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Patientenanwalt: "Ein ganz anderer Zugang zum Beruf als früher"

Gerald Bachinger ist Sprecher der Österreichischen Patientenanwälte.

KURIER: Österreich hat hinter Griechenland die zweithöchste Zahl an Ärzten pro Einwohner in der EU. Trotzdem können viele Kassenordinationen nicht nachbesetzt werden. Wieso?

Gerald Bachinger: Österreich liegt ganz pauschal bei der Versorgung mit Ärzten an der Spitze der EU-Länder. Aber wir haben die Ärzte nicht dort, wo wir sie eigentlich

für die Versorgung brauchen. Wir haben vor allem im ländlichen Bereich sinkende Zahlen bei den Kassenvertragsärzten. Und diese Probleme werden sich noch verschärfen, weil es zu wenig Bewerber gibt. Auf der anderen Seite haben wir eine sehr hohe und weiter steigende Zahl an Wahlärzten. Diese Schere geht immer weiter auf.

Was müsste man tun, um Kassenordinationen – Allgemeinmediziner, Kinderärzte – attraktiver zu machen?

Die heutigen Medizinabsolventen haben einen ganz anderen Zugang zu ihrem Beruf als die Generation, die vor 40, 50 Jahren in das Gesundheitswesen gekommen ist. Sie wollen nicht isoliert als Einzelkämpfer in Einzelordinationen arbeiten. Auch von ihrer Ausbildung her sind sie Teamarbeit gewohnt, und – etwa, wenn sie Kinder haben – sie wollen vielleicht nicht 40, sondern nur 20 oder 10 Stunden arbeiten. Diese Generation benötigt völlig andere Rahmenbedingungen. Ein richtiger Schritt sind größere Organisationen, wo mehrere Ärzte mit anderen Gesundheitsberufen zusammenarbeiten. Ein zweiter Punkt werden eHealth und TeleHealth sein: Der Patient wird nicht mehr so oft zum Arzt in die Ordination kommen, sondern die Dienstleistung des Gesundheitspersonals wird zunehmend zum Patienten kommen. In der Schweiz gibt es das Projekt „eedoctors“ (per Videoverbindung über das Smartphone oder Tablet können sich Patienten mit einem Arzt verbinden lassen, Anm.), wo Sie jederzeit mit einem Arzt aus einem Pool Kontakt aufnehmen können.

 

Die Zukunft sind also Primärversorgungszentren?

Wenn wir den künftigen Herausforderungen von Medizin und Pflege gerecht werden wollen, müssen wir in

die Richtung solcher Gesundheitszentren gehen, wo es ganz andere Öffnungszeiten gibt und viele Berufe zusammenarbeiten. Da gibt es keine Alternative dazu. Ein reines Aufstocken von Einzelordinationen würde das Versorgungsproblem nicht lösen. Und ganz besonders dringend ist es, den Pflegeberuf aufzuwerten – finanziell, mit neuen Arbeitszeitmodellen, digitalen Möglichkeiten, um ihn für junge Menschen attraktiv zu machen. Hier kommt ein massiver Bedarf auf uns zu. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Pflege sein.