HIV: Warum Infektionen bei Frauen oft zu spät erkannt werden
Die Betreuung HIV-positiver Menschen ist ein Schwerpunkt des Allgemeinmediziner Horst Schalk in Wien. Trotz des Rückgangs der Neuinfektionen (rund 400 im Jahr 2018, 22 % weniger als 2017) macht er sich Sorgen:
„Junge Menschen kennen die tödlichen Folgen einer unbehandelten HIV-Infektion nicht mehr – und sind dementsprechend unvorsichtig. Und dann gibt es zunehmend ältere Menschen über 50, die eine neue Beziehung eingehen und ebenfalls nicht an eine HIV-Infektion des Partners denken. Frauen sind da besonders betroffen.“
Welche Folgen das hat, hat das Europäische Zentrum für Krankheitskontrolle (ECDC, Stockholm) erhoben: Bei 54 Prozent der Frauen in Europa wird die Erkrankung erst in einem späten Stadium erkannt. Und bei Frauen über 40 ist das Risiko einer späten Diagnose in fortgeschrittenem Krankheitsstadium (Jahre nach der Infektion) drei bis vier Mal so wahrscheinlich wie bei jüngeren.
Auch in Österreich sind Spätdiagnosen bei Menschen über 50 sowie generell bei Heterosexuellen besonders häufig. Insgesamt finden 40 % aller Diagnosen im Spätstadium statt, mit negativen Folgen:
- Für den Betroffenen „Ein HIV-Infizierter Patient hat unter optimalen Bedingungen eine Lebenserwartung, die mit der einer nicht infizierten Person vergleichbar ist“, sagt Infektionsspezialist Alexander Zoufaly vom Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien, Präsident der Österreichischen Aids-Gesellschaft. Dafür ist ein früher Beginn der Anti-Virus-Therapie notwendig. Sie senkt rasch die Virusmenge im Körper.
Für den Sexualpartner „In der frühen Phase vermehrt sich das Virus im Körper massiv. Bis zu 50 Prozent aller Neuinfektionen gehen von Personen mit einer akuten HIV-Infektion aus.“ Deshalb ist ein früher Therapiebeginn wichtig, um die Krankheitsausbreitung einzudämmen.
Die wenigsten Spätdiagnosen gibt es bei jungen Erwachsenen und Männern, die mit anderen Männern Sex haben – hier scheint es gelungen zu sein, das Bewusstsein für das eigene HIV-Risiko zu erhöhen.
„Der wichtigste Grund, warum kein Test durchgeführt wird ist, dass man sich selbst keiner Risikogruppe zugehörig fühlt“, sagt Zoufaly. Und dass auch Ärzte etwa bei älteren Frauen nicht daran denken, dass bestimmte Symptome Zeichen einer HIV-Infektion sein könnten.
„Dabei gehen viele frisch Infizierte zum Arzt, weil sie Symptome einer Sommergrippe haben – Fieber, Halsschmerzen, auch Hautausschläge.“ Schalk: „Natürlich kann man nicht jeden, der im Winter Fieber hat, sofort Richtung HIV abklären. Aber in einem vertrauensvollen Gespräch sollte man herausfiltern, ob es einen Risikokontakt gegeben hat.“ Dazu bräuchten auch die Patienten ein Risikobewusstsein: Zu glauben, man kann nicht betroffen sein, weil man heterosexuell ist, ist falsch.“
Moderne Medikamente reduzieren die Viruslast unter die Nachweisgrenze. „Nicht nachweisbar heißt nicht übertragbar“, betont Zoufaly. Eine HIV-infizierte Person, die konsequent ihre Medikamente einnimmt und sich regelmäßigen ärztlichen Kontrollen unterzieht, gefährdet ihre Sexualpartner nicht. Dieser Tage hat in Neuseeland sogar die erste Samenbank für HIV-positive Samenspender – bei denen dank Therapie kein Virus nachweisbar ist – eröffnet.
Vorbeugen
Rund 80 Prozent der HIV-Infizierten wissen von ihrer Infektion, sind in Behandlung und damit nicht infektiös. „Die restlichen 20 Prozent können ihre Infektion weitergeben. Eine Möglichkeit, das zu verhindern, ist die Einnahme schützender Medikamente („Präexpositionsprophylaxe“, PrEP) durch Nicht-Infizierte vor sexuellen Risikokontakten.“ Allerdings ist sie keine Kassenleistung: „Das sollte aber rasch geändert werden.“
Gleichzeitig sollte die Chefarztpflicht für die schützenden Medikamente nach einem Risikokontakt („Postexpositionsprophylaxe“, PEP) fallen. Zoufaly: „Wir haben heute alle Werkzeuge, um die HIV-Epidemie zu beenden und die Neuansteckungen auf null zu senken – Vorsorgemaßnahmen, Medikamente, Tests. Wir müssen sie nur auch nützen.“