Kolumnen

Johannas Fest: Gut ist, was rar ist

Neulich, es war in der Zeit zwischen moderatem und verschärftem Lockdown, begehrte mein Mann Wildbret. Bei der Inspektion unserer Tiefkühltruhe musste ich feststellen, dass keine der gelagerten Delikatessen klein genug dosiert war, um von nur zwei Essern verputzt zu werden. Wir luden die mit 92 Jahren älteste Verwandte meines Mannes samt ihrer Lieblingsbetreuerin ein. Beide waren sehr charmante Gäste, die, von der Selleriecremesuppe mit Parmesan und einem Schuss Trüffelöl, über das Rehfilet mit Kürbis, Kohlsprosserln und Serviettenknödeln bis zum hausgemachten Apfelstrudel, alles in höchsten Tönen lobten.

„Den Rehrücken machte meine Schwiegermutter so perfekt, dass ich mich selbst nie drüber getraut habe“, erzählte die betagte Dame. „Aber Du bist ja eine ausgezeichnete Köchin!“, schmeichelte sie. Ich wehrte verlegen ab und führte die Schmackhaftigkeit des Hauptgangs ausschließlich auf die erlesene Qualität des grazilen Paarhufers, einem Gastgeschenk unserer jagenden Freunde Erna und Albert, zurück.

Auch mein Göttergatte, der sich in Fällen unverdienter Lobeshymnen auf meine Kochkünste immer wieder als Wahrheitsfanatiker betätigen muss, relativierte: „Na, wenn ich an den Steinbock denke, den Du vergangenes Jahr gebraten hast ...“

„Oh Gott nein, bitte nicht daran erinnern!“, flehte ich. Tatsächlich war das Fleisch des Gehörnträgers hart wie eine Ledersohle. Es muss gute Gründe dafür geben, dass er sich fast nie auf den Speisekarten selbst hochalpiner Haubenlokale findet. Weil ich weder im Internet noch in einem meiner zahlreichen Kochbücher ein Rezept für Steinbock fand, habe ich vor dessen Zubereitung mehrere Sterneköche angerufen und um Tipps gebeten. Tipps, die mir übrigens mangels eigener Erfahrung keiner geben konnte. Was ich letztlich zu Tisch brachte, war tatsächlich die reinste Niederlage.

Prestige-Speise

„Den nächsten Steinbock bereiten wir ,Sous vide‘ zu“, postulierte der Göttergatte. „Ganz sicher nicht. Mir kommt keiner mehr ins Haus!“, zeigte ich mich absolut kompromisslos. Für den Fall, dass unser Freund Maximilian nochmals ein solches Danaer- Geschenk mitbringen würde, drohte ich mit sofortiger Umverteilung. – Das saß!

Der Gespons hat nämlich ein ausgeprägtes Faible für Raritäten. Obwohl er gemeinhin zu den großzügigen Hedonisten unter den Zeitgenossen zählt, wacht der Feinspitz eifersüchtigst über seine kulinarischen Schätze in unserer vollen Tiefkühl- truhe. Auch wenn wir von einer drohenden Hungersnot weit entfernt sind, gilt sein striktes Veto für die Weitergabe von Gams, Reh, Mufflon und & Co, allesamt selbst erlegte Gastgeschenke von Freunden.

Ob das was mit Prestige zu tun hat? In früheren Jahrhunderten war der Genuss von Wild schließlich ein Privileg des Adels. Nur Aristokraten durften jagen und selbst reiche Bauern kamen nicht in den Genuss von Wildbret. Das Prestige und der Preis von Lebensmitteln hingen zu allen Zeiten nicht bloß von deren Wohlgeschmack ab, sondern auch maßgeblich von deren Seltenheitswert.

2020 diagnostizieren Marktbeobachter ein Überan- gebot aus der „Speisekammer Wald“: Erlegt wird nicht nach Bestellungslage, sondern nach Abschussplan. Weil die Gastronomie-Umsätze massiv eingebrochen sind, bieten nun immer mehr Jäger ihre Beute über Internet-Plattformen direkt den Endverbrauchern an. „Die Zeichen der Zeit stehen heuer auf ,fürstliche Speisen zu christlichen Preisen‘“, so der Befund von Insidern.