Kolumnen

Johannas Fest: Äquinoktium mit Knalleffekt

Zwei meiner guten Freunde, der Zürcher Erich und der Wiener Georg, sind Architekten. Neben verschiedensten Interessen und Vorlieben haben wir alle drei eines gemeinsam: Unsere Herbstdepression beginnt mit der Sonnenwende am 21. Juni, wenn die Tage wieder kürzer werden. Umso mehr Grund zum Feiern ist für uns daher das Frühlings- Äquinoktium, die Tagundnachtgleiche. Vor zwei Jahren besuchte ich um diese Zeit meinen Freund Erich in Zürich. Er kennt mein Faible für urige eidgenössische Traditionen und begleitete mich zu einem der beeindruckendsten Feste: Das Sechseläuten. – Seit dem Jahr 1525 verkündet nach der Tagundnachtgleiche Ende März die zweitgrößte Glocke des Grossmünsters um 18 Uhr den für das Sommerhalbjahr gültigen Arbeitsschluss (im Winterhalbjahr war er um 17 Uhr).

Beim Frühlingsfest „Sechseläuten“ ziehen 3.500 Zunftangehörige in kunterbunten historischen Kostümen zu Fuß, hoch zu Ross oder im Sattel eines Belle-Epoque-Velos durch die Stadt; fröhlich lautstark begleitet von Musikkapellen. Die Route der Zünfter, die als politische, militärische, soziale und gewerbliche Institutionen über 450 Jahre die Geschicke der pittoresken Limmatmetropole gelenkt und bestimmt haben, führt über die Bahnhofstraße und das Limmatquai zum Sechseläutenplatz vor dem Opernhaus. Mehr als 100.000 Menschen feiern dort für gewöhnlich den Abschied vom Winter.

Um Punkt 18 Uhr wird der auf einem zehn Meter hohen Scheiterhaufen thronende, über drei Meter große Böögg, eine Art Schneemann, gefüllt mit Sprengkörpern, angezündet. Die Bööggenverbrennung ist seit 1892 fester Bestandteil der Zeremonie. Wenn sein Kopf schnell explodiert, soll ein strahlender Sommer bevorstehen.

„Schöns Sächsilüüte“ wünschen sich die Zuseher an diesem halben Feiertag; neben Uhren, Turbinen und pünktlichen Zügen auch eine der vielen Schweizer Präzisionsspezialitäten, dass ein Feiertag exakt um 14 Uhr beginnt. Die Gäste des Traditionsspektakels packen mobile Griller samt Würstchen und Spießen hervor und erhaschen ein Stück Glut vom Scheiterhaufen.

Explosive Post

Bis in die frühen Morgenstunden wird in dem Dorado für Genuss-Kosmopoliten noch „zünftig“ gegessen, getrunken und musiziert. Statt auf Lagerfeuerromantik setzte Erich auf Kulinarik und Kunst und führte mich in das legendäre Restaurant Kronenhalle aus, wo wir uns an „Zürcher Geschnetzeltem“ delektierten.

Pandemiebedingt fällt die Zeremonie rund um den Böögg heuer – wie auch schon 2020 – aus. Im Vorjahr brachte mir der Postbote Ende März ein riesiges Paket mit einem aufgeklebten roten Kreuz. Es war ein Care-Paket von Erich für das ganz private Sechseläuten. Der Karton enthielt einen Scheiterhaufen, einen 34 Zentimeter hohen Böögg mit Besen und Hut, sowie zwei Lady-Kracher. Wir brachten den Bausatz zu unserem Freund Georg, der gerade dabei war, sein Hausboot an der Donau zu reparieren; erstens, weil er ein versierter Bastler ist und zweitens, weil wir dachten, dass nicht nur er, sondern auch seine drei Kinder Spaß daran haben würden, dem Winter auf Schweizer Art den Garaus zu machen.

Am Kiesstrand zelebrierten wir den finalen Knall, samt anschließender Grillage mit Würstchen. Statt Glockengeläute orchestrierte Georgs Nachwuchs mit Kochtöpfen und -löffeln einen Trommelwirbel. Feste kann man zwar derzeit nicht feiern, wie sie fallen, aber man kann sie modifizieren. Trotz Schmalspurvariante und Tatortwechsel von der Limmat an die blaue Donau war es ein „Schöns Sächsilüüte“!