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Wonach riecht V oder 37? Mut von Verletzten

„Der Buchstabe V reicht nach Tortenecken und die Zahl 37 riecht nach Rucksack...“ Mit seinem Text „Mir geht es gut“ in dem er Buchstaben und Zahlen mit Gerüchen verbindet, gewann Markus Baumgartner in diesem Jahr einen der drei „Ohrenschmaus“-Hauptpreise. Das denkt er sich nicht aus. Das empfindet er so. Manchmal auch anders. Ein und dieselbe Zahl kann auch unterschiedlich für ihn riechen. Und er kann sozusagen den 100-jährigen Kalender auswendig. Du sagst ihm ein Datum und er sagt dir den Wochentag.

Zum 12. Mal wurden diese Literaturpreise - für Menschen mit vormals Lernbehinderung, nunmehr „Schreibtalent“ - vergeben. Am internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, dem 3. Dezember, wurden die Autorinnen und Autoren der besten in diesem Jahr 325 eingereichten Texte in der Ovalhalle des Wiener MuseumsQuartiers ausgezeichnet.

Markus Baumgartner bringt uns auf verblüffend einfache Art und Weise durch die Verknüpfung von Zahlen, Buchstaben, Gerüchen zu den Alltagsgegenständen eine andere Wahrnehmungs- und Weltsicht bei, die wahrscheinlich lange hängenbleibt und uns vielleicht vieles verstehen und anders sehen lässt!“, würdigte die Autorin Eva Jancak als Jurymitglied diesen Preistext und seinen Autor.

36 Fotos von den Preisverleihungen

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Ihr braucht mehr Mut als andere

Diese Autor_innen brauchen besonders viel Mut, meinte der Schirmherr des Bewerbs, der bekannte Autor Felix Mitterer in seiner Lobrede (Laudatio) auf einen weiteren Hauptpreisträger, den Tiroler Mustafa Akmaz. „Ihr seid mutiger als viele da draußen“, so Mitterer über diesen kurzen, prägnanten Text „mut“. Der Autor verknüpfte dieses Wort mit unterschiedlichen Tieren, jeweils klein geschrieben, nur zum Schluss griff er bei „LÖWEN-MUT“ ausschließlich zu Großbuchstaben.

Verletzt - berührt

Besonders berührend war die Laudatio von Heinz Janisch für einen weiteren Hauptpreisträger, Hans-Martin Hiltner, der – aufgeschrieben von seiner Schwester Beate Hennenberg – erlittene und erleidende Verletzungen von seiner Geburt an bis heute eindringlich beschreibt. Und da sind die körperlichen noch das Geringste. Besonders krass die Häme, die er in seiner Kindheit mit seiner Schwester bei einer Schulveranstaltung erlebten und die „Tabletten-Müdigkeit“, die er erleidet, weil er in der Einrichtung in der er lebt, mit Medikamenten offenbar sediert wird.

31 Fotos von den Lesungen, dem Auftritt des inklusiven Ensembles "Ohrenklang"

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Schoko-Text

Wie jedes Jahr wird ein Preis an jemanden für einen Kurztext vergeben, der dann auf die Banderole einer eigens dafür „komponierten“ Doppelschokolade aus der Manufaktur Zotter gedruckt wird. Die Schokolade wird übrigens traditionell vom Erfinder des Bewerbs, Franz-Joseph Huainigg angebissen, der ankündigte, dass im kommenden Jahr ein Ohrenschmaus-Literaturcafé Am Badeschiff am Wiener Donaukanal starten wird.

„Mit leerem Magen
empfinde ich ein Unbehagen,
nichts kann ich vollbringen,
nicht mal eine Kleinigkeit,
ganz zu träumen von alltäglichen Dingen,
ich brauche eine genüssliche Zeit.“

Sebastian Zipser, der Autor dieses Gedichtes reiste aus Dresden an, wo er in einer Einrichtung lebt und Werkstätten arbeitet. „Damit wir nicht vertrotteln, fordern wir uns, schreiben Texte und reden darüber“, erzählt er bei der Preisverleihung. Einmal wöchentlich kommen Menschen aus Behinderten-Werkstätten zusammen, um an Texten zu arbeiten. „kaffeepause“ nennen sie dieses ihr Projekt, an dem bis zu 200 Leute mitarbeiten, so Zipser.

43 weitere Fotos vom "Ohrenschmaus" 2018

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Stipendium

Vergeben wurde – mittlerweile zum zweiten Mal – ein Ohrenschmaus-„Stipendium“, bei dem die auserkorene Person von einem der Autor_innen aus der Jury begleitet wird. Viktor Noworski wurde auserkoren, sein Mentor wird Felix Mitterer sein.

Ehrenliste

Neben den vier genannten Preisen werden jährlich weitere Autorinnen und Autoren für Top-Texte ausgezeichnet, heuer schafften es zehn auf diese Ehrenliste, eigentlich mehr, weil einer der Texte von einer kleinen Gruppe stammt - „Logos“ genannt.

Es sind zwar alle Texte auf der Homepage des Literaturpreises zu finden, aber einer sei hier in einem eigenen Abschnitt ganz veröffentlicht: Jener von Cornelia Pfeiffer „Mein Alltag mit schwerer und leichter Sprache“.

Übrigens: Demnächst erscheint auch ein Bericht samt zwei Kurz-Interviews mit Preisträgern aus der Inklusiven Lehrredaktion beim KURIER:
https://kurier.at/einfache-sprache/ohrenschmaus-preisverleihung/400344013

Homepage des Literaturpreises für Menschen mit Schreibtalent: www.ohrenschmaus.net

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