Kolumnen

Rabinowich geht essen: Nachbarschaft durch den Magen

Eine Freundin holte ihr Auto aus der Reparatur und verlangte nach freundschaftlichen Banden. Für die Nerven. Als Nichtautobesitzerin sind mir solche Leiden unbekannt, aber ich bemühe mich um Empathie, also kurvten wir sehr, sehr weit weg außerhalb meines üblichen Wirkungsradius und ich musste dort im Unbekannten auf sie warten, denn so intim war es auch wieder nicht zwischen uns, dass sie mich zu ihrem Mechaniker gelassen hätte. Das Lokal war zwar an Straßenbahngleisen gelegen, schaffte es aber dennoch, gewisses Urlaubsgefühl aufkommen zu lassen, auch wenn in der Hütteldorferstraße das Meer immer noch schmerzlich fehlt.

Die Karte bot türkische Klassiker wie Iskender Kebab und eine große Menge frischer Salate, eine sehr feine vegetarische Vorspeisenplatte mit gebackenen Zucchini, Melanzani, Cigara Börek und Hummus und ein günstiges Menü, das nicht dagegen abstank – faschierte Laibchen mit Reis. Zu meiner Freude gab es hier nicht nur Granatapfel-, sondern auch Maulbeersaft, was mich endgültig in Mittelmeer- Ferien katapultierte, vermutlich in diesem Jahr meine einzigen. Der Speiseplan entfaltete sich wie eine Matrjöschka, denn die Freundin ließ auf sich warten, ihr Tête-à-Tête zog sich offenbar. Also fraß ich mich wie eine große Raupe Nimmersatt weiter und weiter, einerseits aus Neugierdsnaserei, andererseits weil Schlemmen die Zeit vertreibt.

Einträchtig

Das Lokal war, was man sich unter „gemeinsam Wien“ vorstellt: Hier saßen Schulkinder, Pensionistinnen und Arbeiter auf Mittagspause: und zwar jeder Provenienz und Wurzel, sehr einträchtig unter einem Stoffdach. Auch der Betreiber oder Mitarbeiter des Sushiladens nebenan ging hier fremd und schlürfte türkischen Kaffee mit kleinen Stückchen Loukoum, was mich wieder an die Kännchen meines Vaters erinnerte, die er sich jeden Morgen in der Früh zu brauen pflegte – in einer Kupferkanne mit langem, gebogenem Griff und mit Tonnen von Zucker.

Aus lauter Nostalgie folgte ich seiner Bestellung und verbrühte mir aus Ungeduld die Lippen, ein guter Kaffee braucht Zeit, und wenn man konsequent schlürft, kann man die Zukunft im Sud lesen. Meine Zukunft hieß: Weiterwarten.

In der totzuschlagenden Zeit hörte ich Wiener Dialekt, Türkisch, Serbisch, eine weitere, mir unbekannte Sprache und beobachtete die Interaktionen, die allesamt sehr freundlich ausfielen, was auch an dem Charme des Personals liege könnte. Viele grüßten sich per Du, waren also offenbar Stammgäste. Das sind jene Momente, die mich an das Gemeinsame glauben lassen – und an den Spruch mit der Liebe und dem Magen. Er gilt offenbar auch für Nachbarschaftsfrieden.