irgendwann das ureigene Metier von Künstlern und Künstlerinnen zu sein schienen.
Gerade jene, die sich über ihre schöpferische Leistung definieren, hadern aber auch oft damit: Muss man wirklich ein Leben lang für etwas „brennen“, damit dieses Leben als gelungen bezeichnet werden darf? Und woran zeigt sich überhaupt eine kreative Leistung?
Nicht nur Studierende an Kunstunis erhalten in der Schau „Ins Dunkle schwimmen. Abgründe des kreativen Imperativs“, die bis 1. Februar in den Schauräumen der Angewandten im Wiener Heiligenkreuzerhof zu sehen ist, viel Denkstoff zu diesen Fragen. Versammelte Rainer mit ihrem Co-Kurator Robert Müller doch Exponate, die oft Grenzbereiche dessen ausloten, was als „kreativ“ gilt.
Wann ist es ein „Werk“?
Sind etwa die durch Natureinflüsse rissig gewordenen Tonblöcke der Künstlerin Ursula Rossek schon ein „Werk“ oder nur die Vorstufe eines solchen? Welcher kreative Akt liegt den Gittern zugrunde, für die Josef Dabernig vorgefertigte Alu-Profile nach einem bestimmten System zusammenschraubte?
Ständige Wiederholungen eines Prozesses, wie sie auch die Künstlerin Hanne Darboven mithilfe von Tabellenaufzeichnungen praktizierte, fordern dazu Ideen einer schöpferisch „aus dem Inneren“ entstandenen Kunst heraus.
Die Schau führt dazu Beispiele der Verweigerung vor, etwa jene der Konzeptkünstlerin Lee Lozano, die sich mit einer Reihe von Aktionen 1969 sukzessive aus der Kunstwelt verabschiedete und dabei beschrieb, wie dieses System Grenzen zwischen Zugehörigen und Außenseitern etabliert. Und dann ist da Franz West, der das Herumflätzen, Knotzen und An-die-Decke starren selbst zum Teil seiner Kunst erhob, in der Folge aber auch eine Menge an greifbaren Objekten produzierte, die heute zu Topsellern am Kunstmarkt zählen.
Wests 1989 für die Venedig-Biennale geschaffene „Liège“ (der Akzent erhöht die Konfusion bzw. Bedeutungsvielfalt) wurde im Heiligenkreuzerhof neben einer Darboven-Tabelle und einem fluffigen Muppets-Tier des Künstlers Tonio Kröner platziert. Die Maskottchen stehen an mehreren Orten der Schau buchstäblich „daneben“ , verkörpern möglicherweise diejenigen, die auf den Einlass ins Kunstsystem warten.
Doch gibt es ein „Scheitern“ dort überhaupt – oder zerschellt der Einzelne vielleicht nur an willkürlichen Anforderungen? Gerade weil die Schau nicht leicht zu knacken ist, bietet sie sich als Nachdenkraum für solche Fragen an.