Der sprechende Busch
Von Birgit Braunrath
Es soll Menschen geben, die durchdrehen, wenn sich ihr Handy nicht mit dem Kopfhörer verbindet. Weil ihnen nur Dauerbeschallung Ruhe verschafft. Ich hingegen drehe durch, wenn mir die Ruhe fehlt. Also gehen Daria und ich – beide ohne Kopfhörer – täglich in den Wald oder rennen über Wiesen und durch Weingärten und können uns dabei kaum satthören an der Stille. Die ist laut genug: Grashalme pfeifen, Weinlaub raschelt, Äste flüstern.
Unlängst aber sprach ein Busch zu uns, ziemlich laut, ziemlich Wienerisch, mit Frauenstimme. Es war kein brennender Dornbusch, nur eine gewöhnliche Wienerwaldstaude. Der Busch sagte: „Des woa sooo winzig!“ In dem Moment kam eine Frau mit Regenschirm zum Vorschein. Das erklärte zwar, zu wem die beiden leinenlosen Hunde gehörten, die uns entgegenkamen. Es erklärte aber nicht, was die Frau von mir wollte. Bei näherem Hinsehen bemerkte ich, dass sie mit ihrem Schirm unterm Busch golfschlägerartige Bewegungen ausführte und dabei mit der Schirmspitze Hundebemmerln durch die Luft schleuderte.
„I siech, Sie red’n nix ... “
In meinem Kopf, der so schön leer wird in der Ruhe des Waldes, begann es zu rattern: Was meint die Frau mit „Des woa sooo winzig“? Will sie mich informieren, dass die Stoffwechselmenge ihres Hundes heute gering ist? Will sie, dass ich hinter den Busch krieche und mich vergewissere? Will sie ihre Treffsicherheit mit der Schirmspitze betonen? Oder meint sie gar nicht mich und will ihrem Hund sagen: „Streng dich an, da geht mehr!“
Ich entschied mich für Variante 4 und ging weiter. Die Frau rief mir nach: „I siech, Sie red’n nix ... “ Ratlos, sprachlos, irgendwie schuldbewusst, suchte ich bei ihr Rat: „Worüber sollte ich reden?“ Darauf die Frau: „Na dass Sie unter jed’n Busch krax’ln, damit Sie no des winzigste Würschtl aufklauben!“ Ich schüttelte den Kopf: „Sicher nicht mitten im Wald. Wie kommen Sie darauf?“
„Na weil Sie so schauen“, sagte sie. Ich sagte nichts. Die Frau schien Gefallen an unserer Unterhaltung zu finden. Ehe wir den Weg gemeinsam fortsetzen konnten, bog ich einfach ab, ohne Abzweigung, irgendwo in den Wald hinein. Sie schaute fragend. Zum Abschied rief ich ihr zu: „Ich muss da noch was wegräumen!“ – Ab jetzt trage ich im Wald meine Kopfhörer. Und zwar ohne Ton.