Johannas Fest: Die grünen Revolutionäre
Von Johanna Zugmann
„Unser gegenwärtiges Ernährungssystem ist in vielerlei Hinsicht einfach nicht nachhaltig“, konstatierte Daniel Humm Anfang Mai in der renommierten New York Times. In der City, die niemals schläft, ist er gefeierter Chef des angesagten „Eleven Madison Park“, das zu den fünfzig besten Fine-Dining-Restaurants der Welt zählt. Vergangenen Sommer hat sich der Schweizer Dreisternekoch selbst versprochen, im Falle einer Wiedereröffnung nach dem Lockdown im März 2020 keinen Kaviar mehr einzufliegen. Rein pflanzenbasierte Kreationen sollte es ab Juni 2021 in der Prestige-Institution geben, die unter anderem für ihre Spanferkelgerichte, Gänseleber, Seeigel und mit Lavendel glasierte Enten berühmt wurde.
Humm ist nur einer der grünen Revolutionäre. Unter der Devise „Back to the Roots“ bietet zum Beispiel Sebastian Rösch im Zürcher Nobellokal „Mesa“ ein vegetarisches 7-Gänge-Menü um
160 Schweizer Franken (147 Euro) an. Der finanzielle Anreiz, dieses zu wählen, ist nur klein: Feinschmecker, die „so richtig“ essen wollen, bestellen die traditionelle Chef’s Choice. Da kommen dann Fisch, Geflügel und Rind in 7 Gängen für 190 Franken (174 Euro) auf die Teller. Den Gästen steht es allerdings frei, einzelne Gänge aus den beiden Menüs zu tauschen.
Vegan-Trend
Fleisch war Jahrhunderte hindurch rar, edel und teuer und damit privilegierten Schichten vorbehalten. Erst in den 1970er-Jahren wurde aus der traditionellen Festtags- eine Alltagsspeise. „Inzwischen ist Fleisch so günstig, dass es – mit Blick auf die Haltungs- und die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie – schon fast unappetitlich ist“, urteilt die Ernährungswissenschafterin und Food- Report-Autorin Hanni Rützler. Die vegetarische und später auch die vegane Bewegung sieht die österreichische Trendforscherin als eine Reaktion auf diesen Überfluss an billigem, ethisch, ökologisch und gesundheitlich problematischem Fleisch.
Die vor Kurzem ausgebrochene Debatte zwischen unserem Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger um Tierwohl versus Bauernwohl ist ein weiterer Anstoß, unser Essen neu zu denken.
Der Markt und die Konsumenten seien nicht bereit, für mehr Tierwohl die entsprechend höheren Fleischpreise zu bezahlen, argumentiert der Bauernvertreter.
– Die Frage ist, ob hier nicht das Angebot die Nachfrage steuert. Und ob uns das Dienstags- und Freitags-Schnitzel zum Schleuderpreis wirklich noch schmecken kann, angesichts des Tierleids, der Tiertransporte, Schlachtungen und der Qualzucht.
– Haubenköche sind Trendsetter und nicht zuletzt über das Wirtshaus findet so manche Produkt- innovation Einzug in die privaten Haushalte. Die sensorische Erfahrung der Humm’schen Küche ist wohl ein Minderheitenprogramm: 335 US-Dollar (276 Euro) nimmt der Kochlöffelvirtuose für seine acht bis zehn Gänge und deren Weinbegleitung kostet weitere 175 US-Dollar (144 Euro). Trotzdem waren sämtliche Plätze schon neun Minuten nach der Öffnung des Reservationssystems bis Ende Juli ausgebucht.
Allerdings genießt jeder Gast auch für einen guten Zweck: Mit einem EMP-Menü finanziert die Klientel fünf Essen für bedürftige New Yorker. „Das ist ein zentraler Punkt für unsere Arbeit und die Art, wie wir über Essen nachdenken“, betont der 45-jährige Patron – Charity in Eleven-Madison- Park-Style eben. Für die Reichen und Schönen, die dort dinieren, der „added value“ nicht nur umweltbewusst und Planet-erhaltend gegessen, sondern auch Minderprivilegierte unterstützt zu haben.