Tipps fürs Anti-Aging? Ein salonfähiges Body-Shaming
Von Diana Dauer
"Du hast Falten unter den Augen, du musst Augencreme benutzen", sagt mir eine gleich alte blutsverwandte Person mit strafferer Haut schon seitdem wir 18 Jahre alt sind. Der Beisatz: "Sei nicht beleidigt, das ist, weil du so delikate Haut hast", macht die Aussage nur scheinbar milder.
In den letzten 12 Jahren wurde die Zahl der Aussagen zum Zustand meiner Visage vielfältiger, aber auch die Anzahl der RatgeberInnen mehr.
Jetzt höre ich: "Du musst dir einen Gua Sha Stein kaufen und dein Gesicht zweimal täglich damit massieren. Damit könntest deine Kinnpartie straffen, deine Fältchen glätten, die geschwollenen Tränensäcke lindern. Du brauchst unbedingt einen Colour Corrector, um die blauen Schatten unter den Augen zu kaschieren. Weißt du, dass du mit Niacinamid-Serum einen ebenmäßigeren Teint bekommen kannst? Du bist blass. Wenn du Rouge benutzt, siehst du frischer aus. Du musst morgens Face-Yoga ausprobieren, da musst du nur den Stiel eines Löffels zwischen deinen Lippen halten und damit kreisen."
Wenn du dich liebst, bist du faltenfrei
Schlicht: Du muss viel Zeit und viel Geld investieren, damit du jünger aussiehst, als du bist. Verpackt wird das Ganze wirkungsvoll als Selfcare - also eine Art Akt der Selbstliebe, während es wohl tatsächlich nur den Male Gaze befriedigt à la: Schau zumindest im Gesicht aus, als könntest du noch viele Jahre viele meiner Babys austragen.
Von wem kommen die verschwesternden Tipps? Entweder von angeblich 40-jährigen Frauen in den sozialen Netzen, die in Wirklichkeit wahrscheinlich eher 21 Jahre alt oder KI-generiert sind - natürlich vergleiche ich mich mit ihnen und frage mich unbewusst und bevor ich mich selbst ermahnen kann: "Mist. Wieso schaue ich nicht so straff und jung aus wie die Frau auf meinem Handy-Bildschirm, obwohl sie zehn Jahre älter ist als ich?".
Oder von echten Menschen in meinem Umfeld, die wirklich meinen, mir Gutes zu tun, wenn sie meine Morgenroutine erweitern.
Und was mache ich? Ich erweitere besagte Morgenroutine. Kokosöl - Gua Sha - Niacinamid - Sonnencreme - Colour-Corrector.
Wozu? Damit niemand sieht, dass ich schlecht schlafe, dass ich Sorgen habe, dass ich gestresst bin, dass ich schon viel Spaß hatte - und am schlimmsten: Dass ich 30 und nicht mehr 21 Jahre alt bin.
Schließlich ist es unausgesprochene Regel: Einer Frau darf man nie ansehen, dass nicht alles super toll ist. "Lächle doch mal, schlaf mehr, trink mehr Wasser", sind da nur die banalsten Anweisungen des Umfelds, wenn ich nicht strahlend durch die Korridore stolziere - der Grad meiner Straffheit ist da noch nicht einmal observiert.
Und tatsächlich sehe ich, was die RatgeberInnen meinen. Ich sehe plötzlich die Fältchen, ich sehe die Tränensäcke, die Schatten, die Unebenheit, die Schlaffheit. Und ich kann sie nicht mehr ungesehen machen. Die Reflexion meines Spiegelbildes in der Früh packt noch mehr Punkte auf meine To-Do-Liste.
"Seit wann bist du so eitel?", hat mich neulich ein enger Freund gefragt, nachdem ich ihm seine Brille weggenommen habe, um in der Reflexion zu prüfen, ob der Concealer verwischt ist und die Fältchen unter meinen Augen betont statt überdeckt werden.
Klopf dich in den Komplex
Und was bewirkt die neue Auseinandersetzung mit "mir"? Ich klopfe, streiche, massiere, schmiere, sprühe und kann zu meiner Liste an Komplexen und Unsicherheiten plötzlich auch mein Gesicht zählen.
Den Teil meines Körpers, den ich Zeit meiner Jugend ignoriert, wenn nicht sogar vernachlässigt habe. Meine Pflege bestand aus Wasser. Geschminkt habe ich mich nur selten bis gar nicht. Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich mich oft tagelang nicht einmal im Spiegel angesehen. Wieso auch? Ich hatte die Hautkomplexität der Jugend. Das reicht.
So sehr ich mich dagegen wehre, ich bin beeinflussbar. Ich vergleiche mich. Ich lasse mich vom publizierten Schönheitsideal nicht nur unter Druck setzen, sondern jagen. Und statt mit dem Alter gefestigter in meinem Selbstwert zu werden, produziert die Bewerbung oder eher Warnung vor alternder Haut eine fast jugendliche Verunsicherung in meinem 30-jährigen Gehirn.
Schön ist, wer jung aussieht?
Die unterschiedlichsten Säuren und Seren in kleinen Glasfläschen mit den winzigen Pipetten hat etwas von Selbstmedikation. Wir - ich auch - pervertieren die Selbstpflege (interessanter Begriff dafür im Übrigen: Ging es da nicht mal um mentale und körperliche Gesundheit und Wohlbefinden) , die Frage ist nur, für wen?
Cui bono vom optischen Selbsthass? Kleiner Hinweis: Der Anti-Aging-Markt hatte 2022 schon einen Wert von rund 43 Milliarden US-Dollar. Bis 2029 soll er bis auf rund 68 Milliarden Dollar anwachsen. Auch die Zielgruppe hat sich auf deutlich jüngere NutzerInnen ausgeweitet. Naja, wer jung bleiben will, …
Ich kenne all diese Zahlen und Marktmechanismen - ich will aber natürlich trotzdem jugendliches Aussehen, junge, frische, straffe Haut. Aber mein Alltag passt da nicht ganz dazu. Stress, schlechter Schlaf, Sorgen sind nicht gut für die Maske der Jugend, genau wie Rauchen (dieses Laster habe ich kürzlich abgelegt), Feiern und (Achtung!) das Alter.
Steile These: Das (für mich) relativ neue Shaming der Gesichtshaut ist zum salonfähigen Body-Shaming von heute im Namen der Verschwesterung geworden. Die wenigsten trauen sich laut, meine Figur zu bekritteln oder Tipps zu geben, was ich gegen die Cellulite an den Oberschenkeln tun könnte. Was ich aber gegen meine Falten und Augenringe tun soll, gilt als Akt der Nächstenliebe.
Ist das ein Dauerzustand? Ich hoffe nicht.
"Dauerzustand" ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älter werden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus. Jedes Wochenende auf Kurier.at