Weltoffenheit gegen neue Mächte
Von Heinz Wagner
Knapp eine Minute geht die Protagonistin des Kurzfilms mit einem High-Tech-Brett vor dem Kopf durch die Gegend. Sie sieht die Gegend und Realtität auf dem – mittels einer selbst gebastelten Vorrichtung vor die Augen gespannten Smartphone. Rechts oben eingeblendet der Ladezustand des Akkus. Als sich der in den roten Bereich neigt, nimmt die Darstellerin das Handy von den Augen – und befreit lächelt sie angesichts des nun ganz realen 3D-Blicks auf die dreidimensionale Welt um sich herum ;) „Verpasste Realität“ von Paula und Samuel Ellmauer und Christoph Poiss ist einer der Kurzfilme, die sich bei den 22. Video- und Filmtagen im Cinemagic, dem Kinder- und Jugendkino in der Wiener Urania, mit Medien kritisch auseinandersetzen. Aber nicht nur diese Filme passen voll zur Woche der Medienkompetenz, die seit dem Vorjahr Mitte Oktober Veranstaltungen zu diesem Thema bündeln. Diese Veranstaltungsreihe (14. bis 22. Oktober 2018) holt vorwiegend Projekte vor den Vorhang, in denen Kinder und Jugendliche ihren kompetenten Umgang mit Medien unter Beweis stellen. Im Filmbereich bieten die Video- und Filmtage diese Möglichkeit bereits seit 1991.
Ideen und Inhalte
Aljoscha Covi-Frimel und Julius Hofer inszenieren in ihrem 11-minütigen Spielfilm „How to make a movie“ phasenweise recht witzig das Sammeln von Ausrüstung und Ausstattung für einen Film bis sie gegen Ende „draufkommen“, dass ihnen das Allerwichtigste fehlt, eine Idee. Auf witzige Weise nehmen sie damit so manch inhaltsleeres Medienprodukt aufs Korn.
Unter Ideenmangel leidet keines der fast fünf Dutzend bei den Video- und Filmtagen gezeigten Werke. Auch technisch sind die allermeisten von Jahr zu Jahr ausgereifter, die Live-Jury im Kino hat fast nur mehr die eine oder andere Kleinigkeit kritisch anzumerken – ein zu schnell ablaufender oder gar ein fehlender Abspann für die Credits, das eine oder andere Mal der nicht immer ganz deutlich zu verstehende Ton ...
Gesellschaftspolitisch wichtige Themen spielten immer eine Rolle beim Kurzfilm des jungen und jüngsten Films, so groß war die Dichte an solchen Beiträgen vielleicht noch nie.
Nachhaltigkeit
Einem der wohl wichtigsten Themen, dem Umgang mit Natur und Umwelt näherte sich Anna Bartucz aus dem mittelungarischen Ceglédbercel in „Ökologischer Fußbadruck“ an. Ein kräftiger Tritt mit einem Bergschuh in die Wiese hinterlässt ein Loch im Grün. Nach und nach füllt die 14-Jährige dieses mit Rasenstückchen – immer dann wenn sie nachhaltig handelt. Statt in Plastik verpackten Käse zu kaufen, bereitet sie aus Milch selber welchen zu, bäckt Brot usw.
Disziplinierung statt Freude am Lernen
Lustvolles und stark eigenbestimmtes Lernen optisch ausgedrückt durch buntes Treiben im Klassenzimmer wird von tristen schwarz-weißen Bildern abgelöst. Statt Freude am Lernen geht’s nun um Disziplinierung samt Spitzelwesen gegen aufmüpfige Schülerinnen und Schüler. Wer nicht spurt, fliegt raus, wird abgeschoben... „Über Nacht – eine neue Macht“ erinnert teilweise an „Die Welle“, ohne dass allerdings die meisten so freudig an der Unterordnung mitmachen wie in den auf Morton Rhues Roman basierenden Verfilmungen. Und der knapp mehr als 1/4-stündige Film der 10- bis 14-jährigen Jugendlichen des Schulkollektivs im Wiener Werkstätten- und Kulturhaus (WuK) hat viele Anklänge an die aktuelle politische Entwicklung. Dabei handelt es sich um eine alternative Schule mit wie auch schon der Name ausdrückt mit sehr viel Mit- und Selbstbestimmung.
Der Wandel erfolgt hier im Film nach dem Wahlsieg einer NLP, einer Neuen LeistungsPartei. Adjoa, Dario, Darius, Felix, Immanuel, Jonas, Julie, Konstantin, Laurin, Levin, Luis, Magdalena, Maia, Malies, Niklas, Paula, Simon und Tobias – unterstützt von Lehrer Simon – hatten im vorigen Schuljahr rund um die Nationalratswahl diskutiert, Ideen gesammelt, die Geschichte entwickelt, immer wieder Neues dazu eingebracht und schließlich zu drehen begonnen. Jene, die sich nicht so gern filmen lassen wollten, übernahmen die Jobs hinter der Kamera.
Dieser starke politische Film ist keine Ausnahme bei den diesjährigen, den 22., Video- und Filmtagen im Cinemagic, dem Kinder- und Jugendkino in der Wiener Urania. Keine absolute Neuigkeit, aber so geballt wie in diesem Jahr äußersten sich selten Kinde rund Jugendliche gesellschaftspolitisch in ihren Filmen – und das in unterschiedlichster Art. Etliche davon drehen sich – das taten einige schon in den vergangenen Jahren – rund um den Umgang mit „Fremden“.
Fußball verbindet
Die beiden 15-Jährigen Tizian Bauer und Matthias Schnait wählten für „Weltoffenheit“ einen begeisterten Hobbyfußballer, der zunächst allein gegen die Mauer spielt bevor er seine Scheu überwindet, die gleichgesinnten, „ausländisch“ wirkenden Kicker im Käfig zu fragen, ob er mitspielen dürfe. Keine gestellte Szene, sondern echt so beim dreh erlebt und erfahren, schildern die beiden im Publikumsgespräch im Urania-Kino. „Wir wollten zu dem Thema einen Film machen, der sich darum dreht, was Jugendliche zusammenbringt und nicht auseinander treibt. Und da fanden wir, Fußball passt.“ Zu Beginn ihres knapp mehr als dreiminütigen Films läuft am unteren Bildrand ein Ticker mit typischen Meldungen rund um Migration und Flucht im Stile von Boulevardmedien.
Angst?
Für fast drei Minuten schnitt Delwar Anz (17) eine seiner Live-Performances zusammen. Er stellte sich mit verbundenen Augen auf die Mariahilfer Straße. Neben sich hängte er ein handgeschriebenes Plakat: „Viele Leute haben Angst vor mir, weil ich Flüchtling bin. Du auch? Wenn nicht, umarme mich, bitte! :)“
Niemand im Kino erriet auch nur annähernd die richtige Zahl der tatsächlichen Umarmungen, die der junge Filmemacher im Laufe einer halben Stunde bekam: 610!
Offenbar ist die reale Stimmung – zumindest in der Großstadt – ziemlich anders als die veröffentlichte Meinung ;) Womit wir wieder bei der Auseinandersetzung mit Medien wären.
https://www.videoundfilmtage.at/2018/