Kolumnen

Warum besuchen wir auf Reisen so viele Kirchen (und daheim nicht)?

Jüngst habe ich in einer sommerlichen Freundesrunde folgende These postuliert: Es besteht eine Diskrepanz zwischen dem Ausmaß, in dem sich Menschen daheim für Kirchen, deren Geschichte und Kunst interessieren – und der Intensität, in der sie das auf Reisen tun. Zu Hause gehen sie immer weniger in die Gotteshäuser, aber kaum in einer fremden Stadt, schwups im Dom.

Na mehr habe ich nicht gebraucht.

Freund R. erläuterte sogleich die Schönheit aller möglichen Kathedralen, Freundin E. sprang ihm zur Seite und warf wildentschlossen mit den Worten Fresko, Skulptur, Ornamente und Gemälde um sich und schlussendlich stimmte auch meine Partnerin A. in den (Engels-)Chor ein und bestand vehement auf der Vielseitigkeit von Kirchen. Da lächelte ich schief und murmelte ein „schauen alle gleich aus“ und wissen Sie was?

Mehr hab ich nicht gebraucht.

Weil alle drei enge Freunde sind, verzichtete man darauf, mich als Banausen zu titulieren, aber Sie alle kennen jenen Blick zwischen Mitleid und Grauen, wenn einer dich für einen Banausen hält.

Der volle Stephansdom

Dabei wundert es mich einfach nur schon lange: Kirchen (und übrigens auch die Feierstätten anderer Religionen) überdauern nicht nur die Zeiten, sondern auch die antireligiösen Moden, zumindest touristisch gesehen. Während die Messen oft nur schütter besucht sind, stehen an der Besucherkassa die Schlangen. Ich habe den Stephansdom noch nie so voll erlebt, wie zu Führungsbeginn am Abgang in die Katakomben oder beim Lift zur Pummerin. Jede Stadt führt unter den

Top 5 ihrer Sehenswürdigkeiten zumindest eine Kirche, da braucht sie gar nicht Rom zu sein. Und wenn man

ehrlich zu sich ist (und das ist in Kirchen ja wohl selbstverständlich), hat man sich selbst schon in irgendeiner Chiesa oder Iglesia San Irgendwer bei der Frage ertappt: Warum bin ich hier, warum lerne ich gerade, dass sie von 1216 bis 1324 gebaut wurde und: Wohin geh ich nachher Eis essen?

Das meine ich nicht böse, ich schwöre. Im Gegenteil. Es ringt mir Respekt ab.

Aber man sollte nie vergessen: Die tollen Kirchenfassaden sieht man oft am besten vom Café gegenüber.

axel.halbhuber@kurier.at