Mikroplastik: Wie ein heimischer Experte das Risiko einstuft
Von Ernst Mauritz
„Mikroplastik ist allgegenwärtig in der Umwelt.“ Das schreibt die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrem neuen Bericht zu Mikroplastik im Trinkwasser. „Deshalb müssen wir dringend mehr über die Gesundheitsfolgen wissen“, sagt die WHO-Expertin Maria Neira. Aus heutiger Sicht sei aber kein Gesundheitsrisiko von Mikroplastik im Trinkwasser nachweisbar. Der Umweltmediziner Hanns Moshammer von der MedUni Wien hat den Bericht gelesen.
KURIER: Wie schätzen Sie die Ergebnisse ein?
Hanns Moshammer: Eine ganz zentrale Aussage ist: Nach heutigem Stand der Wissenschaft werden Teilchen, die größer als 150 Mikrometer sind (ein Mikrometer ist ein Tausendstel Millimeter), nicht vom Darm in den Körper aufgenommen, gelangen also nicht ins Blut, sondern werden wieder ausgeschieden. Das ist eine wichtige Erkenntnis. Trotzdem ist das keine Entwarnung. Es sind viele Fragen offen. Deshalb benötigen wir mehr Forschung auf dem Gebiet.
Forscher von Umweltbundesamt und MedUni Wien haben im Vorjahr erstmals Mikroplastik im menschlichen Stuhl entdeckt. Nach dem WHO-Bericht wären aber die gesundheitlichen Risiken trotzdem gering?
So sieht es die WHO derzeit. Allerdings zeigen Tierexperimente, dass Mikroplastik die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaften im Darm verändern kann. Ob das beim Menschen auch so ist und was das bedeutet, wissen wir noch nicht. Und wir wissen noch viel zu wenig über ganz kleine Teilchen, sogenanntes Nanoplastik: Theoretisch können Teilchen, die deutlich kleiner als ein Tausendstel Millimeter sind, Zellbarrieren durchdringen. Ob Mikroplastik in ausreichender Menge so fein zerrieben wird, dazu haben wir noch keine aussagekräftigen Daten. Persönlich sehe ich hier kein großes Problem.
Und das Risiko von Entzündungsreaktionen im Darm?
Es gab Tierversuche, die darauf hingedeutet haben. Die WHO hält sie aber für nicht nachvollziehbar und nicht auf den Menschen übertragbar. Mikroplastik ist wahrscheinlich zu groß, um Entzündungen im Darm auszulösen. Bei Menschen mit bereits bestehenden chronischen Darmentzündungen könnte es aber sein, dass durch die bereits beeinträchtigte Darmbarriere Mikroplastik doch in gewissen Mengen aufgenommen wird und zu weiteren Entzündungsreaktionen führt. Aber auch dafür fehlen noch Daten.
Die WHO hat Mikroplastik im Trinkwasser untersucht. Kann das in Österreich überhaupt ein Problem sein?
Es handelt sich um einen weltweiten Bericht. In vielen Ländern wird Trinkwasser aus Oberflächenwasser aufbereitet, die Qualität der Aufbereitung ist unterschiedlich. Unser Trinkwasser stammt aus Grundwasservorkommen, hat also auch schon eine natürliche Filterung. Deswegen halte ich es auch nicht für eine bedeutende Aufnahmequelle für Mikroplastik in Österreich. Mikroplastik wird aber auch über in Plastik verpackte Lebensmittel, Getränke aus PET-Flaschen, Fisch und Meeresfrüchte aufgenommen. Auch Zigarettenfilter enthalten Mikroplastik, ebenso Kosmetika, das alles spielt bei uns eine größere Rolle. Wobei eine gesunde Haut und Schleimhaut eine gute Barrierefunktion hat.
Die Folgen für die Umwelt sind also – derzeit – größer als für den Menschen?
Ja. Wobei die Umwelt ja auch massiv unter den größeren Plastikteilen leidet. Und bei vielen Tieren funktioniert die Barrierefunktion des Darms nicht so gut wie beim Menschen. Es muss alles getan werden, um den Anstieg der Plastikmüllmenge zu bremsen. Wir wissen ja auch nicht, was eine weitere Zunahme der Belastung des menschlichen Organismus mit Mikroplastikpartikeln bedeuten würde. Bei der Entstehung von Mikroplastik aus Makroplastik werden ja auch Weichmacher und andere Substanzen freigesetzt. Auch deren Auswirkungen können wir noch nicht abschätzen.