Leben/Essen & Trinken

Rote Karte für Grapscher in der Gastronomie

Zugeflüsterte Zimmernummern, zugesteckte Visitenkarten und Einladungen zu Urlaubsreisen. Irgendwann hatte Anna (Name von der Redaktion geändert) genug von den ungewollten Avancen fremder Männer und hängte ihren Studentenjob als Kellnerin bei Abend-Events an den Nagel.

"Eigentlich habe ich nur wegen sexueller Belästigungen damit aufgehört“, erzählt die heute 28-Jährige. "Es hat niemanden gewundert, wenn dir ein angetrunkener Typ auf den Hintern greift." Wobei ihre Vorgesetzten Verständnis dafür gehabt hätten, wenn Anna solche Gäste nicht mehr bedienen wollte. "Ich habe an solchen Abenden nicht mehr im Service, sondern im Backoffice weiter gearbeitet."

Ampelsystem

Ein ähnliches Konzept verfolgt die amerikanische Restaurantchefin Erin Wade, die im kalifornischen Oakland das „Homeroom“, ein Restaurant für Mac and Cheese (mit Käse überbackene Nudeln), betreibt. Um ihre Mitarbeiterinnen vor sexueller Belästigung zu schützen, hat sie mit ihnen ein Farbsystem entwickelt, mit dem sie signalisieren können, dass sie von Kunden belästigt werden und in welcher Intensität.

Bei Gelb, das einen anstößigen Blick oder eine unangenehme Atmosphäre bedeutet, kann das Personal selbst entscheiden, ob es den Gast weiterhin selbst bedienen möchte. Bei Orange, das unangemessene Kommentare mit sexualisierten Anspielungen signalisiert, übernimmt der Vorgesetzte den Tisch. Für direkt sexualisierte Kommentare, Berührungen oder wiederholte Vorfälle aus der orangen Kategorie gibt es Rot und einen Verweis aus dem Restaurant.

Durch die Anwendung des Systems gebe es kaum mehr "rote Vorfälle", erzählt Wade in einem Kommentar für die Washington Post. Die meisten Kunden würden vorfühlen, bevor sie eine Kellnerin offen sexuell belästigen. Zu Letzterem hätten sie nun keine Möglichkeit mehr.

Genaue Statistiken, wie viele Männer und Frauen in der Gastronomie sexuell belästigt werden – von Gästen, Kollegen oder Chefs – gibt es in Österreich nicht. Von der Arbeiterkammer, Gleichbehandlungsanwaltschaft und zuständigen Gewerkschaft gibt es keine Angaben, wie groß die Missstände sind. Erfahrungen wie jene von Anna aber machen klar, dass es sie gibt. In den USA ist hingegen bekannt, wie weit verbreitet sexuelle Belästigung in der Gastronomie ist. In einer Untersuchung der Organisation "Restaurant Opportunities Center United" aus dem Jahr 2014 gaben 90 Prozent der befragten weiblichen Restaurant-Angestellten an, schon sexuell belästigt worden zu sein. Bei den männlichen Befragten war diese Quote etwa halb so hoch.

Alkohol im Spiel

Auf Österreich lassen sich diese Daten nicht eins zu eins übertragen. Belästigung, die vom Gast ausgeht, hält Gernot (Name von der Redaktion geändert), einer der führenden Personaldienstleister im Catering in Wien, auch hierzulande für immanent. Einen körperlichen Übergriff habe er noch nie erlebt, Grenzüberschreitungen seien aber keine Seltenheit.

"Wenn die Leute zu viel getrunken haben und die Atmosphäre lockerer wird, kann so etwas durchaus vorkommen", sagt er. In solchen Situationen hält er es für wichtig, die Verantwortung als Vorgesetzter besonders ernst zu nehmen und hinter den eigenen Mitarbeitern zu stehen. „Man darf dieses Thema nicht unter den Tisch kehren und muss sich im Vorhinein darauf vorbereiten, wie die korrekte Vorgehensweise aussieht.“ Für ihn sei es kein Problem, wenn eine seiner Mitarbeiterinnen in einer solchen Situation dem Gast die Grenzen aufzeigt – „die Professionalität muss selbstverständlich gewahrt bleiben, beschimpfen darf man ihn deswegen nicht“.

Flache Hierarchien im "Steirereck"

Birgit Reitbauer, die im Haubenlokal "Steirereck" das Service leitet, hat noch nie erlebt, dass ihre Mitarbeiter von Gästen belästigt werden. "Gott sei Dank", sagt die Spitzengastronomin im KURIER-Gespräch. Man wäre im Fall des Falles vor eine schwierige Situation gestellt. "Die Grenzen sind immer fließend, als Unternehmer steht man in der Mitte. Wir versuchen einen korrekten Umgang miteinander." Sie glaubt nicht, dass ihr etwaige Belästigungen vorenthalten würden. "Wir haben eine flache Hierarchie und arbeiten alle eng zusammen. Da würde so etwas schon im Vorfeld auffallen." Nachsatz: "Und wir würden da ganz massiv durchgreifen." Das sei sie ihren Mitarbeitern schuldig.

Der KURIER fragte in mehreren Wiener Betrieben und Heurigen nach, die sich jedoch nicht öffentlich zu Übergriffen äußern wollten.

Von dem Farbsystem der amerikanischen Gastronomin hat Anna bereits gelesen, als Lösung empfindet sie dieses aber nicht. Weil es am Personal ansetzt und nicht am Gast, der sich nicht angemessen verhält. "Ich finde, dass dieser bei einem Fehlverhalten von der Geschäftsführung zurecht gewiesen gehört." (Mitarbeit: Ingrid Teufl)