Warum Sie heute noch auf vier Bissen verzichten sollten
Von Ernst Mauritz
Es ist eine Erfahrung, die viele schon gemacht haben: Obwohl sie regelmäßig Sport betreiben, nehmen sie nicht oder nur wenig ab. Eine US-Studie, erschienen im American Journal of Clinical Nutrition, mit insgesamt 198 Teilnehmern hat nun einen Grund dafür aufgezeigt.
Bei allen handelte es sich um übergewichtige Frauen und Männer, für die Sport bisher ein Fremdwort war. Eine Gruppe trainierte ab Studienbeginn 90 Minuten wöchentlich auf dem Laufband oder Ergometer, eine andere Gruppe 210 Minuten, jeweils aufgeteilt auf drei Einheiten pro Woche und das ein halbes Jahr lang.
Resultat: Fast die Hälfte der Probanden aus der 90-Minuten-Gruppe und ein Viertel aus der intensiveren Trainingsgruppe nahmen überhaupt nicht ab – oder legten sogar Kilos zu. Die anderen reduzierten zwar ihr Gewicht – aber die meisten deutlich weniger, als angesichts ihres Trainingsumfanges zu erwarten gewesen wäre.
Täglich eine Semmel zu viel
Der Grund: Die 90-Minuten-Trainingsgruppe hatte ihre tägliche Energieaufnahme um ca. 90, die 210-Minuten-Gruppe um 125 Kilokalorien täglich erhöht. „Diese im Schnitt 100 Kilokalorien entsprechen lediglich vier Bissen von den meisten Lebensmitteln“, wird Studienleiter Tim Church in der New York Times zitiert. Anders gesagt: Bereits eine regelmäßige geringfügige zusätzliche Energieaufnahme im Ausmaß von knapp einer trockenen Semmel am Tag macht den Unterschied aus. "Diese lediglich 100 Kilokalorien täglich summieren sich einfach mit der Zeit und reduzieren die Auswirkungen des Kaloriensverbrennens durch die Bewegung", betont Church.
„Die Wirkung von gesundheitsorientiertem Hobbytraining auf den Körperfettabbau wird überschätzt“, sagt der Sportmediziner Paul Haber. Und gibt ein Beispiel: „In einer Stunden lockeren Laufens verbraucht ein Hobbysportler rund 500 Kilokalorien. Wer sich nachher einen Viertelliter Orangensaft und einen kleinen Snack genehmigt, hat schon wieder 300 Kalorien aufgenommen.“
Ähnlich sieht es auch die Ernährungswissenschafterin Anita Zankl von der Sportordination in Wien: „Viele glauben, sie können sich nach einem Training belohnen – dabei war der Energieverbrauch gar nicht so hoch, wie vielfach angenommen wird.“ Zankl rät Hobbysportlern, nach einem lockeren Training zunächst einmal nur ein Glas Wasser zu trinken: „Damit ist das erste ,falsche‘ Hungergefühl beseitigt. Im Hobbybereich muss man nicht sofort nach dem Training etwas essen.“
Ein weiterer Grund für mangelnde Effekte auf der Waage: „Viele, die etwa regelmäßig joggen, denken sich, ,jetzt muss ich im Alltag nicht mehr so viel Bewegung machen‘ und gehen weniger zu Fuß“, sagt Haber. Dabei werde der Effekt der Alltagsbewegung unterschätzt: „Das können durchaus an die 100 Kilokalorien am Tag sein.“ Zum Vergleich: Für ein Kilogramm weniger Gewicht muss man 7500 Kilokalorien zusätzlich verbrauchen, für ein Kilo weniger Körperfett 9000 Kilokalorien.
Mehr Muskeln, weniger Fett
Und das führt zum dritten Grund, warum die Waage nur wenig nach unten zeigen kann, besonders bei Krafttraining. Haber: „Wir habe eine Studie betreut, bei der ältere Menschen kontrolliert Krafttraining ausgeübt haben. Nach drei Monaten hatten sie zwei Kilogramm Körperfett verloren, aber drei Kilogramm Muskelmasse zugelegt“ – das aber ist ein äußerst positiver Trainingseffekt.
Welche positiven Wirkungen Bewegung auf das Gehirn hat, zeigen zwei andere neue Untersuchungen:
– Auch kurze Bewegungseinheiten wirken: Mäuse durften jeweils für begrenzte Zeiträume in ein Laufrad – beim Menschen würden diese 4000 zügigen Schritten entsprechen. Die US-Forscher konnten anschließend eine Zunahme der Verbindungen zwischen den Nervenzellen in jenem Hirnareal messen, das für Lernen und Gedächtnis zuständig ist.
– Und deutsche Forscher zeigten jetzt: Stark Übergewichtige, die mit körperlichem Training beginnen, verbessern besonders jene Hirnfunktionen, die für den Stoffwechsel verantwortlich sind. Das senkt das Diabetesrisiko. Aber auch geistige Fähigkeiten, wie das rasche Wechseln zwischen verschiedenen Aufgaben, verbesserten sich. Ein Grund dafür war der messbar erhöhte Blutfluss in verschiedenen Hirnarealen – eine eindeutige Folge von Bewegung.