Kolumnen

Paaradox: Irgendwas ist immer

Sie

„Mental Load“ heißt das jetzt, wenn von Alltagsüberlastung die Rede ist, auch in Paarbeziehungen: Kinder, Küche, Job, dreckige Socken. Das ändert sich im Laufe eines Lebens nur rudimentär, auch wenn sich der Berg schmutziger Fußwäsche bei uns naturgemäß reduziert hat. Aber die Kinder! Um die sorgt man sich ein Leben lang, obwohl sie schon groß sind. Erst unlängst, als der Papa die Tochter mit einer Lidentzündung angesteckt hat und ich erst dem Mann gegenüber Augentrost spendete, um wenig später mit Fräulein Oha, ich hab da was am Aug’, Mami! dasselbe zu tun. Der „Große“ weilt derweil beruflich in Kalifornien, da zucke ich bei jeder Tornadomeldung aus dem „Süden der USA“ nervös zusammen und schicke „Eh-alles-gut?“-Nachrichten, auf die ich neun sehr lange Stunden später ein lapidares Yep, super – wieso? bekomme. Dazwischen versuche ich die Gas- und Stromrechnung zu entschlüsseln, verrenke mir bei der Gartenarbeit das Kreuz und denke über das Leben vor dem Tod nach.

Weltbewegend

Vom Mann gegenüber trudelte hingegen dieser Tage eine Sprachnachricht ein, in der er mir seine drei weltbewegenden Fragen des Lebens stellte: 1. Was gibt’s am Ostermontag zu essen? 2. Wer gewinnt heuer wohl beim Eierpecken? 3. Wäre es für dich eh okay, wenn unser Osterspaziergang etwas kürzer ausfällt? Es wird vielleicht regnen. Und schon verdichtete sich mein Mental-Load-Status-quo zu einer Hirn-Gewitterwolke, die es dezent zu entladen galt. Meine Antworten fielen daher ein wenig harsch aus: 1. „Nix, außer du kochst.“ 2. „Ich, eh klar!“ 3. „Nein. Du bist ja nicht aus Zucker.“ Wenige Minuten später läutete das Handy, und ich vernahm die Stimme des leicht verstörten Hasen: Schatzi, ist was mit dir? Worauf ich nur meinte: „Irgendwas ist immer.“ Dann fand ein so genannter „konstruktiver Dialog“ statt, in dessen Rahmen wir uns auf gemeinsames Osterkochen und einen mittellangen Sonntagsspaziergang einigten. Sowie ein Remis beim Eierpecken.

Er

Das Tückische am Alltagsstress ist der Umstand, dass man mit ihm so alleine ist. Man arbeitet von früh bis spät japsend eine To-do-Liste ab, die gefühlt trotzdem nie kürzer wird, und beklagt gleichzeitig die Ungerechtigkeit, dass anderen Menschen die Zeit lediglich vor lauter Müßiggang verloren geht. In dieser Wahrnehmungsfalle sitzt meine Frau mitunter. Und berichtet mir beinahe trotzig von ihrem Dasein als Erledigungsderwisch. Meistens enden diese Zweck-Check-Schreck-Nachrichten dann mit den Worten: Und du so? Was verklausuliert nichts Anderes bedeutet als: Egal was, ich bin sicher ärmer. Weil ich aber für meine überbordende Empathie bekannt bin, verzichte ich auf die Antwort: „Geht halbwegs. Mich stresst  halt, dass sonntags Liverpool – Arsenal parallel zum Golf-Masters läuft, was soll ich da  schauen?“

Adrenalin

Stattdessen formuliere ich philosophische Anteilnahme („Tja, so ist das Leben“) und überlege mir dreimal, ob ich mein Leid, diesfalls eine Augenentzündung, klagen soll … oder vielleicht doch lieber einen subtilen Wettbewerb ausrufen. Was erzeugt mehr Seelendruck? Rechnungen studieren, Termine koordinieren, Blumenerde organisieren? Oder unzählige Wochenendstunden als Beifahrer der geliebten Tochter verbringen – um in einer Art Ampelkoalition sicher zu gehen, dass sie sich bei der Führerscheinprüfung als Meisterin von Kupplungsspiel und Pendelblick präsentiert? Ich habe allerdings gelernt, dass Adrenalin-Vergleiche von gnä Kuhn eher gereizt vernommen genommen werden. Daher wollte ich nur mit einem Hauch von Keckheit die diesjährigen familiären Osterpläne synchronisieren. Nicht ahnend, dass sie sich gerade in einer Alles-ein-Wahnsinn-Phase befindet und sich am Sonntag am liebsten selbst verstecken möchte. Wir fanden dann aber doch noch zum gemeinsamen Frohsinn zurück. Und wünschen daher allen Leserinnen und Lesern im Sinne von Friede, Freude, Eiersuchen schöne Ostern!  

michael.hufnagl / facebook.com/michael.hufnagl9